Süddeutsche Zeitung

Fußball-Fan-TV:Herr Bürki und die Berge

Alle 18 Bundesliga-Vereine haben eigene Fan-Sender im Internet. Vor allem reiche Klubs bieten hochprofessionelle Präsentationen - und führen in eine sehr besondere Welt.

Von Korbinian Eisenberger

Norbert Dickel sitzt in kurzen Sporthosen und Badelatschen vor dem Mannschaftsbus. Der Fan-Reporter von Borussia Dortmund führt gerade ein Exklusiv-Interview mit dem neuen Torhüter Roman Bürki für den Klub-Sender BVB total! Die Dortmunder sind im Trainingslager in der Schweiz, und Dickel stellt Fragen wie diese: Ist es in deinem Heimatkanton auch so schön wie hier in Bad Ragatz? Gibt es auch Berge dort? Hier ist ja auch der ein oder andere hohe Berg oder? Und Bürki sagt: "Genau."

Wirklich ein Plausch für Feinschmecker. Im Januar 2011 gingen die Dortmunder als einer der ersten deutschen Profi-Vereine mit einem TV-Sender online. Mittlerweile betreiben alle 18 Fußball-Bundesligisten einen hauseigenen Online-Sender, ausgestrahlt wird auf den Klub-Webseiten oder in Youtube-Kanälen, oft verbunden mit exklusiven Abo-Inhalten. Die Klub-Sender zeigen Interviews, Hintergrundberichte und Homestorys - kommentieren Spiele live im Webradio. Zu sehen sind die Partien, abgesehen von Testspielen, im Klub-TV nicht - dafür die Highlights. Ein Jahreszugang kostet im Schnitt 40 Euro, eine willkommene Zusatzeinnahme für einen Klub wie den FC Bayern mit nach Branchenschätzungen um die 40 000 Abonnements. Der FC Bayern ließ eine Anfrage zu den Abozahlen unbeantwortet, auch der BVB äußerte sich auf Anfrage dazu nicht.

Experten beobachten, dass der Zugang von Journalisten zu den Sportlern erschwert wird

Was eingefleischte Fans freut, sehen Experten kritisch. Medienwissenschaftler warnen vor einer Entwicklung, in der Fußballvereine selbst zum Medium werden. Wenn Fans und Freunde interviewen, liegt die Frage nach der Distanz auf der Hand. Der Bayerische Journalistenverband kritisierte etwa die "hauseigene Hofberichterstattung" des FC Bayern, der verkündet hatte, Fernsehbilder von nicht öffentlichen Trainingseinheiten über den Klubsender fcb.tv auszustrahlen. So schafft man Exklusiv-Inhalte.

"Journalisten wird der Zugang zu den Sportlern erschwert", sagt Thomas Horky, Professor für Sportjournalistik an der Hamburger Medien-Hochschule Macromedia. Bei Interviewanfragen würde immer häufiger auf die Bewegtbilder der Vereinsportale verwiesen, sagt er. Horky fürchtet kurzum, dass der Journalismus durch diese Manier des Auftritts im eigenen Sender verdrängt werden könnte.

Ziel sei jedoch etwas ganz anderes, zumindest behaupten das die Vereine. Der VfL Wolfsburg gibt an, mit seinem kostenlosen Angebot Wölfe TV hauptsächlich seine Fans anzusprechen, um "ganz nah dran zu sein am VfL und der Mannschaft". Ähnlich sieht das Borussia Dortmund. "Wir können und wollen bestimmte Rollen nicht übernehmen oder ersetzen", sagt ein Sprecher. Zumal, so heißt es vom BVB, die Einnahmen mit dem Bezahlsender "nicht vergleichbar" seien mit den TV-Geldern.

Für die Fernsehrechte kassieren die Bundesliga-Vereine pro Saison 628 Millionen Euro. Allein der Pay-TV-Sender Sky zahlt 485,7 Millionen Euro an die Deutsche Fußballliga (DFL), überträgt dafür alle 306 Spiele live. Auftakt der Bundesligasaison ist an diesem Freitag, wenn der FC Bayern den Hamburger SV empfängt. Dass dann zum Beispiel Verteidiger David Alaba, wie jüngst beim DFL-Supercup, von Bayern-Pressechef Markus Hörwick vors ZDF-Mikrofon gezerrt wird, ist vertraglich vereinbart: Beide Teams müssen Spieler für Statements zur Verfügung stellen, so steht es im TV-Rechte-Vertrag mit den Sendern. Nur wenige Spieler sind dann so gewitzt wie etwa Thomas Müller, der für seine raffinierten Sprüche bekannt ist. Eher üblich: Bei lästigen Fragen wird auch mal geschwiegen. Die ARD gibt sogar an, sie stelle fest, "dass es für uns als langjährigen Rechtehalter zunehmend schwieriger wird, an Interviewpartner beziehungsweise Studiogäste zu kommen".

