Süddeutsche Zeitung

Gendergerechte Sprache in den Medien:Kleine Pause

Eine Mehrheit der Deutschen lehnt das Gendern ab, in Presse und Fernsehen kommt es immer häufiger vor. Wie verhalten sich die Öffentlich-Rechtlichen?

Von Aurelie von Blazekovic

In der Tagesschau, so viel ist erst mal sicher, bleibt es beim "Guten Abend, meine Damen und Herren". Das, obwohl die Begrüßungsformel eine gerade harsch kritisierte Sicht aufs Geschlecht ausdrückt, in der es nur Damen und Herren gibt. Um "alle an Bord gleichberechtigt willkommen zu heißen", entschied deshalb die Lufthansa kürzlich, dass sie ihre Fluggäste künftig nicht mehr mit der gewohnten Formel begrüßen möchte. Statt auf Damen und Herren abzuheben, werde man künftig ein geschlechtsneutrales "Guten Abend", oder "Willkommen an Bord" nutzen.

Die Diskussion, die das auslöste, die Diskussion über das Gendern überhaupt, ist eine Qual für alle, die gerne schnellstmöglich wissen wollen, wie man es richtig macht. Denn Argumente werden seit Jahren ausgetauscht, Möglichkeiten vorgeschlagen, flammende Gegenreden gehalten. Diskriminierung aufgewogen gegen Sprachverhunzung, Ausschluss der Mitgemeinten gegen Ausschluss der einfachen Bürger. So lange geht das Hin und Her schon, weil niemand allen Sprechenden etwas vorschreiben kann, auch nicht der in der Sache ebenfalls eher unentschlossene Duden.

Klar ist: Üblich wird auf lange Sicht nur, wie es die meisten machen - und die meisten sind gerade in Bewegung, schauen nach links und rechts und fragen sich, was sie tun sollen. Fragt man Sprachwissenschaftler, wer den größten Einfluss auf unsere Sprachkonventionen hat, hört man: die Medien.

"Die Mehrheit der Zuschauer lehnt das ab", sagte Petra Gerster über ihr Gendern in den "Heute"-Nachrichten

Verständlich also, dass wer Veränderungen skeptisch gegenübersteht, genauestens beobachtet, wie Menschen sich zum Beispiel vor der Kamera ausdrücken. 2020 begann Petra Gerster (wie zuvor schon ihr Kollege Claus Kleber) bei der Nachrichtensendung Heute mit hörbarer Sprechpause zu gendern, sprach also etwa von "Apotheker*innen". Eine Entscheidung, die Gerster haufenweise verärgerte Publikumspost einbrachte. Bei einem Auftritt in der Talkshow Maischberger sagte sie, bevor sie sich im Mai in den Ruhestand verabschiedete: "Die Mehrheit der Zuschauer lehnt das ab."

Das ist nicht nur das Gefühl von Petra Gerster, sondern auch das Ergebnis einer Umfrage von Infratest Dimap aus dem Frühjahr. 65 Prozent gaben dort an, Binnen-Is, Gendersternchen oder Passivierungen (wie Zuhörende statt Zuhörer) in Presse, Radio, Fernsehen und bei öffentlichen Anlässen abzulehnen. Gegenüber dem Vorjahr ist die Ablehnung sogar gestiegen, 2020 lehnten in derselben Befragung 56 Prozent geschlechtsneutrale Sprache ab.

Mit Mehrheiten kommt man bei dem Thema aber an Grenzen, schließlich geht es beim Gendern um die Sichtbarmachung sprachlicher Minderheiten. Und natürlich gibt es gute Gründe dafür, medial wirklich alle Teile des Publikums anzusprechen, also Männer, Frauen und Menschen, die nicht als Frauen, nicht als Männer begriffen werden wollen. Doch weder fühlen sich alle Gruppen von gegenderten Varianten angesprochen noch vom generischen Maskulinum. Wie sollen die öffentlich-rechtlichen Medien, die dem Anspruch, alle zu meinen, am stärksten verpflichtet sind, mit der sprachlichen Zwickmühle umgehen?

Hört man sich dort um, heißt es, dass im Thema viel Bewegung ist, dass die Einstellungen in Redaktionen und in den Zielgruppen fluide seien, dass in der Zukunft in Sachen Gendern eigentlich alles möglich sei. Eine entsprechend zeitgemäße Lösung für die fluide Lage bietet das ZDF. Der Sender "möchte diskriminierungsfrei kommunizieren und achtet dabei auch darauf, wie sich Gesellschaft und Sprache verändern", heißt es dort. Es gebe keine Vorgabe, in ZDF-Sendungen zu gendern, das stünde den Redaktionen frei. Auch Petra Gersters Nachfolgerin Jana Pareigis und Claus Kleber gendern mit Sprechpause in den Nachrichten. Jan Böhmermann weicht in seiner Sendung gelegentlich auf ein generisches Femininum aus, "Polizistinnen", sagt er und meint die Männer mit. Kurz: Alle können, wie sie wollen.

