Süddeutsche Zeitung

Game of Thrones:Von der unbändigen Wut auf ein Ende

Warum hassen viel Menschen die letzte Staffel von "Game of Thrones" so sehr, dass sie eine Neuverfilmung fordern? Die wichtigsten Gründe.

Von Janne Knödler

Diese Analyse setzt sich mit der Kritik vieler Fans an der letzten Staffel von Game of Thrones auseinander. Dabei gibt es einige Spoiler-Elemente. Sollten Sie die letzte Staffel noch nicht gesehen haben, hören Sie deswegen an diesem Punkt lieber auf. Die finale Folge "Der eiserne Thron" wird nicht gespoilert.

Fans entwickeln eine besondere Beziehung zum Objekt ihres Fantums, eine Art Besitzanspruch. Das gilt für alle Serien, aber doch besonders für Game of Thrones. Die Serie, die ihre Zuschauer seit acht Jahren begleitet, lädt mehr als andere dazu ein, ja, fordert es fast, sich mit ihr in Beziehung zu setzen: Weil so viel passiert, das eingeordnet werden möchte, weil die Erzählstränge so komplex wie zahlreich sind - und die Charaktere so ambivalent. Wer alle gut viertausend Minuten angeschaut hat, hat vermutlich auch noch einmal genau so lange diskutiert, analysiert, nachgelesen; jeden Nebensatz interpretiert, Wetten abgeschlossen, Theorien gesponnen.

Man denkt also, man versteht die Serie. Was im nächsten Schritt leicht heißen kann: Man versteht sie besser als ihre Showrunner David Benioff und D.B. Weiss. Und so wimmelt es in der von Hot-Takes getriebene Welt von Twitter und Reddit vor Hobby-Fernsehkritikern, die Produktion und Post-Produktion, Ausleuchtung und Schnitt, Dialog und Handlung auseinandernehmen. Einig ist man sich vor allem bei einem: Die achte Staffel ist eine große Enttäuschung. Dabei gibt es fünf große Kritikpunkte:

Die Inkonsistenz zwischen Buchvorlage und Serie

George R.R. Martin, der Autor der Bücher, beschrieb einmal zwei Typen von Geschichtenerzählern: den Architekten und den Gärtner. Sich selbst bezeichnet er als Gärtner, als einer also, der Charaktere schafft, wie man Samen einpflanzt: Zu was sie heranwachsen, weiß man selbst noch nicht, wie ein Konflikt ausgeht, ergibt sich aus der Interaktion der Beteiligten, die innerhalb ihrer eigenen Logik bleiben. Benioff und Weiss dagegen, die Showrunner der Serie, sind Architekten. Architekten wissen im Vorhinein, was sie bauen wollen, kennen die fertige Struktur (im Fall einer Handlung also auch ihren Ausgang), und überlegen dann, wie ihre Charaktere handeln müssen, um dort hinzukommen.

Dieses Vom-Ende-Her-Denken erhöht das Tempo der Handlung, die bei Martin immer wieder hin- und her treibt wie ein Segelboot bei Windstille. Die Ausrichtung am Ziel sorgt aber auch dafür, dass hinter den Worten und Taten der Charaktere immer mehr die Federstriche der Autoren durchscheinen. "Das würde Arya nie machen", klagt das Internet dann, als sie in "Die Glocken" plötzlich davon absieht, ihren Racheplan zu verwirklichen - obwohl das Rachemotiv ihre gesamte Charakterentwicklung seit der ersten Staffel vorangetrieben hatte. Arya, wissen die Fans, hat keine Angst vor dem Tod; Arya kennt keine Gnade; Arya hat keine Zeit für Gefühlsduseleien. Ihr plötzlicher Sinneswandel entsteht nicht aus ihrem Charakter heraus, sondern, weil Weiss und Benioff sie noch brauchen. Dass die beiden ihre Entscheidungen in den Making-Of-Videos erklären, macht es nicht besser - sie sollten es nicht erklären müssen.

Niemand stirbt mehr!

Das Spiel um den Thron war immer auch eine Geschichte über den Tod. "Valar Morghulis", jeder muss sterben, ist schließlich einer der Leitsprüche der Serie. Martin schrieb über die unvermeidlichen Konsequenzen der Entscheidungen seiner Charaktere - Ned Stark versucht, Joffrey vom Thron zu vertreiben, indem er an die Ehrenhaftigkeit seiner Unterstützer appelliert? Gut, aber dafür wird er hingerichtet. Robb hintergeht und kränkt den gehässigen Walder Frey? Natürlich wird der ihn verraten. Prinz Oberyn fordert den Berg, den stärksten Mann Westeros, in ausgestellter Überheblichkeit zum Duell heraus? Na, wie das wohl endet?

Was war Ihr ganz persönliches Best of GoT?

Hodor, die Red Wedding oder vielleicht "You know nothing, Jon Snow"? Welcher Charakter, welcher Moment oder welches Zitat aus Game of Thrones wird Ihnen am meisten in Erinnerung bleiben? Schicken Sie uns Ihr ganz persönliches Best of GoT mit einer kurzen Begründung an kultur-online@sz.de - und nennen Sie uns Ihren Namen (Nachname auch abgekürzt). Eine Auswahl der Einsendungen wird auf SZ.de veröffentlicht.

In "Die Lange Nacht", der dritten Episode der achten Staffel, wird Winterfell von der Armee der Toten überrannt. In dieser Schlacht stehen viele wichtige Charaktere in den ersten Reihen: Brienne, Jaime, Sam, Tormund, Greyworm - alle werden sie niedergerissen, umzingelt, an die Wand getrieben. Gestorben sind sie nicht. Zu dick war die Rüstung des Skripts, die die Macher um sie legten.

