Gauck in den Medien:Einig Zeitungsland

"Yes, we Gauck": Der Bundespräsidentschaftskandidat der Opposition imponiert den meisten Journalisten - selbst der Springer-Verlag hält ihn für den Richtigen.

Hans Leyendecker

Medienleute laufen oft mit Medienleuten um die Wette und bemühen sich, manchmal schnaufend, um Deutungshoheit. Einigen der Akteure ist selbst beim Rennen Lagerdenken nicht fremd: Ums Rechthaben geht es natürlich auch.

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Ein Bild wie aus dem Familienalbum: die Verlegerin Friede Springer und Joachim Gauck im Jahr 2000.

(Foto: ddp)

In diesen Tagen allerdings sind in diesem eitlen Gewerbe seltsame Phänomene zu beobachten: Deutschland ist (fast) einig Zeitungsland. Die meisten wichtigen Blätter finden die Kandidatur des von SPD und Grünen präsentierten parteilosen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck offenkundig deutlich reizvoller als die Bewerbung des von Merkel und Westerwelle ausgeguckten Kandidaten Christian Wulff (CDU) - im Internet gibt es eine ganz breite Unterstützerszene für Gauck.

Zu den Besonderheiten gehört, dass Journalisten, die vor allem über das Treiben der Parteien berichten, sich an einem Kandidaten erfreuen, der nicht von Parteipolitik durchtrieben ist. Und eigentümlich ist, dass auch einige der konservativen Springer-Blätter Gauck als charismatischen Bürgerpräsidenten und Wulff als gewöhnlichen Politprofi präsentieren. Springerintern gilt es schon fast als Kuriosum, dass sich in der verlagseigenen Berliner Morgenpost ein Kommentator für Wulff starkmachte und für den Fall der Wahl Gaucks eine "veritable Staatskrise" heraufziehen sah.

Vor vielen anderen Zeitungen hatte ein Springer-Blatt Gauck spektakulär auf den Schild gehoben: Die Welt. Ein paar Tage, bevor der Spiegel den ehemaligen Pastor auf dem Titel als den "besseren" Kandidaten vorstellen konnte (was für ein im Zweifelsfall eher linkes Blatt nicht sehr überraschend war), hatte bereits der Herausgeber der Blätter der Welt-Gruppe, Thomas Schmid, in einem Kommentar die Richtung vorgegeben: "Gauck ist der Richtige". "Yes, we Gauck", sekundierte zwei Tage später Bild am Sonntag, und die Welt am Sonntag machte reichlich "liberale Herzen" aus, die dem Kandidaten von Rot-Grün zuflögen.

Ein Sommermärchen? Besonders die konservative Welt trommelt wie eine Sambatruppe für Gauck. Verglichen mit ihm, dem Kandidaten der Opposition, sehe Wulff, der Kandidat der Kanzlerin, "schlecht aus", schrieb das Blatt und kritisierte die "Durchhaltementalität" in der schwarz-gelben Koalition ("Augen zu und durch?"). Es könne nicht darum gehen, den "Parteienwillen zu vollstrecken", denn es gebe auf der anderen Seite einen Kandidaten, "der von einer breiten, vage demokratiehungrigen Bewegung getragen wird und der doch keine Sekunde lang das populäre Anti-Parteien-Ressentiment bedient".

Ist Springer nicht mehr Springer? Das größte Zeitungshaus in Europa fiel in seiner Geschichte kaum einmal durch besondere Sympathie für Kandidaten von SPD oder gar Grünen auf. Manchmal offen, meist verdeckt haben Springer-Blätter vor wichtigen Wahlen für die Bürgerlichen Position bezogen. Einst haben sogar Repräsentanten des Verlags in seltsamen Unterstützer-Kreisen wie dem Umfeld der Staatsbürgerlichen Vereinigung versucht, selbst Politik zu machen. Der Union wurde die Richtung des jeweiligen Wahlkampfs vorgegeben. Der Springer-Verlag positionierte sich früh als pro-amerikanisches, pro-israelisches, pro-marktwirtschaftliches Pro-WiedervereinigungsHaus; und die Präambeln, die dazu der Verleger Axel Springer 1967 definiert hat, gelten bis heute.

Kampf den Roten auf allen Ebenen war fast durchgängig die Parole. Es war schon eine Sensation, als sich Bild im Bundestagswahlkampf 1998 eher raushielt und weder für Helmut Kohl noch für Gerhard Schröder warb.

