Führungsschwäche in Magazinverlagen:Schnappatmung

Verlagsgebäude 'Der Spiegel'

Das Verlagsgebäude des Spiegel in Hamburg. In den vergangenen zwei Wochen kamen von hier Nachrichten, die sich um das Blatt selbst drehten.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

Wer sind wir - und warum immer weniger? Dass die Nachrichtenmagazine "Spiegel", "Stern" und "Focus" gleichzeitig ihre Krisen kultivieren, deutet auf eine ansteckende Krankheit hin.

Von David Pfeifer und Ralf Wiegand

Zwei Chefredakteure sind schon gefeuert, einer liegt noch auf dem Grill: In den vergangenen zwei Wochen haben Spiegel, Stern und Focus die gesamte Medienbranche wieder mit Nachrichten beliefert - nur anders, als sie sich das wünschen würden. Sie selbst sind erneut Gegenstand der Berichterstattung geworden, und die Frage, die sich stellt, ist die: Kann es Zufall sein, dass die drei prominentesten Magazine gleichzeitig Schnappatmung bekommen, als hätte eine böse Fee ihnen im Traum geflüstert, dass spätestens übermorgen die alte Welt, in der sie mal etwas galten, endgültig untergeht? Ist Panik ansteckend?

Zuerst musste Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann gehen, übrigens aus Gründen. Eine Erklärung wäre zum Beispiel, dass Magazine gute Geschichten verkaufen sollten, die der Leser gern liest - und nicht irgendwelche Lebenswelten. Der Stern, so verkündete Wichmann sehr kurz vor seinem Rausschmiss, wolle künftig das Thema Inspiration im hinteren Heftteil und den Lesegenuss wiederum in der Mitte arrangieren, weil der Leser am Donnerstag noch in der Woche stecke, aber sich gedanklich schon aufs Wochenende einstelle. Hmm. Tut der Leser das? Wirklich? Jedenfalls war es Wichmanns Idee, das Blatt ein bisschen so zu ordnen, wie man Kissen auf dem Sofa ordnet.

Jäkel umschmeichelt Wichmann, als wolle sie ihn adoptieren

Julia Jäkel, die Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, hätte nun also sagen können, dass sie das nicht verstehe und dass man vielleicht weniger auf die unsichtbare Seele der Leser als vielleicht auf die Textqualität und -relevanz der Redakteure schauen sollte. Davon aber kein Wort. Stattdessen umschmeichelte sie Wichmann, als wollte sie ihn adoptieren. Das wirkte nicht einmal gespielt. Eher ratlos.

Vielleicht beherrscht Jäkel aber auch nur den alten Verlagsleiter-Trick besonders gut, harte Entscheidungen als Schicksalsschläge zu verkaufen. So hält man Distanz zur inhaltlichen Schwäche des Produkts. Der Stern taumelt orientierungslos durch diese immer neuen, frei erfundenen Lebenswelten. Nur wenn es die wirklich gibt, leben dort auch Käufer. Es ähnelt der Suche nach Leben im Weltall.

Die offensichtliche Gemeinsamkeit in den drei Verlagshäusern ist eine Binse: Die Magazine sind unter Druck, der allgemeine Auflagenschwund, der allen Printerzeugnissen zu schaffen macht, manchen allerdings mehr, manchen weniger, verlangt nach neuen Konzepten. Die Anzeigenkunden, jahrzehntelang Hauptfinanziers der Magazine, machen sich rar. Vor allem die Verlagsleute stimmen diesen Kassandra-Gesang besonders laut an. Mittlerweile wird das Unken auch zur Methode. Der tatsächliche Missstand wird also weggeunkt - der Wandel in den Verlagskulturen.

Siehe Spiegel. Wenige Tage nach Wichmanns Verabschiedung stellte dort Chefredakteur Wolfgang Büchner so etwas wie eine Vertrauensfrage vor den Gesellschaftern, nachdem er das Vertrauen der Print-Redaktion schon seit Langem weitgehend verspielt hat. Er überstand diesen kritischen Moment, gemeinsam mit Verlagsleiter Ove Saffe - scheinbar. Die von Büchner geplante sofortige organisatorische Umstrukturierung von Print- und Onlineredaktion zum "Spiegel 3.0" wurde verschoben, zunächst soll er zwei Monate in der Belegschaft dafür werben - und das Blatt, so heißt es, solange nicht machen. Ein Chefredakteur, der sein Blatt nicht machen soll?

