Journalismus in Großbritannien:First Ladies im Zeitungswesen

Erfahren, empathisch, begabt: In England, einem der wichtigsten Zeitungsmärkte der Welt, sind gerade drei Schlüsselpositionen mit Frauen besetzt worden - eine Vorstellungsrunde.

Von Cathrin Kahlweit

Die britischen Zeitungen gehören zu den einflussreichsten der Welt, auch wenn sie, wie die Konkurrenz überall, um Auflage, Aufmerksamkeit und Profitabilität kämpfen müssen. Der Brexit hatte das Königreich ins Zentrum des internationalen Bewusstseins katapultiert, viele britischen Medien haben davon, zumindest zeitweilig, profitiert. Nun aber könnte das Post-Brexit-Zeitalter - ökonomisch und politisch - die nächste Phase im Überlebens- und Konkurrenzkampf auf dem heiß umkämpften Markt einläuten. Zudem ist mit dem neuen Premier, mit Boris Johnson, ein Mann ins Amt gekommen, der sich Interviews gern entzieht, kritische Medien bestraft und seine Botschaften von einem Team von Männern verkaufen lässt, die aus der Leave-Bewegung oder von EU-skeptischen Medien kommen.

Da hat es durchaus symbolischen Wert, dass jetzt gleich zwei große Zeitungen, die Sunday Times und die Financial Times, international profilierte, in klassischen Medien groß gewordene, toughe Frauen an die Spitze setzen. Und dass sich der Guardian , neben seiner Chefredakteurin, jetzt auch eine Frau für sein Top-Management holt. Zwei der Frauen sind nicht in Großbritannien geboren - auch das ein Signal für mehr Offenheit in Zeiten, in denen die Regierung die Einwanderung rigide kontrollieren will.

Roula Khalaf

Die neue Chefredakteurin der Financial Times ist für ihre Mitarbeiter eine alte Bekannte: Sie kommt aus ihrer Mitte. Roula Khalaf war zuletzt drei Jahre lang stellvertretende Chefredakteurin gewesen. Seit 25 Jahren arbeitet sie bei der FT, war Nahost-Expertin, hat über die Kriege in der Region und den arabischen Frühling geschrieben, über die Globalisierung, über China und neue Handelsmächte, über die Zukunft der EU, über Großbritanniens Rolle in der Welt. Khalaf war also längst eine ausgewiesene Auslandskorrespondentin, bevor sie in der Zentrale Karriere machte, und sie hat ein riesiges, internationales Netzwerk.

Sie machte das Rennen unter zahlreichen Kandidaten; der Auswahlprozess habe, ist aus dem Haus zu hören, mehr als ein Jahr gedauert. Die FT gehört dem japanischen Nikkeikonzern, der sich unter zuletzt vier Bewerbern, davon drei Männer, für Khalaf entschied. Kollegen sagen, weil sie ausgleichend, moderierend und ein Vollprofi sei. Nikkei-Chef Tsuneo Kita sagt, weil er darauf vertraue, dass sie "Qualitätsjournalismus ohne Angst und Gefälligkeiten macht und ein Team inspirieren kann." Sie sei integer und habe ein gutes Urteilsvermögen. Khalaf ersetzt Lionel Barber. Er bestritt gegenüber der New York Times, dass es ein Beleg für politische Korrektheit sei, wenn nun eine Frau ihn ersetze. "Roula ist einfach eine der Besten".

Geboren und aufgewachsen ist die Journalistin in Libanon, später hat sie in den USA an der Columbia University studiert und dann für das Magazin Forbes gearbeitet. Im Januar hat sie eine der traditionsreichsten Zeitungen der Welt übernommen, die etwa eine Million Leser erreicht. Das Blatt hatte früh auf eine rigide Bezahlschranke und den Onlineauftritt gesetzt.

