"Germany's Next Topmodel" auf Pro Sieben:"Das fällt nicht einfach, wenn du nicht viel im Hirn hast"

Heidi Klum spricht ständig vom Essen, Wolfgang Joop lässt sich von ihr unterbuttern und am Ende wird es - na klar - hochdramatisch. Die neue Staffel von "Germany's Next Topmodel" soll ihre Kritiker beschwichtigen. Und ist doch dümmlich wie eh und je.

Eine TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Als Journalist bekommt man öfter mal Post. Meistens von Menschen, die wollen, dass man über sie schreibt - aber bitte nicht allzu kritisch. Wenn man allerdings Post von einem 13-jährigen Klassensprecher erhält, der sich arge Sorgen darüber macht, dass viele seiner Klassenkameradinnen auf dem Gymnasium zunehmend unglücklich würden, bis hin zu Esstörungen und Suizidgedanken, weil sie dem aktuellen Schönheitsideal von Casting-Sendungen nicht entsprechen, dann ist das schon bedenklich.

Vor allem bedenklich nahe dran an der These, die Forscherin Maya Götz 2011 als Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen in einer Studie untersucht hat - nämlich dass einige Casting-Sendungen das Selbstbild von Jugendlichen negativ beeinflussen. Und es ist sehr nahe dran an dem Protest, zu dem die Organisation "Pinkstinks" aufruft: "Neun Jahre Topmodel sind genug!" und "Heidi Klum setzt unsere Kids unter Druck" propagieren die Verantwortlichen die Absetzung der Sendung zum Wohle ihrer Kinder.

Kein Wunder also, dass Heidi Klum zum Start der neunten Staffel von "Germany's Next Topmodel" am Donnerstagabend auf Pro Sieben vieles anders machen und damit ihre Kritiker besänftigen will. Zwar steht die Sendung seit ihrem Start vor acht Jahren unter Beschuss - von Anfang an wurde ihr vorgeworfen, sie setze auf das falsche Menschenbild und füttere junge Mädchen mit dem Gedanken an, vor allem schön, schlank und willig sein zu müssen. Trotzdem - oder auch deshalb - hat sie sich zu einem Quotengaranten für die Sendergruppe entwickelt, den man offenbar nicht missen will. Es sind vor allem drei Dinge, die die Sendungsmacher und die "Model-Mama" diesmal besser machen wollen:

1) Klum hat ihren "prominentesten Kritiker ins Boot geholt":

So heißt es zumindest nach der Show in der Pro-Sieben-Hofberichterstattungssendung "Red". Wolfgang Joop, der einst selbst über die Sendung sagte, "dieser Exhibitionismus und dieses Vorführen" seien nicht sein Stil, und Heidi als Model eher Durchschnitt, just er sitzt nun neben Klum in der Jury ihrer Sendung. Von der "pädagogischen Verantwortung gegenüber den Mädchen", die er angekündigt hat, ist zumindest während der ersten Staffelfolge aber noch nicht viel zu erkennen. Lieber attestiert er einer Kandidatin, einen zu großen Kopf zu haben, betont, dass "Castings sehr peinlich" sein können und sorgt auch ansonsten, sich vor allem selbst lobend, für den gewünscht schrillen Unterhaltungseffekt. Merkwürdig zurückhaltend wirkt der Wunderkind-Designer dagegen einige Male gegenüber der großen Juryvorsitzenden: Sie ignoriert seine Einwände gegenüber einer Kandidatin einfach so lange, bis er schweigt. Und scheint ihn auch ansonsten ganz gut im Klum'schen Griff zu haben. So macht man das also mit den Kritikern.

2) Klum propagiert das Essen:

Erst spricht sie mit vollem Mund in die Kamera, dann betont sie mehrfach, dass die Kandidatinnen zwischen den Programmpunkten natürlich ausgiebig zu Mittag speisen würden, schließlich bestellt sie sich am Ende eines langen Drehtages einen Döner und lässt sich dabei ausführlich filmen - sogar einen zweiten hätte sie jetzt noch verdrücken können, wird in die Kamera frohlockt. Die Bild-Zeitung begleitete diesen Sinneswandel noch vor Ausstrahlung der ersten Folge mit viel Getrommel darüber, wie Klum gleich zwei Kandidatinnen während des Castings nach Hause geschickt hat, weil sie zu dünn seien. Die Szenen werden auch in der Sendung gezeigt: "Bei ihr mache ich mir Sorgen", sagt Klum über die eine - und weg ist sie. Das ist natürlich auch ein Umgang mit Magersucht.

