1000. Folge des ARD-Krimis:Der "Tatort" feiert die Unfähigkeit seiner Kommissare

Tatort: Taxi nach Leipzig

Hände hoch oder es knallt! Die Kommissare Borowski (Axel Milberg) und Lindholm (Maria Furtwängler) wirken im 1000. Tatort nicht nur einmal hilflos.

(Foto: NDR/Meyerbroeker)

Die 1000. Folge hat alles, was den "Tatort" populär macht: einen Mord mit Überraschungseffekt, Kommissare, die ihr Wissen aus Arte-Dokus ziehen - und Wölfe. Die Nachlese.

Kolumne von Johanna Bruckner

Erkenntnis des 1000. Tatorts:

Sind wir nicht alle ein bisschen Opfer? Opfer unserer Traumata, Ängste, Verschrobenheiten - und im Falle der Macher dieser Jubiläums-Folge: unserer eigenen Ansprüche. "Taxi nach Leipzig" hieß die allererste Ausgabe der Krimireihe, die am 29. November 1970 lief. Es gab ein totes Kind, ein bisschen Ost-West-Konflikt und einen unorthodoxen Kommissar, der nicht nur beim Ermitteln Zigarre rauchte, sondern die Spitze auch noch mit einem kräftigten Biss kappte.

Schon damals hatte der Tatort viele der Zutaten, die ihn immer noch zur bekömmlichen Wochenendausklangskost machen. Wobei das erklärte Ziel ambitionierter Drehbuchschreiber und Regisseure heute eher ist, den Zuschauer bei der gewohnten Nahrungsverarbeitungsroutine zu stören: Der Tatort soll eben nicht bequem sein, sondern aufmerken lassen. Im Fall der Neuauflage von "Taxi nach Leipzig" gelangt der Zuschauer mitunter nahe an den Erstickungstod. Mal vor ehrlichem Lachen, mal, weil der Plot-Brocken schwer zu schlucken ist.

Was passiert?

Sitzen zwei Kommissare gemeinsam in einem stinklangweiligen Weiterbildungsseminar (Kommissarin Lindholm aus Hannover und Kommissar Borowski aus Kiel). Kommt ein dritter dazu und nervt den einen Kommissar (Borowski) aufs Unerträglichste. Landen die drei gemeinsam in einem Taxi. Nervt der eine Ermittler den Taxifahrer aufs Unerträglichste ("Darf ich Sie einladen, sich anzuschnallen?"). Dreht der Taxifahrer ihm den Hals um.

Nein, das Ganze ist kein Witz und wird dann ziemlich schnell zur motorisierten Version eines Kammerspiels. Lindholm, Borowski und der Taxifahrer Rainald Klapproth fahren mit der Leiche im Kofferraum durch die nächtliche Landschaft und erörtern die jeweiligen seelischen Verwundungen.

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Das Thema hinter dem Taximord ist ein wichtiges, das hierzulande zu wenig Aufmerksamkeit bekommt: Hauptfigur Rainald Klapproth, ein ehemaliger Elitesoldat der Bundeswehr, steht stellvertretend für jene Soldaten, die die Hölle in Afghanistan überlebt haben und dann am banalen Alltag in Deutschland scheitern. Erzählt wird der Fall aus den unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten.

Flop:

Die humoristischen Elemente wirken geradezu karikaturesk. Ob nun Kommissarin Lindholm halbherzig vor ihrem Geiselnehmer wegrennt und mit Mäuschen-Stimme "Hilfe!" ruft. Oder Kommissar Borowski eröffnet, dass er seine Kenntnisse über Amokäufer aus einer Arte-Doku hat. Oder Kommissarin Lindholm, nachdem ihr mit Kollege Borowski die Flucht gelungen ist, allein im dunklen Wald steht. In einem roten Mantel, auf einer Anhöhe knurren ein paar niedersächsische Wölfe. Wer soll bei solch plumpen Anlehnungen noch den Rest der Geschichte ernstnehmen?

Andererseits ...

Polizeiarbeit ist ein ganz und gar lächerliches Unterfangen in diesem Tatort. In einer 1000. Folge die Unfähigkeit des eigenen Personals zu feiern - dazu gehört Größe. Und erfrischende Selbstironie.

