Süddeutsche Zeitung

Freier Journalismus:Samstags frei

Im Journalismus hat die Pandemie vor allem freiberufliche Sport- und Kulturreporter hart getroffen. Etliche sind ausgestiegen, andere kämpfen für endlich faire Bezahlung.

Von Lisa Oppermann

Der 18. März 2020, das ist der Tag, an dem Michael Rappe innerhalb von Stunden sämtliche Aufträge verliert. Der Tag, an dem Angela Merkel in ihrer mittlerweile legendär gewordenen Ansprache an die Nation den ersten Corona-Lockdown in Deutschland ausruft. Der Tag, an dem Geschäfte, Schulen und Spielplätze von einem Tag auf den anderen schließen, die Kinos, die Bars - und die Fußballstadien.

Vor allem das mit den Stadien trifft Michael Rappe hart, denn er ist freier Sportjournalist, seit 22 Jahren. Er schreibt vor allem für Lokalmedien in der Region um Heidelberg und Mannheim. Normalerweise steht er jedes Wochenende am Spielfeldrand, er interviewt Spielerinnen und Leichtathletik-Profis. Plötzlich werden sämtliche Sportveranstaltungen abgesagt: "Ein Trainer, ein Verein nach dem anderen hat angerufen: Wir spielen am Wochenende nicht."

Laut Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), gehört Michael Rappe zu denen in der Medienbranche, die die Pandemie am härtesten getroffen hat. Freie Kultur- und Sportjournalisten hätten von heute auf morgen praktisch nicht mehr arbeiten können. Keine Veranstaltungen, keine Berichterstattung.

Das Zeilengeld bei Tageszeitungen sei zu niedrig, um für eine Krise vorzusorgen

Rappe schlug sich mit Corona-Hilfen durch, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, das ging irgendwie. Aber als die Spiele wieder anfingen, zeigte sich, dass die Pandemie ein ganz grundlegendes Problem einfach nur verhärtet hat: "Das Zeilengeld bei Tageszeitungen ist nach wie vor verheerend niedrig, sodass man die Grundlagen für so eine Krise nicht hat." Das bestätigt auch Sigrid März. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin und Vorsitzende der Freischreiber, dem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten. "Die Pandemie war natürlich einschneidend für den Journalismus", sagt März. "Aber den freien Journalisten ging es auch vorher schon nicht gut. Die Arbeitsbedingungen waren und sind prekär."

Das hat auch eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung gezeigt, die vor einigen Wochen veröffentlicht wurde: Die Pandemie sei für die 17 befragten Freien im Bundesland Bremen zwar ein Schock gewesen, für viele habe sich die Situation aber nach dem ersten Lockdown normalisiert. Allerdings: Danach hätten sich lang bestehende Unterschiede innerhalb der Branche gezeigt. Freie Journalisten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verdienten in der Regel besser als ihre Kollegen bei den Tages- und Lokalzeitungen. Diese Entwicklungen sehen sowohl Zörner als auch März bundesweit.

Da sie nach Zeile und nicht nach Arbeitszeit bezahlt würden, verdienen Freie bei Tages- und Lokalzeitungen häufig deutlich unter Mindestlohn. "Ich kann eine Zeile hinklatschen und bekomme am Ende das gleiche Geld wie jemand, der für diese Zeile zwei Stunden recherchieren musste", sagt März. Als wichtigsten Schritt gegen Prekarisierung im freien Journalismus sehe sie darum die Abschaffung des Zeilengelds: Honorare müssten sich stattdessen nach Arbeitsaufwand richten.

Auch eine gute Ausbildung und Preise garantieren kein gesichertes Einkommen

Das sieht auch Pascale Müller so. Sie ist Anfang 30, Investigativ-Journalistin mit Vorzeige-CV, recherchiert zu Arbeitsausbeutung und sexualisierter Gewalt. 2019 gewann sie den Nannen-Preis für eine aufwendige Recherche über spanische Erntehelferinnen, die sexuell missbraucht wurden, und stand 2018 auf der "30 unter 30"-Liste des Medium-Magazins, die junge Journalistinnen und Journalisten als neue Sterne am Medienhimmel adelt. Für eine Journalistin, könnte man meinen, können die Einstiegsjahre kaum besser laufen.