Bequemer als Journalisten sind freilich die Fan-Reporter. "Erst mal eine ganz einfache Frage. Wie geht's dir denn im Moment?", begrüßt etwa Darmstadts Klub-Reporter den Spieler Romain Brégerie, der mittlerweile bei Ingolstadt spielt. Der Franzose schildert dann einer wackeligen Kamera, dass Darmstadt trotz des alten Stadions super sei - ungeschnitten, zwölf Minuten lang.

Videos wie diese sind in Spanien und England längst Rarität. "Dort ist diese Entwicklung wesentlich weiter", sagt Medienprofessor Horky. Englische und spanische Fußballvereine beschäftigen selbst in den unteren Ligen ganze Redaktionen, die höchst professionell arbeiten. Die Qualitätsunterschiede der Klub-TV-Sender lassen sich jedoch auch dort weniger am journalistischen Anspruch messen, als an Tabellenstand und Budget eines Klubs.

In Deutschland prescht seit Jahren Branchenführer Bayern München voran, erst recht seit 2012 der frühere Premiere-Sportmoderator Dieter Nickles im Medienteam der Bayern anheuerte. Nickles trägt vor der Kamera selten Shorts und Badeschlappen, eher Hemd und Stoffhose. Er beherrscht sein Metier. Wenn er vor der Kamera steht, könnte er damit auch im öffentlich-rechtlichen TV auftreten. Die Sendungen von Ligakrösus Bayern München sind in Anmutung und Präsentation kaum mehr von einer klassischen Fernseh-Produktion im öffentlich-rechtlichen oder privaten TV zu unterscheiden.

Dass Fan-TV trotzdem etwas anderes ist, wird zum Beispiel deutlich, wenn BVB-Reporter Norbert Dickel auftritt. Der frühere Angreifer hat nach sechs Jahren Profikarriere Antriebstrommeln für Fördergurtanlagen verkauft und später ein Küchenstudio betrieben. Mittlerweile zählt sein Gesicht zu den bekanntesten der Klub-TV-Szene. Die Fans schätzen ihn für seine lockere Art und seine Live-Kommentare im BVB-Radio, in denen klar wird, dass er selbst Anhänger des Vereins ist. Wer seine Interviews sieht, erwartet keine Fragen mit journalistischer Distanz.

Die Fan-Sender lieben Adjektive wie "perfekt" und "optimal". Kritisches wird ausgespart

Zugegeben: Die Fußball-Reporter von ARD, ZDF und Sky sind auch nicht unbedingt für immer elegante Formulierungen oder kreatives Herantasten bekannt. Mitunter trauen sie sich aber auf kritisches Terrain. Bei HSV total!, Schalke TV und all den anderen Klubsendern fallen dagegen meist Adjektive wie "perfekt" und "optimal". Der VfL Wolfsburg zeigt im Klub-TV etwa ein Sicherheitsfahrtraining beim Sponsor, einem Autohersteller. Mit dabei ist auch Bankdrücker André Schürrle, der grinst, als habe ihm Chefcoach Dieter Hecking eine Stammplatzgarantie erteilt. "Weil wir unseren Fans auch diesen Blick hinter die Kulissen bieten wollen", begründet ein VfL-Sprecher den Auftritt. Wölfe TV sei "auch ein Medium für die bunten Themen" und biete Fans nicht allein Dinge, "die für die Öffentlichkeit einen hohen Nachrichtenwert haben". Mit anderen Worten: Wölfe TV erfüllt einfach die Erwartungen, die Klub-Anhänger an einen Fan-Sender haben dürften.

Doch ist das auch dann noch der Fall, wenn Kritisches ausgespart wird? Die Münchner Version fcb.tv zeigt etwa einen fünfminütigen Film über das jüngste Stadtderby der zweiten Mannschaft gegen die Amateure des TSV 1860. Darüber, dass es zu Randalen kam und 900 Polizisten im Einsatz waren, verliert die Off-Stimme im Video kein Wort. Zu den Gründen für diese Gewichtung bei fcb.tv äußerte sich der FC Bayern auf Anfrage bis Redaktionsschluss nicht. Das Publikum sei durchaus in der Lage, die Fan-TV-Berichterstattung einzuordnen, sagt Horky. Etwa auch, dass Informationen weggelassen werden, die in anderen Medien genannt werden. "Den Zuschauer", sagt Horky, "den darf man nicht unterschätzen."

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Quelle:
SZ vom 12.08.2015
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