Man nennt so etwas Himmelfahrtskommando, denn Büchner müsste in acht Wochen die ablehnende Meinung von mehr als Dreiviertel aller Redakteure drehen, die sich in den bald 52 Wochen seines Wirkens überhaupt erst aufgebaut hat. Das Memorandum gibt daher nicht Büchner Zeit für seine Reform, sondern der Geschäftsführung Luft für die Suche nach Nachfolgern, während praktischerweise schon andere das Blatt machen.

Wäre Büchner ein Trainer, würden jetzt jeden Montag eine Menge Sportfotografen an der Hamburger Ericusspitze auf ihn warten, denn jeder Gang in die Kabine könnte der letzte sein. Solche Situationen kennt man aus dem Fußball, und zwar aus schlecht geführten Vereinen, die ihre Bedeutung überschätzen. Hamburg ist dafür ein tolles Pflaster. Gut geführte Klubs hingegen haben ein Konzept, eine Basis. Sie haben einen Sportdirektor, der die Linie festlegt. Der Trainer ist jeweils der geeignetste Mann für den Umgang mit der Mannschaft. Er ist Ausbilder, Motivator, Seelenstreichler und schärfster Kritiker, je nach Zusammensetzung des Kaders.

Spielwitz, Routine und Risiko

Der Spiegel hat nach wie vor eine Klasse-Mannschaft, eine, in der Spielwitz, Routine und Risiko versammelt sind, eine mit Spielmachern und Brechertypen. Sie können erzählen, recherchieren, aufdecken, sie können überall hinreisen, wo die Welt gerade spannend ist. Sie müssten überlaufen vor Geschichten. Doch die Welt spiegelt sich zwar in der Fassade des Verlagsgebäudes am Tor zur Hafen-City, aber sie findet nicht mehr leicht hinein. Oder die Redakteure nicht hinaus.

Auch der Chefredakteur Büchner steht für eine solche Lebenswelt, wie sie gerade hip ist. Für das Moderne, sich ständig Verändernde. Auch er überlegt sich, in welcher Form welche Art von Nachrichten welche Wege zum Konsumenten nehmen sollten. Das Credo vom guten Text weicht dem vom schnellen Tweet: Am 1. Dezember soll nun Torsten Beeck, Social-Media-Experte von Springers Bild, zum Spiegel wechseln. Diese Personalie dürfte wie einst der Wechsel von Nikolaus Blome ins Spiegel-Hauptstadtbüro die Stimmung in Hamburg noch einmal aufkochen. Bild-Chef Kai Diekmann hat schon mal vorgeheizt: "Hat der Spiegel eigentlich keine eigenen guten Leute? Warum muss IMMER Bild aushelfen?", twitterte er am Freitag.

Selbst wenn Büchners Strategie stimmt: Er könnte damit ein guter Redaktionsmanager sein, einer, der den Rahmen vorgibt, in dem die Mannschaft spielen darf. Ein guter Trainer ist was anderes.

Es herrscht Wechselstimmung allenthalben. Anfang dieser Woche wurde dann auch noch Focus-Chef Jörg Quoos rausgeschmissen. Bei Burda zerren noch mehr Menschen am Chefredakteur herum, nicht nur der Ex-Chefredakteur Helmut Markwort, der den Focus 1993 erfand. Damals war das eine geniale Idee, kurze Stücke, Bilder, Grafiken, sogar Fakten, eine Art vorweggenommenes Internet. Als das echte Internet kam, geriet der Focus schneller als die Hamburger Blätter in die Identitätskrise: Wer bin ich - und wenn ja, warum immer weniger?

