Süddeutsche Zeitung

Medienunternehmen in Berlin:"Wir sind dabei, gehören aber nicht dazu"

  • Gabor Steingart will den Journalismus mal wieder neu erfinden.
  • Der Journalist, Buchautor und ehemaliger Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt kündigt die Gründung der Media Pioneer Publishing an.
  • Finanziert wird das Unternehmen von der Axel Springer AG, als Zentrale soll ein Schiff auf der Spree dienen.

Von Caspar Busse

Alle Großen kommen vor, wenigstens ganz kurz: Angela Merkel, Donald Trump, der Papst, Greta Thunberg, Joe Ackermann, Gerhard Schröder und Martin Luther King. Aber die Hauptrolle in diesem kurzen Werbevideo spielt Gabor Steingart. "Journalismus beginnt dann, wenn andere wollen, dass du schweigst", sagt er mit bedeutungsschwangerer Stimme. Und fügt an: Das Problem seien harmlose Journalisten (im Hintergrund der ARD-Schriftzug) sowie Halbwahrheiten und Märchen (zu sehen ist ein Spiegel-Cover). Deshalb müsse es nun einen "Neustart" für unabhängigen Journalismus geben.

Gabor Steingart, 56, Journalist, Buchautor und ehemaliger Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt, will nichts Geringeres als den Journalismus neu erfinden. "Wir wollen als erste deutsche Redaktion ohne Werbegeld arbeiten, weil wir glauben, dass publizistische Unabhängigkeit und finanzielle Abhängigkeit von großen Anzeigenkunden nicht mehr in die Zeit passen", sagt er und kündigte am Dienstag die Gründung der Media Pioneer Publishing an, die bald in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden soll.

Einen Geldgeber hat er jedenfalls schon gefunden: Die Axel Springer AG, Verlag unter anderem von Bild und Welt, wird sich mit 36 Prozent an dem neuen Unternehmen beteiligen. Vorstandschef Mathias Döpfner sprach von "verlegerischen Partnern", man werde gemeinsame Projekte entwickeln und auch beim Ausbau von Reichweite und Technologie helfen. "Durch den Einstieg von Springer fließt kein Cent an mich persönlich. Das Geld fließt in die Firma, um den Aufbau dieser Redaktion zu finanzieren", betont Steingart. Das neue Unternehmen sei damit über einige Jahre finanziert. Wie viel Kapital bereitgestellt wird, wollten beide Seiten nicht mitteilen. Angeblich handelt es sich insgesamt um ein Volumen von etwa 15 Millionen Euro. Steingart selbst hat bisher 1,6 Millionen Euro in den Aufbau gesteckt.

Springer hat bereits in andere neue digitale Geschäftsmodelle investiert, etwa in die amerikanische Wirtschaftsplattform Business Insider, das europäische Politico oder in das digitale Geschäft mit Kleinanzeigen. Das Internetgeschäft trägt bereits 74 Prozent zum Umsatz und fast 87 Prozent zum Gewinn bei. An Media Pioneer hält Springer nun ein gutes Drittel, der Rest verteilt sich auf Steingart und das Management. Auch Mitarbeiter sollen Anteile bekommen, derzeit sind es 20, darunter als Chefredakteur der scheidende Chef der Rheinischen Post, Michael Bröcker, bis zu 30 Beschäftigte sollen nun dazu kommen.

Leser sollen künftig ebenfalls Geldgeber und Aktionäre werden können (ähnlich wie die Genossen der taz). Etwa zehn Prozent der Anteile seien dafür vorgesehen, geplant sei die Ausgabe von Namensaktien, sodass die Firma immer weiß, wer die Aktionäre sind. "Wir wollen das deutsche Bürgertum für die Meinungsfreiheit mobilisieren", sagt Steingart, der selbst auf absehbare Zeit die Mehrheit an dem Unternehmen behalten will. Zudem soll den Lesern die Chance gegeben werden, sich selbst journalistisch zu betätigen und an den großen Debatten teil zu haben. Dazu soll eine eigene Akademie gegründet werden, die "bei der Ertüchtigung hilft", wie Steingart sagt.

Auch äußerlich will man sich von anderen Medienunternehmen deutlich unterscheiden. Herzstück soll ein Schiff werden, 40 Meter lang und sieben Meter breit, das bereits geplant ist und nun gebaut werden soll. Mit Elektroantrieb soll es von 2020 an auf der Spree unterwegs sein und eine Plattform für Gespräche mit Lesern und Nutzern sein, ausgestattet mit Newsroom, Tonstudio und Veranstaltungsbereich. Clubmitglieder und Anteilseigner erhalten exklusive Zugänge. Steingart: "Das Schiff und die Dauerpräsenz einer Redaktion in unmittelbarer Nähe zu Reichstag, Bundespräsidialamt und Bundeskanzleramt ist auch ein Symbol unserer Wächterfunktion: We are watching you. Wir sind dabei, aber gehören nicht dazu."

Im Februar vergangenen Jahres war Steingart als Handelsblatt-Herausgeber und -Geschäftsführer vom Verleger Dieter von Holtzbrinck mit sofortiger Wirkung abberufen worden. Als Grund galten "Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen". Die Verhandlungen zur Vertragsauflösung dauerten bis Jahresende. Für das Handelsblatt hatte er einen täglich erscheinenden Newsletter entwickelt, der zu einem Erfolg wurde. Nach dem Ausscheiden machte er mit einem eigenen "Morning-Briefing" weiter, das täglich verschickt wird und derzeit rund 100 000 Menschen erreicht. Die Podcasts hätten bis zu 400 000 Abrufe pro Woche. Woher künftig Einnahmen kommen sollen, sagte Steingart nicht, auch nicht, wie der Geschäftsplan aussehen wird. Aber er versprach per Werbevideo: "100 Prozent Journalismus. Keine Märchen."

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SZ vom 08.05.2019/cag
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