Süddeutsche Zeitung

Genossenschafts-Journalismus:Ein großes Versprechen

Lesezeit: 3 min

Nach Monaten voll PR-Geklingel ist das Schweizer Magazin "Republik" online. Das durch Crowdfunding finanzierte Magazin will eine liberale Stimme gegen den Rechtsruck sein. Dafür gehen viele ins Risiko.

Von Charlotte Theile

Die vergangenen Monate waren für die Schweizer Medienwelt eine ungewöhnlich aufregende Zeit. Seit das Start-up Republik im Frühjahr per Crowdfunding die Rekordsumme von gut drei Millionen Euro eingesammelt hatte, ist es unruhig geworden in der sonst sehr überschaubaren Branche. Einige der bekanntesten Journalisten des Landes kündigten, um fortan bei dem in vielerlei Hinsicht unberechenbaren Digitalmagazin mitzuarbeiten. Dazu machten Gerüchte die Runde: Von preisgekrönten Reportern, die von "der Republik", wie sie bald ehrfürchtig genannt wurde, ein Jahresgehalt für eine einzige Story bekommen hatten und nun im Begriff waren, die Geheimnisse der Schweiz aufzudecken. Von großen Namen, die angeblich in das ehemalige Rotlichthotel an der Zürcher Partymeile Langstrasse wechseln sollten, in dem sich die Republik immer weiter ausbreitete. Und natürlich machte man sich lustig über das Pathos, das aus den seitenlangen Newslettern an ihre Abonnenten, beziehungsweise: "Verleger", drang. Die Schlagzeile "Ohne Journalismus keine Demokratie", die als Manifest vom Balkon des Hotels Rothaus hängt, war da noch einer der bodenständigeren, bescheideneren Ansprüche. Und das alles, ohne einen einzigen journalistischen Text veröffentlicht zu haben.

Seit Sonntagnachmittag ist die Republik nun online. Am Freitagmittag, gut 48 Stunden zuvor, sitzen Chefredakteur Christof Moser und Susanne Sugimoto, die für Budget, Personal und Organisation Zuständige, in einem kleinen Raum mit Dachschrägen und einem etwas in die Jahre gekommenem Badezimmer. Ein ehemaliges Hotelzimmer, das schon einiges erlebt hat. Wände voller Post-its, mobile Arbeitsplätze und fieberhafte Meetings aber dürften hier neu sein. Moser zuckt mit den Schultern. Tja, die Sache mit dem Pathos. Nicht ganz einfach, jetzt daran zu denken, wo die Informatiker in Nachtschichten versuchen, die letzten Fehlerchen aus der selbstgeschriebenen Debattensoftware zu fischen. Wo die Aufmachergeschichten wieder und wieder Korrektur gelesen werden, und der frühere Spiegel-Reporter Cordt Schnibben eingetroffen ist, um seine Eindrücke vom #republikstart per Twitter-Reportage mit der Welt zu teilen. "Wir haben das alles absolut ernst gemeint", sagt Moser. Die Kritik an den Schweizer Medien, wo immer mehr zusammengelegt und eingespart werde, sei von der Wirklichkeit längst bestätigt worden. Der Rechtsruck, den nicht nur die beiden rechtskonservativen Blätter Weltwoche und die Basler Zeitung, sondern inzwischen auch die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung (NZZ) verkörpern, sei noch dramatischer, als es die beiden Republik-Gründer Constantin Seibt und Christof Moser Anfang 2017 prognostiziert hatten. "Wir haben aber nie versprochen, dass wir die Demokratie retten werden", sagt Moser.

Die 15 750 Personen, die im Moment einen bezahlten Log-in zum Onlineauftritt der Republik besitzen, erwarten trotzdem einiges. Das gilt wohl vor allem für die politische Positionierung des Magazins. "Was für uns besonders interessant war: Immer, wenn ein negativer Artikel über uns erschienen ist, einer, der uns als linkes, ideologisches Projekt abgestempelt hat, gingen die Abozahlen in die Höhe", sagt Susanne Sugimoto. "Dabei sind unsere Werte nicht links, sondern liberal." Ein Anspruch, der durchaus als Provokation verstanden werden kann: Wer oder was liberal ist, wird in der Schweiz seit Jahren diskutiert. Von links bis ganz rechts reklamieren fast alle dieses Wort für sich - was besonders bei der mehr als 230 Jahre alten liberalen NZZ für rote Köpfe sorgt.

Nur wer zahlt, darf mitreden. Eine riskante Wette: Lässt sich so genug Geld verdienen?

Dennoch: Bei der Republik scheint dieses Versprechen zu verfangen. Sugimoto, die zuvor die Kommunikation der Supermarktkette Coop leitete, wechselte mit Mitte 50 zu dem Start-up, auch andere glauben offenbar fest an das Projekt: So kamen zum Beispiel Daniel Binswanger, der als Kolumnist für das Magazin des Tages-Anzeigers schrieb, oder Simon Schmid, zuvor Chefökonom der Handelszeitung, zur Republik. Heute besteht das Unternehmen aus 30 Mitarbeitern, die meisten sind Journalisten. Sie alle gehen ein Risiko ein: Ob sich die nötigen 22 000 bis 25 000 Abonnenten finden, die bereit sind, 240 Franken (etwa 200 Euro) im Jahr für ein Onlinemagazin zu bezahlen? Wenn nicht, werden die Baumwolltaschen mit dem großen R-Aufdruck, die im Moment an jeder Straßenecke Zürichs zu sehen sind, in ein paar Jahren eine der wenigen greifbaren Erinnerungen an dieses Projekt sein. Eine der möglichen Stolperfallen: Die Artikel kann man gratis lesen, wenn sie auf Social Media weitergereicht werden. Weshalb man dann überhaupt ein Abonnement abschließen soll? Nur wer den Mitgliedsbeitrag bezahlt, gehört zur Community, kann sich an Debatten beteiligen und Themen mitentwickeln. Damit wagt das Unternehmen eine riskante Wette: Lässt sich mit Mitmach-Journalismus auf die Dauer Geld verdienen?

Mit welchen Geschichten die Republik ihre Verleger-Leser beliefert? Die ersten 24 Stunden zeigen: Das Start-up setzt auf lange Stücke. Unter der Überschrift "Zuckerbergs Monster" etwa wird analysiert, wie Facebook für politische Kampagnen instrumentalisiert werden kann, ein anderer Text legt dar, wie unterschiedlich die Gehirne von Linken und Rechten angeblich funktionieren sollen - und warum die Leser Anfang März unbedingt für die Beibehaltung der in der Schweiz "Billag" genannten Rundfunkgebühren stimmen sollen. Mit einer Recherche über die Kreditvergabe-Praktiken schweizerischer Banken setzt das Magazin zudem ein eigenes Thema. Das erste Feedback ist positiv. Gut geschriebene Texte, schön aufgemacht, interessant gemischt, findet etwa das öffentlich-rechtliche Radio SRF 4 News, andere stimmen einfach in den Jubel der Macher ein: "Die Republik ist da!"

Doch diese Schlagzeile ist nur ein paar Tage aktuell. Danach braucht es harte Arbeit - und Leser, die sich nicht nach dem ersten Hype schon wieder etwas anderem zuwenden.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2018
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