Süddeutsche Zeitung

Frankfurt-Tatort "Es ist böse":Signatur Kehlkopfschnitt

Ein Prostituiertenkiller ist unterwegs, er sticht noch zu und schlitzt und schneidet, wenn sich sein Opfer längst nicht mehr bewegt. Der Täter tötet nicht, er "übertötet", wie es Kriminalexperten nennen. In diesem herausragenden Tatort verliert Kommissarin Conny Mey ihre Lässigkeit als Tresenschönheit - der Fall setzt ihr zu.

Holger Gertz

Wer sich vorab in Stimmung bringen möchte, sollte sich auf YouTube Dear Darkness anhören, die Underground-Göttin PJ Harvey sitzt an einem etwas mitgenommenen Klavier und singt von der Schwärze in ihrem Inneren. Dear Darkness ist eines der traurigschönsten Lieder aller Zeiten.

In diesem herausragenden Tatort untermalt es eine Szene, in der Kommissarin Conny Mey eine Wohnung begeht, die tapeziert ist mit Blutbildern. Zerschnittene Haut, zerquetschte Zehen. Gesichter wie Himbeermus. "Krass", flüstert die Kommissarin, gespielt von Nina Kunzendorf, in den vorangegangenen Folgen aus Frankfurt ging sie die Ermittlungen mit der Lässigkeit einer Tresenschönheit an, aber dieser Fall hier setzt ihr zu. Sie wankt auf hohen weißen Stiefeln.

Ein Prostituiertenkiller ist unterwegs, er sticht noch zu und schlitzt und schneidet, wenn sich das Opfer schon längst nicht mehr bewegt. Dieser Täter tötet nicht, er übertötet. Ein Kehlkopfschnitt am Leichenhals ist seine Signatur. Autor Lars Kraume und Regisseur Stefan Kornatz haben wieder mit dem Bremer Profiler Axel Petermann zusammengearbeitet, ein echter Fall ist die Vorlage für ihre Geschichte.

Petermanns Fachberatung sorgt dafür, dass die Spannung nie von überästhetisierten Bildern erzeugt wird, wie neulich beim Tatort aus Saarbrücken. Die Kamera bleibt nah bei den Menschen: den Opfern, den Verdächtigen, den Kommissaren. Was passiert, wenn einem das Böse begegnet? Conny Mey taumelt. Kollege Frank Steier (Joachim Król) erfährt, dass auch einer wie er, der alles gesehen zu haben glaubt, noch nicht alles gesehen hat.

Es gibt, neben Król und Kunzendorf, eine weitere Schauspielsensation in dieser Episode. Marc Bischoff spielt den Verdächtigen Holger Ritter. Jeansjacke, Bierdeckelohren, dünnes Haar, wundgeränderter Blick. Als Conny Mey ihn verhört, fällt ihm nicht mal sein Geburtsdatum ein, aber Frank Steier kumpelt sich kalkulierend zu ihm vor. "Mit Nutten kommt man leichter in Kontakt als mit anderen Frauen, ne? Die lassen so ziemlich jeden ran. Is' doch so, ne?" Der Verdächtige Ritter murmelt irgendwas, er ist kein Mann großer Worte, vielleicht ist er in dem Sinn gar kein Mann, sondern ein Monster.

Der Zuschauer wird jedenfalls nicht dieses Gesicht vergessen, in dem Moment, als ihm die Kommissarin für die DNA-Probe ein Wattestäbchen in den Mund schiebt. Ritter schließt die Augen, er hält den Atem an. Wie ein Delinquent, der den Lauf einer Waffe auf der Zunge spürt. Wie ein Tierbaby, dem der Pfleger mit einer Pipette Milch in den Schlund träufelt. Wie ein Opfer, das erlöst werden will. Wie ein Täter, der bereit ist, die Strafe zu empfangen.

Ein paar Sekunden erzählen eine ganze Geschichte. Großartig.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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SZ vom 21.04.2012/mapo/pak
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