"Berliner Morgenpost":Frauen fördern, Frauen feuern

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Vor fünf Jahren wurde Christine Richter Chefredakteurin der "Berliner Morgenpost" - und zum Aushängeschild für den Verlag. (Foto: Reto Klar/Berliner Morgenpost/dpa)

Christine Richter war die erste Frau an der Spitze einer Funke-Tageszeitung. Nun wird sie überraschend entlassen. Peinlich - vor allem für ihre Verlegerin Julia Becker.

Von Anna Ernst

Christine Richter war nie nur eine Chefredakteurin, Christine Richter war das Symbol für einen neuen Zeitgeist. Als die Journalistin vor fünf Jahren zur Chefredakteurin der Berliner Morgenpost berufen wurde, war das ein großer Schritt für ihren Verlag. Insgesamt zwölf Tageszeitungen in fünf Bundesländern gehören bis heute zur Funke Mediengruppe - und Richter sollte die erste Frau überhaupt an der Spitze einer dieser Redaktionen sein. Noch dazu in der Hauptstadt, bei dem seit Jahrzehnten alteingesessenen Westberliner Blatt, das Funke als Teil eines Multi-Millionen-Deals vom Axel-Springer-Konzern übernommen hatte.

Richters Berufung war die erste Personalentscheidung mit Strahlkraft, die unter der Ägide der Verlagserbin Julia Becker getroffen worden war. Becker selbst hatte erst im Januar 2018 - also wenige Monate vor Richters Berufung - den Vorsitz des Aufsichtsrats übernommen. Sie war neu im Geschäft, bekam als Frau unter 50 den harten, oft testosterongeschwängerten Gegenwind der Branche zu spüren, wie sie später selbst erklärte. Aber die frischgebackene Verlegerin wollte im Sinne ihrer Familie das Geschäft mitgestalten - und die Berufung Christine Richters zur Chefredakteurin passte perfekt zu ihren Vorstellungen.

Nach SZ-Informationen war es eine kurzfristige Verlagsentscheidung, sich von Richter zu trennen

Mittlerweile, fünf Jahre später, ist aus Julia Becker eine Verlegerinnen-Persönlichkeit geworden, die keine Podien mehr scheut, in Podcasts auftritt, sich erst kürzlich mit Gastbeiträgen in der Süddeutschen Zeitung und in der FAZ zu aktuellen Debatten äußerte. Beckers neues Image führt - auch ihrem PR-Berater sei Dank - zum lauten Ruf nach mehr "Diversity" in den Medien.

Sie will Frauen fördern: "In den Redaktionen großer Zeitungen und Zeitschriften ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen deutlich gestiegen", schrieb Funke-Verlegerin Julia Becker vor wenigen Wochen erst in ihrem Gastbeitrag für die SZ. (Foto: Medienfachverlag Oberauer GmbH/Funke)

Doch ausgerechnet jetzt wird das Frauenpower-Aushängeschild Christine Richter als Morgenpost-Chefredakteurin wie eine heiße Kartoffel fallengelassen.

Am Donnerstag teilte der Verlag ihren Abgang mit. Nach SZ-Informationen war es eine kurzfristige Entscheidung, die Christine Richter unvorbereitet getroffen haben soll. Sie selbst äußert sich dazu auf Anfrage nicht. Die Funke-PR-Abteilung jedenfalls macht sich in einer Pressemitteilung gar nicht erst die Mühe, einen Grund für Richters Ende als Chefredakteurin anzugeben. Richter "verlässt das Unternehmen", heißt es dort so kurz wie schnöde.

Auf wessen Wunsch hin das geschieht, wird nicht erläutert. Dass das Ende nun aber abrupt kommt, davon zeugt auch die Tatsache, dass aktuell noch keine Nachfolge für die Spitze der Berliner Morgenpost gefunden wurde. Der Posten bleibt zunächst vakant. Jörg Quoos, seines Zeichens Chef der Funke-Zentralredaktion, die alle verlagseigenen Zeitungen mit überregionalen Inhalten beliefert, soll als "Herausgeber" in die Bresche springen. Gemeinsam mit ihm wolle man "die Berliner Morgenpost strategisch weiterentwickeln" teilt Geschäftsführer Christoph Rüth mit.

Für Richter findet der Manager in der Pressemitteilung zumindest einige Abschiedsworte: Man danke ihr "für Ihren unermüdlichen Einsatz", heißt es dort. Und weiter: "Sie hat der Zeitung eine klare inhaltliche Linie gegeben und mit vielen neuen Formaten zu einer lebendigen Hauptstadtzeitung gemacht. Wir wünschen ihr für den weiteren beruflichen und privaten Lebensweg alles Gute." So klingt es in der PR-Sprache, wenn man eine Frau, die sich nach Kräften bemühte, den Auflagenschwund auf dem schwierigen Berliner Zeitungsmarkt zu bremsen, hochkant vor die Tür setzt.

Der Berliner Zeitungsmarkt ist hart umkämpft - und Richter stand für eine klare Linie

Im dichten Gemenge aus Tagesspiegel, Berliner Zeitung und den großen überregionalen Medien wie Taz, Welt und Bild, die in Berlin ansässig sind, hatte es die Morgenpost zuletzt besonders schwer. Ihr Alleinstellungsmerkmal aber war es, eine starke bürgerliche Regionalzeitung aus dem Westen zu sein - eine Art konservative Gegenstimme zum Tagesspiegel, dem klaren Marktführer unter den Regionalmedien. Christine Richter schrieb scharfe Kommentare in Richtung der ehemaligen rot-rot-grünen Regierung, beobachtete zuletzt wohlwollend die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen nach der Wiederwahl. Dem Blatt gab sie damit in der Tat eine "klare inhaltliche Linie", wie Rüth schreibt.

Trotzdem wurde sie bereits im vergangenen Jahr schrittweise entmachtet. Das Online-Portal morgenpost.de wurde vom Sommer an von der Zentralredaktion mitbetrieben. Auch der traditionelle Sitz am Ku'damm wurde aufgegeben, die Morgenpost musste in die Nebenräume der Zentralredaktion an der Friedrichstraße einziehen. Intern vermuten manche Journalisten seitdem bereits, dass die Morgenpost eine Art "Sterbekandidat" ist, der zum diesjährigen 125. Geburtstag nur noch am Tropf der Zentralredaktion hängt. Chefredakteurin Richter aber soll nach SZ-Informationen stets Rückgrat gezeigt und auch der Geschäftsführung mehrfach die Stirn geboten haben.

Dass es bei Funke öfters in diesen oberen Führungsebenen des Verlags rumorte, ist bekannt: Immer wieder war in der Branche von Streitigkeiten unter den Geschäftsführern die Rede. Im Jahr 2021 hatte es sogar zwei Abgänge gegeben: Michael Wüller und Andreas Schoo waren mit hohen Abfindungen vor die Tür gesetzt worden.

Angesichts der neuesten Personalie aber muss man sich fragen: Weiß Verlegerin Julia Becker eigentlich, was ihre Manager da treiben?

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