Game of Thrones war immer auch ein bisschen Masochismus, ein "warum tue ich mir das eigentlich an?". Verzweiflung, Furcht, und dann: Weiterschauen. Das kollektive Trauma der Serie verband seine Zuschauer. Und plötzlich überleben Charaktere, nur, weil die Zuschauer sie lieben? Für viele ist das ein Symbol des Ausverkaufs von Martins knallharter Realpolitik-Logik an HBOs Hollywood-Sonnenschein-Kitsch. Der Sieg gegen die Armee der Untoten schmeckt nur halb so süß, weil der Preis dafür nicht gezahlt wurde.

Die Serie verrät ihre Protagonistinnen

Game of Thrones war schon immer ein problematischer Favorit für alle, die nicht finden, dass Vergewaltigung ein bisschen sexy ist. Immer wieder kosteten Serie und Bücher sexuelle Gewalt gegen Frauen aus. Alles für ein bisschen mehr Drama. Und doch war da Entwicklung: Während sich das Skript von den Ausgeburten der Fantasie eines alten, weißen Mannes entfernte, durften die weiblichen Charaktere wachsen, an Selbstbestimmung gewinnen, sich gegen unfähige und paternalistische Männer stellen.

Und dann kam die achte Staffel und machte alle keimenden feministischen Hoffnungen zunichte. Die Zuschauer mussten Brienne von Tarth, der furcht- und selbstlosesten aller Ritter, in "Die Letzten der Starks" dabei zusehen, wie sie schluchzend einen Mann anbettelte, doch bei ihr zu bleiben, im Nachthemd, statt wie gewohnt in voller Rüstung. Sansa Stark hatte sich über acht Staffeln zu einem der intelligentesten, vorausschauenden Charaktere entwickelt - und bedankte sich in Episode vier dafür bei den Männern, die sie misshandelt hatten: "Ohne Littlefinger und Ramsay und den Rest wäre ich für immer ein kleines Vögelchen geblieben." Als wäre Vergewaltigung ein Lernprozess, als wäre persönliches Wachstum der Verdienst der Peiniger, als würden erst Misshandlungen einen Menschen stark machen. Und in Daenerys sehen ihre männlichen Berater plötzlich keine geeignete Herrscherin mehr, weil sie überemotional und unkontrollierbar sei? Und dann ermordet sie tausende Unschuldige, weil ihr Freund/Neffe Jon Snow sie nicht mehr küssen will? Für alle, die auf den feministischen Lockstoff reingefallen waren, den die Macher hier und dort eingestreut hatten, ist die achte Staffel eine Erinnerung: Wenn nur Männer eine Serie schreiben, kommt halt eine Männerserie heraus.

George R. R. Martin schreibt oft so, als hätte er alle Zeit der Welt. Die Handlungsstränge driften über drei Kontinente in verschiedenen Zeitstrahlen, Schlussstriche gibt es frühestens in zwei Büchern, wenn überhaupt. Nicht so bei der Serie: Auch wenn HBO diese Gelddruckmaschine am liebsten so lange wie möglich am Laufen gehalten hätte, schlugen die Showrunner Benioff und Weiss das Angebot, die Serie zu verlängern, aus - dreizehn Folgen müssten reichen. Nun muss zusammengeführt werden, was noch weit voneinander entfernt ist, und, kein Wunder, oft fühlt sich dies hektisch an. Nach der Schlacht gegen die Armee der Untoten, auf die die Serie seit sieben Staffeln (sieben Staffeln! Angeblich der einzige Kampf, der zählt!) hinarbeitet, folgt schon zwei Folgen später die finale Schlacht gegen Cersei. Zeit zum Ausruhen haben weder die Armee des Nordens noch die Zuschauer.

Auch die Evolution der Charaktere leidet unter der Hektik des Finales: Jaime, dessen Entwicklung wohl eine der kontinuierlichsten der Serie war, verlässt Cersei, um an der Seite der Lebenden zu kämpfen, nur, um zwei Folgen später zurück zu ihr zu reiten. Daenerys' Wahnsinn, angeblich genetisch bedingt, konnte sich nicht langsam und stetig entwickeln, sondern wurde zwei Folgen lang ohne Anhaltspunkte beschworen. Ganz zu schweigen von den zahllosen Storylines, die nie aufgeklärt werden konnten, weil einfach keine Zeit war: Wohin sollte Cerseis Schwangerschaft führen? Welchen Sinn hatte Euron Greyjoys Existenz? Und was, verdammt noch mal, tat Bran eigentlich in der Schlacht gegen die Weißen Wanderer?

Gebrochene Herzen

Games of Thrones war nie nur eine Serie, sondern ein kulturelles Ereignis. Eine der letzten TV-Serien, die verband, nicht fragmentierte. Eine, die (fast) alle sahen und zu der jeder eine Meinung hatte. Vermissen werden die Zuschauer nicht nur die Charaktere selbst, sondern auch die Konversationen, die die Serie anzettelte.

Mit der letzten Staffel geht also auch eine Ära zu Ende. Wenig überraschend können die letzten Folgen den Abschiedsschmerz nicht lindern, der umso schwerer wiegt, wenn man weiß, dass die Macher alle Zeit und alles Geld der Welt hätten haben können, um die Serie etwas behutsamer, langsamer, liebevoller zu Ende zu bringen, ihre Zeit in Zukunft aber lieber Anderem widmen. Den Ultrafan konfrontiert dies mit seiner eigenen Machtlosigkeit. Daran wird auch die Petition, die ein Remake der achten Staffel fordert, nichts ändern. Alles ist vergänglich, auch die womöglich größte Serie aller Zeiten. Hinter der scharfen Kritik an der achten Staffel, ihrer Handlung und ihren Machern, stecken also am Ende auch und vor allem: Millionen gebrochener Fanherzen.

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