FPÖ gegen ORF:Heil oder nicht Heil

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Anstiftung zu "Heil Hitler"-Rufen? FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beschuldigt einen ORF-Journalisten, für eine TV-Dokumentation Neonazis zu nationalsozialistischen Parolen verleitet zu haben. Soll der kritische Journalist mittels Rufmord mundtot gemacht werden? Der österreichische Rechtsstreit beschäftigt inzwischen das deutsche Bundeskriminalamt.

Cathrin Kahlweit

Die Szene ist absurd und gruselig zugleich: März 2010, es ist eiskalt und dunkel, der Chef der rechtspopulistischen FPÖ nimmt in dem Ort Wiener Neustadt, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ein Bad in der begeisterten Menge. Es ist Landtagswahlkampf in Niederösterreich, Heinz-Christian Strache ist ein erfahrener und professioneller Wahlkämpfer, Foto hier, Autogramm dort, grinsen, Hände schütteln, wieder grinsen. Seine Fans sind einfache Leute, Mädchen mit bunt gefärbten Haaren und zu viel Make-up, Jungs mit Bomberjacken. Am Rand der Absperrung stehen auch zwei Skinheads, mit denen der ORF-Redakteur Eduard Moschitz für das Politmagazin Am Schauplatz eine Langzeitbeobachtung über Neonazis dreht; er hatte sie mit einem Kamerateam zu der Veranstaltung begleitet. Moschitz fragt Strache vor laufender Kamera, warum bei seinen Veranstaltungen eigentlich so viele Neonazis anwesend seien, Strache reagiert sarkastisch: Er sehe nur linksradikale Gewalttäter, ob Moschitz "leicht diskriminierend" sei gegenüber "Menschen, die keinen Haarwuchs haben?"

FPÖ-Mann Heinz-Christian Strache (hier am 10. Oktober 2010 in Wien) sagt, er habe "irgendetwas gehört". (Foto: dpa)

Strache ist zu diesem Zeitpunkt politisch unter Druck, Medienberichte über seine Kontakte zur rechtsnationalen Szene schaden seinem Image als Aufräumer der Nation. Die beiden Skins bekommen ein Autogramm, sie rätseln, was genau das HC (für Heinz-Christian) auf der Karte bedeuten solle, dann wollen sie auf ein Bier gehen, weil die Luft raus ist.

Strache hatte sich bereits abgewendet, doch urplötzlich schaltet er um vom grinsenden Wahlkämpfer auf Politprofi und ruft seine Leute herbei: "Habt ihr einen Polizisten da?" Hier sei ein Journalist, der Agents Provocateurs aufgestellt habe, die ganz bewusst Neonazistisches gesagt hätten. Agents Provocateurs? Neonazistisches? Moschitz sagt, er habe geglaubt, er sei im falschen Film. Die beiden Skins hatten, das ist im Rohmaterial des ORF zu hören, noch gemurmelt, irgendwie sei dieser Strache eher unsympathisch - aber "Neonazistisches"?

Auf dem Band, das der SZ vorliegt, ist keine Provokation zu hören. Doch ob das stimmt, oder ob das Band später von Moschitz manipuliert wurde, ob er die beiden Skins zu "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" angestiftet habe - das war und ist Inhalt eines bizarren und ausufernden Rechtsstreits.

Die Skins belasten Moschitz zuerst, später nehmen sie ihre Aussage zurück, sie seien von den Ermittlern massiv unter Druck gesetzt worden. Die österreichische Presse fällt über Moschitz her, weil er sich in ein solches Milieu begebe und mit Neonazis fraternisiere; der ORF hält sich bedeckt, weil die Sache peinlich werden könnte, wenn die Vorwürfe wahr wären.

"Ja, wir haben das auch gehört"

FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl sagt, Strache neige nicht zu Halluzinationen. Und er wolle sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Heil-Hitler-Rufe in einer ORF-Reportage aufgetaucht wären, falls Strache nicht reagiert hätte. Nur: Bis heute ist nichts bewiesen, und die Beweislage ist mehr als mager.

Auf dem Kameramitschnitt springt, als Strache nach der Polizei ruft, die persönliche Referentin von Strache, Karin Schmutz, ins Bild. "Ja", sagt sie unaufgefordert, "wir haben das auch gehört!" Hier seien offenbar bestellte Leute "mit Heil Hitler". "Wir haben alle das Gleiche beobachtet", ruft Schmutz in Richtung Team und Redakteur.