Vor Quoos waren schon zwei glücklose Vorgänger zügig gefeuert worden. Das kann daran liegen, dass der Focus ein Magazin ist, für das es keine Idee mehr gibt, aber viele Chefs, die zu wissen meinen, wie es nicht geht. Und eine Redaktion, die sich daran gewöhnt hat, dass der Chefredakteur auf dem wackeligsten Stuhl sitzt. Genauso gut hätte man den Kapitän der Titanic mit einem Eimer unter Deck schicken können. Der Nächste, der den Rumpf leerpumpen soll, heißt Ulrich Reitz.

Geldverdienen gehört zur Genetik

Strategien von klugen Trainern wie von klugen Chefredakteuren müssen reifen. Tatsächlich waren etwa Wichmann und Quoos zu kurz im Amt, um wirklich etwas zu bewegen. Wichmann hatte es mit einer grau gewordenen Redaktion zu tun. Nicht nur Effizienz- und Tantiemen-orientierte Verlagsmenschen halten den Stern für vergleichsweise überbesetzt. Große Namen fehlen dabei bizarrerweise trotzdem, sieht man von Hans-Ulrich Jörges ab, der wacker durch die Talkshows tingelt.

Und was wiederum für Stern wie Spiegel gilt: Die personellen und strukturellen Versäumnisse sind in Jahrzehnten gewachsen, sie sind weder Wichmann und nicht einmal Büchner anzulasten. In beiden Häusern gehörte das Geldverdienen zur Genetik, hatten die Redaktionen große Bedeutung. Nachrichten konsumierte der Interessent früher mal in der Tageszeitung, für den Hintergrund schmachtete er den Magazinen entgegen.

Aber Geld und Bedeutung sind weniger geworden. Nachrichten laufen heute in jedem U-Bahn-Waggon, Hintergründe und große, süffige Milieustudien liefert die Tagespresse. Es gibt statt der einen Speerspitze der Demokratie viele Hundert Pfeile. Den Umgang mit dem Abstieg aber haben die Häuser in Hamburg nicht gelernt. Er bringt sie in Verlegenheit.

Das ist das Schlimmste: Dass es im Spiegel Intrigen gibt, der Ton mal rauer ist, mal einer über die Klinge springt, das gehört zum Mythos; das sieht man dem Spiegel nach wie einer großen Partei. Unverzeihlich aber ist, wenn sich das stolze Haus der Lächerlichkeit preisgibt.

All die vielen, vielen Spiegel-Autoren, die jederzeit jeden Minister in Gefahr oder einen Theaterintendanten runterschreiben können, sie finden keinen sauberen Weg, ihren von Textarbeit unbeleckten Chefredakteur loszuwerden?

Und die Geschäftsleitung verlagert ihren Job, ein zukunftsfähiges Konzept oder eine Onlinestrategie für ihren Bestseller zu entwickeln, einfach in die Redaktion. Was bleibt dann, wenn Büchner scheitern sollte und mit ihm Saffe? Irgendeine Idee?

Man kann ja mal zum Stern schauen. Hinter der Auswechslung Wichmanns verbirgt sich womöglich vor allem ein Strategiewechsel bei Gruner + Jahr. Man brauchte einen Neuen, der die Mannschaft nach den Vorstellungen des Verlags führt. Jede sechste Stelle muss weg, da sollte der Chefredakteur sich nicht querstellen. Christian Krug dürfte sich als Aufsteiger den Vorgaben eher fügen als seine Vorgänger.

Der Schutzwall um diese einst starken Redaktionen ist geschleift, die Geschäftsführungen regieren hinein. Saffe und Büchner beim Spiegel haben ihre Schicksale sogar miteinander verknüpft. Beim Focus ist der inhaltliche Machtübergang von der Redaktion zum Verlag schon lange vollzogen. Bei Burda kürzen sie vehement Redaktionsetats, während "Burda Media" Rekordergebnisse erzielt. Mit vielen tollen Ideen. Außer: publizistischen.

Am Freitag traf dann noch diese Meldung ein: "Auch Burda zeigt Interesse an Roboterjournalismus." Dabei könnten Texte bald vollautomatisch erstellt werden. Sei aber nicht geplant. Wirklich nicht.

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