Gender-Doku bei 3sat:Typisch männlich, typisch weiblich, typisch irgendwas
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Von Julian Dörr
Martenstein will nicht, dass es kompliziert wird. Eine eigene Toilette für das dritte Geschlecht? Für Menschen, die sich nicht in der binären Geschlechterordnung wiederfinden, die sich weder als Frau noch als Mann sehen? Unfug, sagt Martenstein. "Ich möchte nicht, dass sich das immer weiter auffächert. Ich bin sicher, dass wir dann sehr bald über die fünfte, sechste und siebte Toilette diskutieren. Und dann wird es absurd."
Harald Martenstein, Kolumnist und Autor, ist das Sprachrohr der Empörten in der ansonsten sehr sanft und unaufgeregt erzählten Dokumentation Die Abschaffung der Geschlechter der beiden österreichischen Filmemacherinnen Constanze Grießler und Franziska Mayr-Keber. Eine knappe Stunde lang bewegt sich ihre Produktion durch ein breites und kontrovers diskutiertes Themenfeld. Von Persönlichkeitsrechten intersexueller Menschen über gendergerechte Sprache bis hin zur Rosa-Blau-Falle im Kinderzimmer. Was ist typisch männlich, was weiblich? Gibt es das überhaupt? Und was liegt dazwischen?
Grießler und Mayr-Keber sind nah dran an den Menschen, sie erzählen die Geschichte von Ben, dem Kunsthistoriker, der Museumsführungen als Drag-Queen anbietet, um Geschlechtervorstellungen - auch in der Kunst - zu hinterfragen. Oder die Geschichte von Erik Schinegger, der mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, und als Erika Schinegger in den Sechzigern Ski-Gold für Österreich holte.
"Ich durfte nichts mehr sein", sagt Erik Schinegger, der als Erika Ski-Gold für Österreich holte
Als bei einem Chromosomentest festgestellt wurde, dass er eigentlich männlich sei, entschied sich Schinegger zur Operation. Vor der Kamera erzählt er, wie schwierig sein zweites Leben war, das Leben nach der OP. "Ich wollte allen zeigen, dass ich ein richtiger Mann bin." Aber der Österreichische Skiverband stellte sich dagegen. "Ich musste verschwinden. Ich durfte nichts mehr sein." Schineggers Stimme bricht. Er schluckt schwer und verstummt. In dieser Stille spürt man, welches Leid aufoktroyierte Geschlechternormen und Identitätslosigkeit im Leben von Erik Schinegger hinterlassen haben.
Wie viel diese kleine und stille Dokumentation richtig macht, zeigt auch die Geschichte von Katta. Katta identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. In der deutschen Sprache ist Katta deshalb unsichtbar. Für Katta gibt es kein Personalpronomen. Umso schöner ist es zu erleben, wie die Filmemacherinnen Katta in ihrer Doku respektieren und auch keines aufzwingen - gerade weil Martenstein kurz zuvor noch tönte, es gebe sehr wohl ein Pronomen für intersexuelle Menschen: "Er, sie, ES." Da ist er wieder, der Reflex der Privilegierten. Warum im Zweifel von oben herab bestimmen, statt für die Stimmlosen und Diskriminierten einzutreten?
Die Abschaffung der Geschlechter ist eine wohltuende Stimme in einer erhitzen Debatte. Grießler und Mayr-Keber haben eine klare Haltung, aber sie feuern nicht an, sie deeskalieren. Und zeigen mit ihrer Dokumentation auf, dass es uns vor allem an Bewusstsein mangelt. Bewusstsein für unsere Sprache und was sie auslösen kann. Aber vor allem Bewusstsein für andere Menschen. Sie zeigen, wie groß der Bedarf an Empathie, Verständnis und Respekt vor dem Leben und den Empfindungen anderer ist. Damit man nicht so endet wie Martenstein, der am Ende der Dokumentation noch immer nichts verstanden hat. Er fühle sich doch auch mitgemeint, wenn jemand "Kolleginnen" sagt. Warum bloß tun das die Frauen bei "Kollegen" nicht? Wer immer nur auf sich schaut, ist blind für die Gefühle der anderen.
Die Abschaffung der Geschlechter , 3sat, 20.15 Uhr.