Heidi Klum wird immer menschlicher - absichtlich

3) Klum wird immer menschlicher:

Anfangs war sie noch die gestrenge Oberlehrerin für ihre "Mädels", die mit starrem Blick Entscheidungen verkündete, auf die Folter spannte, sich über Kandidatinnen lustig machte - "eisige Lipgloss-Gouvernante" war noch eine der freundlicheren Umschreibungen der damaligen Kritiker. Seit einigen Staffeln hat sich das grundlegend geändert. Inzwischen ist sie die gnädige Model-Mama, die bei den Hausaufgaben hilft, liebevolle Tipps gibt und doch nur das Beste für ihre Schützlinge will. Ihren bisherigen Höhepunkt findet diese Entwicklung am Ende der ersten Sendung der neuen Staffel: Heidi wird krank. Was früher wohl niemals gesendet, jegliche Unpässlichkeit der Strahlefrau wegretuschiert worden wäre, gerät nun zum eigentlichen Höhepunkt der Show: Eine Stunde lang müssen die Zuschauer immer wieder hören, dass es Heidi nicht so gut gehe, dass sie wohl Fieber habe - und die Vorschau auf die folgende Woche verheißt gar dramatisch: Die Topmodel-Frontfrau liegt in der Notaufnahme in Singapur, stammelt von Hitze und gleichzeitiger Kälte, die Kamera zeigt Schweiß auf ihrem Antlitz. Wieder titelt die Bild-Zeitung online gleich im Anschluss an die Sendung: "Schock in der ersten Folge GNTM: Heidi Klum bricht zusammen - Notaufnahme!" Dabei ist natürlich jetzt schon klar, dass alles nur halb so wild war, die "Kämpfernatur" kurz darauf wieder an den Set zurück zur Sendungsaufzeichnung durfte - und die Episode vor allem zeigen sollte, dass Heidi Klum auch nur ein Mensch ist.

'Germany's next Topmodel'

Die eine soll sich Extensions entfernen lassen, die andere im Bikini aufkreuzen - danach ist die Jury begeistert von Anna, 17. Das legt sich im Laufe der ersten Sendung aber wieder.

(Foto: obs)

Aber auch wenn das natürlich stimmt: Die Privaten müssen sich die zunehmend drängende Frage gefallen lassen, ob die Sender zugunsten von Quoten und Gewinn sich der steigenden Kritik von unter anderem Eltern ausgesetzt sehen wollen, die sich schlicht um eine ganze Generation von Kindern sorgen. Denn auch wenn Sendungen wie Bachelor, Dschungelcamp, DSDS oder eben GNTM vielen ein schlichter Spaß sein können - die jüngeren Zuschauer nehmen vieles für bare Münze, was ihre älteren Geschwister oder schlauere Fernsehzuschauer oder -macher durch die verharmlosende Brille der Ironie sehen und senden.

15 000 Zuschauerinnen haben sich für die aktuelle Staffel beworben, 25 sind für die erste Sendung ausgesiebt worden. Darunter eine 21-jährige Mutter mit zweijährigem Kind und ein Mädchen aus dem Kinderheim, dessen Mutter sie einst dort abgeben musste, nachdem sie selbst ein erfolgloses Model war und sich nicht ausreichend um die Tochter habe kümmern können, heißt es in der Sendung nebenbei.

Genauso nebenbei fällt außerdem noch der Satz des Abends vom Dritten im Jury-Bunde, dem Klum-Vertrauten Thomas Hayo: "Das war ein Marathon heute - die ganzen Mädchen! Du willst denen auch allen gerecht werden, konzentrierst dich, willst Tipps geben und du musst gleichzeitig auch noch analytisch denken. Das fällt nicht einfach, wenn du nicht viel im Hirn hast", sagt er zu Heidi. Letzteres war wohl als Scherz gemeint. Doch Klum lächelt nur ein bisschen.

Rund drei Millionen Gesamtzuschauer haben zum Staffelstart diesmal eingeschaltet, wieder deutlich mehr als 2013. In der sogenannten werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen lag der Marktanteil damit bei 17,1 Prozent.

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