Gebärdendolmetscherin beim ESC:"Ich muss immer noch eine Schippe Dramatik drauf legen"

Gebärdendolmetscherin Laura Schwengber

Körperliche Arbeit: "Bei Musik dolmetsche ich bis zum kleinen Zeh", sagt Gebärdendolmetscherin Laura Schwengber.

(Foto: Arne Marenda)

Laura Schwengber dolmetscht beim ESC die Musik für Gehörlose. Ein Gespräch darüber, wie man Klänge sichtbar macht.

Interview von Ruth Schneeberger

Laura Schwengber lebt in Berlin und ist Musikdolmetscherin. Die 28-Jährige übersetzt Worte und Klang von Musik für Gehörlose - die sie lieber Taube nennt, weil "gehörlos" so "defizitorientiert" klingt. Inklusion ist ihr ein Anliegen, seit sie zusammen mit ihrem besten Freund Edi, der im Kindesalter erst taub und dann blind wurde, neue Berührungs-Gebärden erfand, um weiter mit ihm kommunizieren zu können. Inzwischen ist sie staatlich anerkannte Gebärdendolmetscherin. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Übersetzen von Musik - so wie nun beim Eurovision Song Contest.

SZ: Frau Schwengber, Sie müssen uns erklären: Was haben Taube von einer Sendung, bei der es ums Singen geht?

Laura Schwengber: Ich habe auch lange gedacht, dass Taube mit Musik nichts anfangen können. Aber dann hat der NDR mich angefragt, um Musikvideos in Gebärdensprache zu übersetzen. Ich dachte erst: Wozu? Das Feedback zu den ersten Videos war aber dann so überwältigend, dass mir klar wurde: Mein Horizont war einfach zu eng.

Welches Feedback haben Sie bekommen?

Was taube Zuschauer mir rückmelden ist, dass sie auf jeden Fall Berührung mit Musik haben: Sie sehen überall Menschen mit Kopfhörern, Plakate für Musik und lesen in TV-Untertiteln, dass eine Szene mit einer bestimmten Musik unterlegt ist. Teilweise gehen Taube auch auf Konzerte, mit ihren hörenden Kindern oder Freunden. Dass jetzt auch der ESC gedolmetscht wird, führt dazu, dass es in der Community schon Wochen vorher große Aufregung darüber gibt, welches Land wen schickt, wer das entscheidet und was gesungen wird. Viele berichten mir davon, dass sie jetzt endlich verstehen, was Hörende an diesen Festivals und Konzerten finden. Andere können kaum glauben, mit was für banalen Texten wir uns abgeben. Ich finde das toll, das ist Inklusion. In den USA gibt es Musikdolmetschen schon länger, bei uns hat es erst vor wenigen Jahren richtig angefangen. Inzwischen dolmetsche ich 50 bis 60 Konzerte im Jahr.

Und auch Ihr Job beim ESC wurde ausgeweitet: Diesmal übersetzen Sie nicht nur das Finale, sondern haben auch die beiden Vorentscheide gedolmetscht. Wie viele Taube gibt es in Deutschland und wie viele ESC-Anhänger sind darunter?

Wegen unserer Nazivergangenheit zählen wir in Deutschland die Menschen mit Behinderung nicht mehr. Es gibt aber Schätzungen, dass etwa 80 000 Menschen seit Geburt taub sind. Der Schwerhörigenbund spricht von 16 Millionen mit Hörschaden. Die sind aber nicht alle taub und nur etwa 70 Prozent davon nutzen die Gebärdensprache. Wie viele davon Fans des ESC sind, weiß ich nicht. Auch wenn ich auf einem Konzert übersetze, kann ich nicht sagen, wie viele Taube dabei waren. Gehörlosigkeit ist unsichtbar.

Beim ESC haben Sie Kolleginnen, die die Sprache und Moderationen dolmetschen, Sie selbst sind fürs Übersetzen der Musik zuständig. Wie funktioniert das?

Ich muss dabei genau anders vorgehen als bei meinem täglichen Beruf, dem Dolmetschen von Sprache. Normalerweise versuche ich, nichts von meinen persönlichen Empfindungen in die Übersetzung zu geben, um möglichst sinngemäß die Absicht des Sprechers zu treffen. Ich darf nicht zeigen, was ich davon halte. Bei Musik ist die große Herausforderung, es anders zu machen. Dafür nutze ich viel mehr von meinem Körper. Gebärdensprache findet sonst oberhalb der Gürtellinie statt. Bei Musik dolmetsche ich bis zum kleinen Zeh - weil ich nur zwei Hände habe, auf der Bühne aber eine ganze Band steht. Man kann mit dem Knie wippen, um eine Melodie darzustellen, ich kann aber auch mit den Händen eine Welle formen. Die kann sich ganz groß aufbäumen für die hohen Töne, ich kann dann noch zusätzlich auf die Zehenspitzen gehen. Die Welle kann aber auch nach unten fallen, wild fließen oder ganz klein vor sich hin klimpern, wie ein Klavier. So wandele ich die Gebärden ab, um Rhythmus darzustellen.