Aber mit ihrer investigativen, journalistischen Arbeit hat sie laut eigener Aussage im vergangenen Jahr monatlich gerade mal 800 Euro verdient. Damit lebt Müller deutlich unter dem Existenzminimum, ihr Stundensatz ist oft so niedrig, "dass man sich das besser nicht ausrechnet", wie sie sagt. Müller nennt ihre Arbeit die "brotlose Kunst" des Journalismus, der Aufwand für die Recherchen ist riesig, das Honorar verhältnismäßig gering. Oft hört sie: Ihr müsst besser verhandeln. Auch die Freischreiber bieten regelmäßige Seminare zu gutem Verhandeln an. Laut Sportjournalist Rappe ist das aber im Lokalen kaum möglich: "Wenn man mehr Geld fordert, heißt es: 'Dann geben wir den Text eben Student XY.' Da sitzen die Zeitungen am längeren Hebel."

Auch Pascale Müller empfindet das Machtgefälle zwischen ihr und den Menschen in den Redaktionen oft als belastend. In Verhandlungen entstehe bei Freien manchmal das Gefühl: "Ich bin ein minderwertiger Journalist, weil ich minderwertig bezahlt werde", sagt sie. Natürlich gäbe es auch Redaktionen, die sich sehr um Freie bemühten, aber zum Teil sei das Verhältnis nahezu "vergiftet". "Manchmal hab ich das Gefühl, dass die Redakteure, mit denen man die Verhandlungen macht, nicht verstehen, dass das meine Miete ist", sagt sie. Als sie einmal das Honorar für eine Geschichte verhandelt hat, für die sie drei Monate Vollzeit recherchiert hat, habe der Redakteur gesagt: "Du weißt doch, dass du davon nicht leben kannst."

Journalistenvertretungen fordern Verbandsklagerecht

Dieses Machtgefälle ist laut März von den Freischreibern auch der Grund, warum es so schwierig ist, etwas an den Arbeitsbedingungen zu ändern. Deswegen fordern die Freischreiber - wie alle Interessenvertretungen freier Journalistinnen und Journalisten - seit Jahren Verbandsklagerecht. "Als Freie können wir natürlich selbst klagen, aber dann sind wir verbrannt, dann kriegen wir bei diesem Auftraggeber nie wieder einen Auftrag", sagt März. Um das zu verhindern und Freien trotzdem ein Mittel an die Hand zu geben, um sich gegen zu niedrige Honorare oder ausbeuterische Verträge zu wehren, müsse der Verband klagen können - möglichst ohne Namensnennung des betroffenen Freien.

"Das sind alles Themen, die bekannt sind. Die diskutiert werden", sagt März. "Aber es bewegt sich seit Jahren nichts." Wie in vielen anderen prekären Berufen hätte die Pandemie bestehende Probleme nur verstärkt. "Die Freien, die es im ersten Lockdown richtig hart getroffen hat - die waren später nicht mehr da", erzählt sie über die Gesprächsrunden der Freischreiber. Offizielle Zahlen gibt es nicht, wie viele freie Journalisten in den letzten Jahren den Beruf gewechselt haben. März' Eindruck ist aber: Einige, die ausgestiegen sind, hätten schon länger darüber nachgedacht. Die Pandemie sei nur "der letzte Tropfen" gewesen.

Pascale Müller hat mittlerweile einen Zweitjob. 13 Stunden pro Woche macht sie Buchhaltung. Den Rest ihrer Zeit will sie aber trotzdem weiter frei und investigativ arbeiten: "Ich habe mich einfach in diesen Job verliebt."

Michael Rappe hat die freie Zeit während der Pandemie genutzt, um mit einem Kollegen aus Berlin FiDo zu gründen - ein Magazin für Frauenfußball, das im März 2022 aber zum vorerst letzten Mal erschien, das Geld ist ausgegangen. Jetzt wird Rappe erst mal weiter freier Reporter sein. Mit seinen 59 Jahren findet er: "Ich bin zu alt, um noch etwas anderes zu machen."

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