Der BR verzichtet künftig auf Gendersternchen, das Publikum sei häufig irritiert gewesen

In der föderal organisierten ARD ist es etwas komplizierter. Die Landesrundfunkanstalten und Formate gehen unterschiedlich mit dem Thema um. In der Tagesschau sind keine Genderpausen zu hören, während etwa Anne Will schon länger gendert. Den BR hat die beschriebene Mehrheit des Publikums dazu bewogen, das hör- oder sichtbare Gendersternchen aus seinem Programm zu verbannen. In einer internen Mail, die der SZ vorliegt, heißt es, dass man "im schriftlichen wie im mündlichen auf den (gesprochenen) Genderstern" verzichten werde, weil die Sprechpause häufig für Irritationen beim Publikum gesorgt hätte. Man orientiere sich bei der Entscheidung auch an der Gesellschaft für deutsche Sprache, die den Genderstern für nicht geeignet hält - weil er weder mit den Regeln der deutschen Grammatik konform sei noch mit denen der Rechtschreibung.

Ausnahmen macht der BR für spezielle Zielgruppen und Jugendangebote, etwa Puls, oder das Instagram-Format News WG, außerdem übernehme man Inhalte anderer Landesrundfunkanstalten, die es möglicherweise gendern ohne Eingriffe. "Die Geschäftsleitung des BR ist sich der Sensibilität des Themas bewusst", heißt es abschließend.

Der Radiosender Fritz vom RBB hat dagegen vor einem Jahr angekündigt, in seinen Nachrichten zu gendern. Programmchefin Karen Schmied sagt, das habe "sehr viele, vor allem emotionale Reaktionen" hervorgerufen. Die Kritik sei hingegen von Menschen gekommen, "die sich wegen ihres Berufs oder aus Interesse mit dem Thema beschäftigen und altersmäßig über der Zielgruppe von Fritz lagen". Aus der Zielgruppe, also von jungen Menschen und aus der queeren Community sei Zustimmung gekommen.

Beim SWR nutze man "alle Möglichkeiten, die die gendersensible Sprache bietet"

Das Verhältnis zwischen Zustimmung und Kritik habe etwa bei 50/50 gelegen, der On-Air-Start im September 2020 sei schon wesentlich ruhiger verlaufen. "Nach der Testphase von drei Monaten haben wir beschlossen, in den Fritz-Nachrichten weiter hörbar mit dem Sternchen zu gendern und auf den Social-Media-Kanälen den Doppelpunkt zu nutzen." In diesem Jahr habe man kaum mehr Hörermails zum Thema bekommen.

Bei Deutschlandradio bemüht man ebenfalls um geschlechtergerechte Sprache, in einer Handreichung vom Februar 2019 wird etwa vorgeschlagen, statt von Parlamentariern von Abgeordneten zu sprechen, "niemand" statt "keiner" zu sagen. Intendant Stefan Raue wünscht sich aber keine dogmatischen Regeln, sondern "Lust und Kreativität beim Formulieren".

Auch der SWR hat sich für eine möglichst versöhnliche Position entschieden. Um niemanden auszuschließen und trotzdem angemessen knapp und verständlich zu formulieren, nutze man "alle Möglichkeiten, die die gendersensible Sprache bietet". Mal also die weibliche und männliche Form, mal den Genderstern oder einen geschlechtsneutralen Begriff. Allerdings wolle man "niemanden belehren oder Formulierungen verkomplizieren, sondern unverkrampft mit den sprachlichen Möglichkeiten umgehen, damit sich möglichst viele Menschen von den Themen angesprochen fühlen".

Zurückhaltend sei man noch bei der gesprochenen Variante des Gendersterns, erhalte hierzu aber auch die kritische Rückmeldung, "dass wir der gesamten Gesellschaft und damit allen Geschlechtern verpflichtet sind und damit auch den gesprochenen Genderstern anwenden müssten". Es sei, so heißt es vom SWR, "sehr schwer, wenn nicht unmöglich, an diesem Punkt allen Interessen gerecht zu werden, weil jeder Mensch bei dieser Frage ein persönliches Empfinden hat".

Die Gemengelage zeigt: Den Öffentlich-Rechtlichen ist weder die Sprache noch ihr Publikum egal. In einer Welt, in der viele mitsprechen, fällt es schwerer, sich auf eine Sprache zu einigen. Eine Vielzahl von Regelungen existiert nebeneinander. Bei aller Komplexität, Verwirrung und Irritation heißt das aber auch: Hier wird experimentiert, reagiert, verworfen, neu probiert. Und das ist doch eine gute Nachricht für jede, jeden, für alle.

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