"Die krasseste Woche des Jahres für mich"

Kommt Ihnen dabei zugute, dass Sie früher selbst Musikerin werden wollten?

Ja, aber bei mir hat es nicht ganz dazu gereicht. Umso mehr lege ich jetzt Wert darauf, die Emotionen darzustellen, die die Musik bei mir auslöst. Wenn der Sänger weint, muss das auch bei mir so aussehen. Wenn die Sängerin ausflippt, muss ich mithüpfen. Es soll in der Fernsehübertragung ein schönes Gesamtbild ergeben, nicht die spannende Show auf der Bühne und daneben eine Ecke für die Behinderten. Es muss zusammenpassen.

Wie bereiten Sie sich auf Ihren Auftritt vor?

Ich bekomme die Setliste und kann mir online die Texte und die Musik raussuchen. Das sind 43 Titel, 13 davon nicht auf Englisch. Auf die muss ich mich besonders gut vorbereiten, in ihrer jeweiligen Sprache. Ich lerne nicht nur den Text, sondern wandele jede Melodie in ein Bild um. Beim ESC laufen dann ja alle Lieder mit nur ein paar Minuten Pause hintereinander, da brauche in einen visuellen Anker, um schnell reinzukommen. Manchmal höre ich ein Lied dafür vorher zwei Stunden in Endlosschleife. Ich brauche etwa 40 Stunden für die Vorbereitung. Im Finale bin ich fast vier Stunden auf der Bühne. Ich muss dafür sehr regelmäßig trainieren und schon Monate vorher anfangen, um das auch körperlich zu schaffen. Die passenden Emotionen dazu wachsen aber vor allem an diesem Abend.

Was ist für Sie dabei die größte Herausforderung?

Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich ganz nackig machen muss vor der Kamera. Ich muss sehr viel von mir zeigen und davon, wie es mir geht. Ich stehe da auf einem ausgeleuchteten Punkt, wo ich ganz genau gesehen werde, und fasse plötzlich mit der Hand ins Dunkle, weil das zur Musik passt. Das tut man beim normalen Dolmetschen nicht. Oder ich fasse mir mitten ins Gesicht, um mir das Rouge durchs Gesicht zu schmieren. Und ich weiß aus dem Feedback: Ich muss immer noch eine Schippe Dramatik drauf legen.

Klingt anstrengend.

Ja, denn ich habe eigentlich denselben Anspruch wie die Künstler an diesem Abend - nur halt 43 Mal hintereinander. Weil ich auch den Anspruch habe, Kultur zugänglich zu machen für möglichst viele Leute, lässt mich das manchmal unruhig schlafen in den Wochen davor. Das ist die krasseste Woche des Jahres für mich mit drei Shows in fünf Tagen. So viele Auftritte habe ich sonst auch - aber die sind danach nicht noch ewig lang in der Mediathek zu sehen.

Und dann müssen Sie für manche Lieder auch noch improvisieren.

Vor zwei Jahren gab es beim ESC eine Justin-Timberlake-Weltpremiere. Das Lied habe ich in der Nacht zuvor auf der Juryprobe zum ersten Mal gehört. Für die Übersetzung der Liedtexte muss ich außerdem ziemlich oft neue Gebärden-Kombinationen finden. Manche Wörter, die in Liedern benutzt werden, kommen im Alltag kaum vor. Gebärden abzuwandeln, ist aber eine große Herausforderung. Denn man muss aufpassen, dass man keine Missverständnisse provoziert oder am Ende nur ich das verstehe. Es gibt zum Beispiel verschiedene Dialekte in der Gebärdensprache. Wenn man da falsch kombiniert, kann es auf einmal das Gegenteil bedeuten. Manche Ausdrücke verstehe ich auch nicht auf Anhieb, weil der Sänger so nuschelt. Da muss man schon ganz genau aufpassen.

Für wen schlägt Ihr Herz beim diesjährigen ESC?

Ich gebe mir Mühe, dass mein Herz für alle gleich schlägt, sonst würde ich es ja für den einen schöner machen als für den anderen. Vor allem versuche ich, kein Lied blöd zu finden. Der Sieger singt sein Lied am Schluss nochmal, und auch das gebärde ich wieder. Das stelle ich mir schwierig vor, wenn ich das Gefühl hätte, ich mag das Lied gar nicht.

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