Fotografie:Erzähl mir vom Krieg

5. internationales Lumix Festival für jungen Fotojournalismus

Die fünfte Auflage des Lumix-Festivals für junge Fotografie zeigt mehr als nur Bilder.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

"Es geht nicht darum, die Leute zu schocken": Eine Diskussion über Macht und Ethik von Bildern zeigt, wie komplex die richtige Fotoauswahl geworden ist.

Von Thomas Hahn

Vor dem Hörsaal im Design-Center steht eine ältere Dame und setzt Zeichen für die Freiheit des Bildes. Drinnen sollen gleich berufene Leute über die Ethik der Fotografie reden beim Lumix-Festival auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover. Es sind nur noch wenige Minuten, bis die Podiumsdiskussion zum Thema "Bilder als Dokumente der Realität - Was muten wir dem Betrachter zu?" beginnt. Das interessierte Publikum strömt herbei. Diese Gelegenheit nutzt die Dame, um ihre Solidaritätspostkarten zu verteilen, auf denen steht: "Freiheit für Felipe Durán."

Der Fotograf Felipe Durán hat jahrelang den Kampf des Ureinwohner-Volkes Mapuche gegen die Repressionen der chilenischen Regierung dokumentiert. Jetzt sitzt er im Gefängnis. Offiziell wegen Besitzes von Waffen und Sprengstoff, aber seine Unterstützer vermuten dahinter ein Komplott, weil der Regierung Duráns Arbeit zu kritisch war. Und so wirkt die Aktion der älteren Dame wie eine Mahnung zum Geleit der Debatte - damit niemand glaubt, bei den Fragen der Fotografie ginge es nur um eitle Kunst und Spektakel-Ansichten.

Das Vorurteil lautet, dass Fotografen und Medien eine unselige Allianz bilden, die keine Achtung vor Privatsphären kenne und sich nur für den schnellen Schuss interessiere, der die Blicke des zahlenden Publikums auf sich zieht. Und wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Paparazzi und Boulevard-Presse bestätigen dieses Vorurteil oft. Selbst manche Qualitätsmedien müssen sich hin und wieder fragen lassen, ob ihre Bilder nicht auch manchmal einen schalen Voyeurismus bedienen.

Trotzdem greift das Vorurteil zu kurz, das hat auch die fünfte Auflage des Lumix-Festivals für junge Fotografie gezeigt. Man musste dort nur die Ausstellung der ausgewählten Fotoreportagen ansehen, um zu verstehen, welche aufklärende Kraft Bilder haben können. Die Arbeit des Argentiniers Pablo Piovano zum Beispiel, der in eindringlichem Schwarz-Weiß die Folgen von genetisch verändertem Saatgut und chemischer Unkrautvernichtung in seinem Heimatland dokumentiert hat. Oder die verstörend ehrliche Reise des Deutschen Florian Müller in die Welt der Fetische und sexuellen Rollenspiele. Diese Bilder strahlen eine brüllende Stille aus, die das Gegenteil von respektlos ist.

Und auch bei besagter Podiumsdiskussion konnte man den Eindruck bekommen, dass viele Fotografen und Bildredaktionen keineswegs leichtfertig mit Bildern um sich werfen. Das Gespräch drehte sich vor allem um den Umgang mit Kriegsbildern. Und es krankte ein bisschen daran, dass der Boulevard am Tisch fehlte. Julian Reichelt, Chefredakteur von Bild.de, musste kurzfristig absagen. Deshalb konnte er nicht mit Andreas Fischer streiten, der als Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gerade im Clinch mit Reichelts Haus liegt. Die KJM hat Fotos aus dem syrischen Bürgerkrieg auf Bild.de als Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet; derzeit geht es noch um das Bild eines toten Babys nach einem Giftgasangriff.

Das Ringen ums richtige Bild gehört zum Alltag der freien Mediengesellschaft. Es ist ein komplexes Geschäft geworden im Zeitalter der digitalen Welt. Und es wird eher noch heftiger als routinierter in Zeiten der Kriege und des Terrors. Laut Andreas Trampe, Leiter der Bildredaktion des Stern, erreichen 17 000 bis 18 000 Bilder täglich seine Redaktion. Diese Flut zu sichten, ist die erste Herausforderung.

"Es geht nicht darum, die Leute zu schocken", sagt ein Fotograf

Die nächste besteht darin, Bilder zu finden, die einen wahrhaftigen Eindruck vom Geschehen bieten. Die etwa den Horror des syrischen Krieges nicht weichzeichnen, ihn aber auch nicht wie einen Kino-Thriller inszenieren. Michael Pfister, Leiter der Bildredaktion von Zeit Online, spricht in diesem Zusammenhang von "der anderen Perspektive" auf den Schrecken, er sucht in Bildern "Spuren, durch die man ahnen kann, welche Dimension das Unglück hat, die es aber nicht in seiner vollen Umfänglichkeit zeigen". Trampe möchte Bilder veröffentlichen, "ohne dass sich die Leute angeekelt abwenden, und durch die trotzdem das Ausmaß eines Konfliktes sichtbar wird". Das ist das Dilemma der guten Krisen-Fotografie. "Es geht nicht darum, die Leute zu schocken", sagt der Fotograf Christoph Bangert, "es geht darum, eine Reflexion beim Betrachter zu verursachen."

Mit festen Regeln für das richtige Bild konnten die Diskussionsteilnehmer nicht dienen. Es gibt Momente, in denen eine verwackelte Handy-Aufnahme zum Muss für alle Zeitungen wird. Dann wieder funktioniert nur eine ästhetische Draufsicht. Dann wieder ein Schock-Bild. "Wenn ich nur ein Wort sagen dürfte heute, wäre das: Kontext", sagte Bangert. Und machte damit im Grunde auch deutlich, aus welchem weiteren Grund man es kritisch sehen kann, dass Bild.de im vergangenen Jahr jenes tote Baby aus Syrien zeigte. Dieses und andere Fotos platzierte das Blatt nämlich im Zusammenhang mit der Frage, ob man wirklich mit Syriens Diktator Bashar al-Assad verhandeln dürfe. "Habt ihr diese Bilder schon vergessen?", lautete der Titel. Die Kriegsbilder als Argument gegen Verhandlungen mit Assad?

Bild hatte schon bessere Ideen.

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