Khalaf ist damit die erste Frau an der Spitze der FT in den 131 Jahren seit ihrer Gründung. Sie hat zahlreiche Texte über Frauenrollen und Feminismus in der arabischen Welt geschrieben, über Tradition, Tabus und die Marginalisierung von Frauen im Islam. In einem Brief an die FT-Leser bedankt sie sich bei den 600 Journalisten und Journalistinnen aus der ganzen Welt, die ihre Texte und Recherchen zulieferten. Das Blatt solle "eine wahrhaftige Quelle bleiben in Zeiten von Populismus, Handelskriegen und Klimawandel".

Emma Tucker

Vom Mutterkonzern der Sunday Times, News UK, der wiederum zur News Corporation des Medienmoguls Rupert Murdoch gehört, wurde Emma Tucker bei der Bekanntgabe ihrer neuen Aufgabe vor wenigen Tagen über den grünen Klee gelobt. Sie habe "unfassbar viel Erfahrung und viel Energie". Sie kenne sich im Print und im Digitalen aus und wisse, wie man das Blatt auch künftig an den Leser bringe.

Tucker zieht vom Büro der Vizechefredakteurin beim Schwesterblatt, der Times, in das Chefbüro der Sunday Times um, sie ist damit auch hier die erste Frau in dem Job - zumindest seit mehr als hundert Jahren. Tatsächlich hatte die Sunday Times schon einmal eine Frau an der Spitze: Rachel Beer, die - nach der legendären Straße in London, wo einst fast alle Verlagshäuser saßen -, den Spitznamen "First Lady of the Fleet Street", trug, leitete das Blatt von 1893 bis 1901. Tucker hatte schon, als sie bei der Times stellvertretende Chefin wurde, den "phänomenalen Aufstieg von Frauen in Leitungspositionen in britischen Medien" gerühmt. Ihre eigene - und die Beförderung weiterer Frauen im Haus - zeigten, dass die Fleet Street ihre historische Benachteiligung "hinter sich lasse".

Die Sunday Times dominiert den Wochenendmarkt; mit einer Auflage von mehr als einer halben Million liegt das Blatt weit vor der Konkurrenz von Sunday Telegraph und Observer. Tucker will den investigativen Journalismus weiter stärken und das "First-Class-Reporting". Sie hat in den USA und in Oxford studiert, bei der FT angefangen, dort das Wochenendmagazin betreut und aus Brüssel und Berlin berichtet, bevor sie 2007 den Arbeitgeber wechselte. Einer, der mit ihr gearbeitet hat, sagt, sie könne "super mit Menschen" und habe einen offenen Blick für die Welt. Ihr Vorgänger, Martin Ivens, wechselt nach sieben Jahren in den Vorstand von Times Newspapers.

Annette Thomas

Der Guardian hat mit Katherine Viner seit Jahren eine erfolgreiche Chefredakteurin, nun kommt eine Frau als CEO der Guardian Media Group dazu. Annette Thomas ist Naturwissenschaftlerin, Expertin für Datenanalyse und hatte bereits eine Handvoll Führungsjobs in großen Medienhäusern. Sie hat ein Start-up für Digital Science gegründet und zuletzt dazu beigetragen, eine Softwarefirma an die amerikanische Börse zu bringen. Die gebürtige US-Amerikanerin hat Biochemie und Biophysik in Harvard studiert und ihren Doktor in Yale gemacht, bevor sie eine Zeit lang für das Wissenschaftsmagazin Nature  schrieb.

Beim Guardian hofft man, dass sie gemeinsam mit Chefredakteurin Viner innovative Businessmodelle entwickelt und die Redaktion weiter modernisiert. Sie soll ihren Job im März antreten und vor allem daran mitwirken, dass das Finanzierungsmodell des Guardian, der unter anderem von freiwilligen Zahlungen seiner Leser lebt, auf Dauer nachhaltig bleibt. Das Blatt, zu dem auch der Observer gehört, hatte im vergangen Jahr nach einer längeren Krise erstmals wieder ein kleines Plus gemeldet. Auch unter dem Artikel, der den Start von Annette Thomas als CEO der Guardian Gruppe meldet, wirbt das Blatt für eine Spende: "Wir haben unsere Unabhängigkeit bewahrt in einer Zeit der Desintegration der Traditionsmedien und des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs von Technologiegiganten" - Thomas soll dazu beitragen, dass das so bleibt.

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