Wer ist alle? Woher weiß sie das? Zu diesem Zeitpunkt kann sie eigentlich noch gar keine Gelegenheit gehabt haben, die anderen FPÖ-Kollegen zu fragen, was die gehört hätten; und wann hat Strache, wann hat sie "Heil Hitler" gehört? Oder war es Sieg Heil? Da ist man sich bei der FPÖ später nicht mehr sicher; die Zeugen widersprechen sich. Strache selbst ist schon an diesem Abend im März ambivalent: Er habe "irgendetwas gehört", das "eindeutig neonazistisch war".

Moschitz bestreitet alles. Er habe weder angestiftet zu inkriminierenden Rufen, die Strache in ein schlechtes Licht hätten setzen sollen, noch hätten die beiden Skins etwas gerufen, "die waren in Straches Gegenwart eher gehemmt". Er selbst hat den FPÖ-Chef wegen übler Nachrede angezeigt; dessen Immunität ist für diesen Prozess aufgehoben, das Verfahren liegt bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, bis in der Hauptsache entschieden ist.

Der Vorwurf der "Wiederbetätigung", immerhin, ist mittlerweile vom Tisch; er ging, nach einem Einspruch des ORF, bis zum Obersten Gerichtshof (OGH), der einen dringenden Tatverdacht gegen Moschitz negierte und außerdem urteilte, das Rohmaterial hätte gar nicht "erfasst" werden dürfen - es falle unter "Freiheit der Meinungsäußerung". ORF-Intendant Alexander Wrabetz sagt, mit dem Urteil des OGH sei sichergestellt, dass das "Redaktionsgeheimnis ein wesentliches Element funktionierender Demokratie" sei. Seinem Redakteur wünscht der ORF alles Gute und eine "möglichst rasche Abwicklung des Verfahrens", daher zahle man weiter seinen Anwalt.

Moschitz fühlt sich trotzdem ausgeliefert, denn das Verfahren wegen Fälschung von Beweismaterial läuft, merkwürdig genug, weiter. Die FPÖ wirft dem ORF-Mann vor, dass acht Sekunden des Rohmaterials bearbeitet wurden, so dass man die Nazi-Rufe nicht mehr höre; es gebe zwei Versionen, und in der einen sei, so Kickl, ein "merkwürdiges Geräusch".

Der Redakteur sagt, dazu habe er gar keine Gelegenheit gehabt, er habe das Band ja nur eine Nacht lang gehabt. Denn: Nachdem die FPÖ-Ordner die Polizei geholt hatten, nimmt das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Niederösterreich die Ermittlungen auf, schon am nächsten Morgen taucht der Verfassungsschutz bei Moschitz auf. Der sagt, er habe, "nichts Böses ahnend", das Drehmaterial in seiner Arbeitstasche zu Hause gehabt.

Das Band wird (nach Zustimmung durch den ORF) versiegelt und mitgenommen. In diesem Zustand wird es einige Tage später beim ORF noch einmal kopiert und wieder versiegelt, der Anfang ist schwer zu verstehen, vielleicht, weil das Band vorher schon einmal benutzt worden war.

Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Ein paar Sekunden beschäftigen seither die Gerichte. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestellt einen Gutachter, der sagen soll, ob da eventuell etwas gelöscht worden sei, was als Beweis für eine Manipulation herhalten könne; der sagt: ziemlich sicher nicht. Daraufhin schaltet die FPÖ einen eigenen Gutachter ein, der aber offenbar gar nicht das Originalmaterial hatte, der sagt: ziemlich sicher ja.

Daraufhin befragt die Staatsanwaltschaft, die ihrem eigenen Gutachter jetzt nicht mehr glaubt, ihren Gutachter erneut. Der sagt immer noch: Eher nicht, allerdings gebe es sicher noch viel bessere technische Mittel, um eine Manipulation hundertprozentig auszuschließen. Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) soll eingeschaltet werden, das habe bessere Geräte. Dieser Beschluss fällt im Sommer 2011.

Bis heute ist nicht viel geschehen; in Wiesbaden möchte man "nicht dementieren", dass es eine Anfrage aus Österreich gebe. Erich Habitzl von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestätigt das Rechtshilfeersuchen an das BKA. Moschitz hofft, dass der Vorwurf nun endlich in Deutschland geprüft wird, "ich will, dass meine Unschuld bewiesen wird." Seine Anwältin hat vergangene Woche Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Sie beklagt die überlange Verfahrensdauer. Der Ruf ihres Mandanten sei massiv geschädigt, er sei mundtot gemacht worden.

Kollegen des ORF-Redakteurs glauben, dass die Sache verschleppt und Moschitz als kritischer Journalist an den Pranger gestellt werde, um es sich mit der FPÖ nicht zu verscherzen, die heftigen Druck mache. Die Freiheitlichen liegen derzeit neben der SPÖ in Umfragen ganz vorn. Und Strache wird bereits - von den einen erfreut, von den anderen voller Widerwillen - als Regierungsmitglied gehandelt.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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