Rechts vom Geist

Beim Vorzeigeblatt des Verlags, der Welt, waren liberale Schreiber meist unten und konservative Schreiber fast immer oben. Kampfjournalisten hatten, früher zumindest, das Sagen, von denen nicht wenige rechts vom Geist standen. So beklagte Anfang der neunziger Jahre ein Ressortleiter das "Appeasement" der Konservativen gegenüber den Linken. Seine Doktorarbeit hatte er dem Thema "Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs" gewidmet. Der zeitweilig sehr starke Rechtsdrall war, neben anderem, der Auflage nicht förderlich.

Vor diesem Hintergrund ist die Berichterstattung über Gauck auf den ersten Blick erstaunlich, auf den zweiten Blick allerdings nicht mehr.

Die Offensive für Gauck wird bei Springer vor allem vom Welt-Herausgeber Thomas Schmid, 64, getragen. Ein Journalist mit einer wechselhaften Karriere. Während Gauck zu allen Zeiten im Wortsinn ein Bürger war, war Schmid zeitweise antibürgerlich. Als radikaler Achtundsechziger gehörte er dem "Revolutionären Kampf" an. Er war Lektor im Wagenbach-Verlag, arbeitete für so unterschiedliche Zeitungen wie taz, Hamburger Morgenpost, Frankfurter Allgemeine Zeitung und war auch Chefredakteur der Welt. Wenn einer einen solchen Weg geht, halten ihn ehemalige Gefährten oft für einen Renegaten. Wer eher freundlich gestimmt ist, findet so einen unangepasst. Das letztere trifft auf Schmid wohl eher zu. Auffällig ist, dass sich seit 1998 seine Wege mit denen Gaucks häufiger kreuzten.

Der eher spröde Schmid, so scheint es, bewundert den Bürger Gauck. Als im Spätherbst vergangenen Jahres der Christdemokrat Hans-Gert Pöttering, der erstmals 1979 ins Europarlament gewählt worden war, Chef der Konrad-Adenauer-

Stiftung (KAS) wurde, fand Schmid diese übliche Wahl "nicht klug". - "Adenauer ohne Charisma", schrieb er. Es wäre besser gewesen, die Stiftung nicht mit einem verdienten Parteimann zu besetzen, sondern mit einem Mann, der "Glanz" bringen könnte: "Joachim Gauck etwa wäre eine Persönlichkeit, die der KAS jene Bekanntheit verschaffen könnte, die ihr und der CDU gut täte." Als Horst Köhler zurücktrat, dachte Schmid gleich an Gauck - noch bevor SPD und die Grünen ihre Chance sahen, Merkel zu schaden.

Der linke, liberale, konservative Kandidat Gauck imponiert vielen Springer-Leuten. Als im Mai dieses Jahres der Journalistenpreis der Springer-Akademie verliehen wurde, hielt Gauck die Rede, und sogar abgezockte Führungskräfte des Zeitungskonzerns wirkten danach regelrechte aufgewühlt.

Gauck hatte über die Freiheit geredet, die ohne eigene Verantwortung und ohne Liebe zur Wahrheit nicht zu haben sei. Sein Verständnis von Liberalismus und Bürgerlichkeit treffe sich, so sehen es einige führende Springer-Leute, mit den Feststellungen des 1985 verstorbenen Verlegers Axel Springer.

Und was macht Bild? Das Blatt, das immer noch die meisten anderen Springer-Blätter nährt, ist auch nicht auf Wulff-Kurs gegangen. Chefredakteur Kai Diekmann, 46, der seit neuneinhalb Jahren bei der Boulevardzeitung das Sagen hat und durchaus kampagnenfähig ist, hält bei der Präsentation der beiden Kandidaten auffällig die Balance.

Ohnehin mutiert Diekmann, dessen Idol Helmut Kohl geblieben ist, immer mehr zum Unterhaltungskünstler. Er tritt sogar gelegentlich als Genosse bei der taz auf. Neulich parodierte er hundert Tage als Blogger das Gewerbe, die Welt und Diekmann. Sein neuestes Rollenspiel als Telekom-Opfer Kai D. in Spiegel-TV wurde bei YouTube zum Hit. Komödiant Diekmann ist zum Matze Knop des Journalismus geworden - und vermutlich ist es in diesen Tagen Matze alias Kaiser Franz alias Luca Toni ziemlich egal, wer am 30. Juni die Wahl gewinnt.

Hauptsache, auf dem Platz siegt der Richtige.

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