Süddeutsche Zeitung

"Germany's Next Topmodel" auf Pro Sieben:Majas Achselhaare müssen ab

"Germany's Next Topmodel" erlebt Kandidatinnen, die selbst über ihren Körper bestimmen. Doch am Ende ist die Fratze der Schönheitsindustrie zurück.

TV-Kritik von Julian Dörr

Die große Erkenntnis dieses Fernsehabends versteckt sich mitten im ersten Werbeblock. Da steht Stephanie Labbé, die Torhüterin der kanadischen Frauenfußballnationalmannschaft, und eine Stimme aus dem Off fragt: "Weil ich eine Frau bin, denkst du, ich kann dem Druck nicht standhalten?" Dann stürmt Labbé auf ihre Gegnerin zu. "Und was, wenn doch?"

Zwischen all den Lippenstiftlippen, Shampooköpfen und Mascara-Augen wirkt der Spot wie ein Befreiungsschlag. Das ist die Welt, in der die zwölfte Auflage von Germany's Next Topmodel um ihre Relevanz kämpft. Das Format ringt mit der Gegenwart.

Das ganze Ausmaß des Problems wird in den ersten Sendeminuten offensichtlich. In kurzen Einspielern werden die vielversprechendsten Kandidatinnen der Model-Castings in Köln und München vorgestellt. Eine von ihnen ist Céline, 18 Jahre alt, besonderes Merkmal: Sommersprossen. Céline möchte Topmodel werden. Weshalb sie nun die altbewährten und über die Jahre wenig variierenden Sätze von der Traum-Karriere in die Kamera sprechen darf. Mit einem Unterschied: Anders als viele ihrer Vorgängerinnen kann sich Céline an eine Welt ohne Germany's Next Topmodel nicht erinnern. Als die erste Staffel im Jahr 2006 startete, war sie in der ersten Klasse. Heidi Klum - eine Konstante in Célines Leben.

Blöd, dass die Welt nicht eindimensional ist

Wie unzeitgemäß und redundant die Sendung ist, haben auch ihre Macher verstanden. Im vergangenen Jahr gab es ein komplettes Make-over, einen neuen Juror und ein Spielprinzip, bei dem zwei Teams gegeneinander antreten müssen. Thomas Hayo gegen Michael Michalsky. Schwarz gegen Weiß. Blöd nur, dass die Welt nun mal nicht so eindimensional ist. Weshalb Modeschöpfer Michalsky gleich zu Beginn der neuen Staffel das "Team Diversity" ausruft.

Vielfalt für Germany's Next Topmodel? Meinungs- und Identitätspluralismus in Heidis High-Heel-Diktatur? Eine erfreuliche Stunde lang lebt TV-Deutschland tatsächlich den Traum von einem besseren Topmodel.

Da ist die 25-jährige Anh aus Berlin, die selbstsicher proklamiert, Deutschland sei bereit für die erste asiatische Gewinnerin. Oder die 20-jährige Giuliana, deren Geschichte als Transgender-Model sich ganz subtil in die Dramaturgie des Abends webt. Oder Maja, die Heidi Klum mit ihren unrasierten Achselhaaren völlig aus der Fassung bringt. "Und da sagt keiner was?", fragt Klum entgeistert. "Was sollen die denn sagen?", entgegnet Maja.

Das Format erlebt mit diesen Kandidatinnen seltene Momente der Selbstermächtigung. So wie bei der dunkelhäutigen Leticia, die ihre natürlichen Kräuselhaare bei ihrem ersten Auftritt noch unter einer glatten Langhaarperücke versteckt. Doch dann folgt ein Akt der Emanzipation, Leticia zieht ihre falschen Haare ab - und ist eine Runde weiter. "This hair is my shit", sang Solange Knowles in "Don't Touch My Hair", einem der wichtigsten Songs des vergangenen Jahres. Sie hat ihn für Frauen wie Leticia geschrieben.

Ein Schelm, wer dabei an eine Sklavengaleere denkt

Doch der Traum von einem besseren Topmodel stirbt in einer Kasseler Flughafenhalle. Bei der finalen Prüfung des Abends stolpern unerfahrene junge Frauen in langen Abendkleidern über den Laufsteg. Hier verheddert sich ein Absatz im Saum. Da sinkt ein Kopf schamesschwer zwischen die Schultern. Die fiese Fratze der Schönheitsindustrie ist wieder da. Und Über-Model Heidi Klum siebt gnadenlos aus. Sie verteilt Flugtickets. In der kommenden Folge startet die große Model-Kreuzfahrt. Ein Schelm, wer dabei an eine Sklavengaleere denkt.

Germany's Next Topmodel kämpft mit der Gegenwart - und mit seiner eigenen Vergangenheit. Dass die Werbepausen zuweilen fortschrittlicher wirken als das Format selbst, ist kein gutes Zeichen. Und Majas Achselhaare, die müssen dann doch ab. Sicher ist sicher. Clean ist immer besser, hat Thomas Hayo gesagt.

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