Ein Blick in den Ausschnitt, ein anzüglicher Spruch, Einladungen per SMS nach Feierabend: Französische Journalistinnen, deren Job die politische Berichterstattung ist, fühlen sich offenbar konstant von Politikern und Machthabern belästigt und herabgewürdigt. Mehr als 40 Journalistinnen prangern nun gemeinsam in einer öffentlichen Stellungnahme in der Tageszeitung Libération anhaltenden Sexismus an.
Die Aktion erinnert an die Netzbewegung #aufschrei als Reaktion auf die deutsche Sexismus-Debatte um den FDP-Politiker Rainer Brüderle.
Feministisches Burn-out:#Aufschrei bis zur Erschöpfung
Der Feminismus ist müde, ist derzeit oft zu lesen, seine Aktivistinnen vom Burn-out bedroht - weil es an aktuellen Themen und Visionen mangelt. Es ist aber auch die ewige Debatte um das Image der Bewegung, an der sich ihre Anhänger abarbeiten.
"Wir sind nicht die Generation Giroud", schreiben die Journalistinnen, die unter anderem für AFP, Radio Classique, Le Monde und Le Parisien arbeiten, und beziehen sich dabei auf die feministische Mitbegründerin und Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins L'Express, Françoise Giroud, die sich in den siebziger Jahren inmitten von Macho-Klischees durchzusetzen wusste. Die Journalistinnen, die sich mit der französischen Politik unter Sarkozy und seinem Nachfolger auseinandersetzen, hoffen, mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit etwas zu bewegen. "Wir waren davon ausgegangen, dass sich nach der Affäre Dominique Strauss-Kahn das Verhalten ändern würde", schreiben die Frauen in ihrem Manifest. "Wir sind es leid."
"Ah, Sie gehen auf den Strich"
Der französische Berufsalltag bietet den Journalistinnen erschreckend viele Situationen, in denen sie wie beiläufig oder auch ganz offensiv belästigt wurden: "In den Quatre-Colonnes, dem Saal, in dem die Abgeordneten umhergehen und im Herzen der Nationalversammlung Witzchen machen, ist es ein Abgeordneter, der uns mit den Worten begrüßt: 'Ah, Sie gehen auf den Strich, Sie warten auf Ihren Kunden.' Oder ein anderer, der uns mit seiner Hand das Haar aus dem Gesicht streicht und sich dabei über die Rückkehr des Frühlings freut. Im Senat ist es ein Parlamentarier, der sich darüber beklagt, dass wir anstelle eines Dekolletés einen Rollkragenpullover tragen."
Die Liste der Anschuldigungen ist lang. Die Journalistinnen beschreiben, wie hochrangige Politiker sie während eines gemeinsamen Fluges auf einer Geschäftsreise schlafend fotografierten, wie "politische Schwergewichte" lieber mit ihnen in ein Hotelzimmer gehen wollten anstatt ein Interview fortzuführen, oder wie ein Abgeordneter sich wünschte, dass sie unter einer Arbeiterkluft während einer Fabrikbesichtigung "besser nichts anhätten".
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Die bisherigen Reaktionen sind auf Twitter durchweg positiv und zustimmend: "Das sitzt! Danke, meine Damen!" ("Ça claque! Merci Mesdames!") schreibt beispielsweise Cécile Duflot, Abgeordnete der Partei Europe Écologie-Les Verts. Bisher haben sich allerdings bezeichnenderweise überwiegend Frauen zu Wort gemeldet.
Wenig Aussicht auf Veränderung
So deutlich die Anschuldigungen auch sind - die französischen Redakteurinnen betonen: "Natürlich trifft uns dieses schlüpfrige Patriarchat nicht pausenlos. Ein Großteil des politischen Establishments pflegt eine professionelle und korrekte Ethik, die den Fauxpas vermeidet." Die Frauen seien sich bewusst, dass sie unter privilegierten Konditionen ihre Arbeit machen könnten. Nichtsdestotrotz spiegelten ihre Erfahrungen den Alltag wider, weshalb sie nun einige Abgeordnete der Republik anprangern müssten.
Da die Politik überwiegend in den Händen heterosexueller Männer um die sechzig bleiben werde, mutmaßen die Journalistinnen, werde sich auch zukünftig nichts an den Umständen ändern. "Wir hätten sehr gerne alle diesen Text unterzeichnet, ohne uns hinter der Anonymität zu verstecken", betont das Journalistinnen-Kollektiv. Allerdings seien einige von ihnen in beruflichen Situationen, die sich bereits als sehr schwierig gestalteten. "Im Jahr 2015 hätten wir uns sehr glücklich geschätzt, wenn wir dieses Schreiben gar nicht erst hätten verfassen müssen."
Anmerkung der Redaktion: Im letzten Absatz haben wir einen Übersetzungsfehler berichtigt. Zuvor hatte es fälschlicherweise geheißen, dass die Journalistinnen unterschrieben hätten, ohne sich hinter ihrer Anonymität verstecken zu müssen.