Bezeichnender Dialog:

Lindholm und Borowski versuchen, mit Klapproth ins Gespräch zu kommen - ein Dialog direkt aus dem Handbuch für Geiselnahmen, Kapitel: "Wie Sie eine persönliche Verbindung zum Geiselnehmer herstellen".

Borowski: Also ich bin Klaus, ich bin Kommissar, aus Kiel. Ich hab ja 'ne Tochter, die jetzt nämlich wartet, zu Hause, auf mich, mit dem Abendbrot. Und das ist ..?

Lindholm: Charlotte. Ich arbeite in Hannover. Wir waren auf einer Tagung, wir wollten nichts Böses.

Borowski: Haben Sie Familie, Charlotte?

Lindholm: Ja, einen kleinen Jungen. Er und mein Mann, die warten jetzt auch auf mich.

Borowski: Und - wie heißen Sie? Wie heißt du? Ich glaube nicht an Zufälle, ich glaube, dass es einen Sinn hat, dass wir uns hier treffen, und der Sinn ist, dass nicht noch mehr Leute sterben. Wohin willst du mit uns fahren? Egal, was du gern tun willst, wir helfen dir.

Lindholm: Kommen Sie, sprechen Sie mit uns.

Borowski: Oder wollen wir uns anschweigen? Jetzt wo wir hier zusammen sind.

Lindholm: Und außerdem, ich glaube ... Egal, was gerade passiert ist: Sie können doch mit uns darüber sprechen, was Sie jetzt vorhaben.

Taxifahrer Klapproth: Gut, Klaus und Charlotte, Sie wollen also reden, ja? Sie suchen das Gespräch?

Borowski: Ja.

Taxifahrer Klapproth: Dann spielen wir jetzt ein Spiel. Das geht folgendermaßen: Ich stelle Fragen, wer drei meiner Fragen richtig beantwortet, bekommt eine Antwort auf seine Frage. Wer nich' antwortet, falsch antwortet oder lügt, der bekommt einen Minuspunkt. Wer drei Minuspunkte hat, stirbt. Klaus hat bereits einen, weil die Geschichte mit seiner Tochter gelogen ist, da wartet niemand.

Beste Szene:

Lindholm und Borowski sind auf ihrer Flucht vor Klapproth in einer verlassenen Scheune gelandet. Dort hat der abwesende Besitzer praktischerweise ein Auto abgestellt. Nur wie das Gefährt in Bewegung setzen? Borowski hat einen Plan: "Ich schlag die Seitenscheibe ein und dann schließ' ich den Wagen kurz." Lindholm ist skeptisch: "Und wenn die Alarmanlage losgeht?" Borowski beschwichtigt in Mansplaining-Manier: "Das ist ein alter Volvo, der hat keine Alarmanlage." Spricht's und setzt zum passgenauen Roundhouse-Kick an. Ergebnis: Borowski hängt mit verdrehtem Knie im Seitenfenster, die Alarmanlage heult und leuchtet - und die eben noch in der Dunkelheit verschwindende Scheune ist weithin sichtbar wie eine Provinzgroßraumdisco am Samstagabend.

Bester Auftritt:

Florian Bartholomäi spielt den Afghanistan-Heimkehrer Rainald Klapproth im seelischen Niemandsland zwischen soldatischer Beherrschtheit und komplettem Zusammenbruch. "Ich kann, weil ich will, was ich muss", herrscht Klapproth Kommissarin Lindholm an einer Stelle an.

Schlusspointe:

Mehrere Darsteller der allerersten Tatort-Folge haben einen Gastauftritt in der Neuauflage von "Taxi nach Leipzig". Günter Lamprecht, der im Original einen Grenzer spielte und Anfang der Neunzigerjahre als Tatort-Kommissar Franz Markowitz bekannt wurde, darf die doppeldeutigen Schlussworte sprechen:

Danke, dass Sie diese Veranstaltung schon so lange Jahre besuchen und dass die Menschen da draußen Ihnen so viel bedeuten. Ich denke, Sie bedeuten den Menschen auch sehr viel. Auch wenn man das nicht immer merkt. Und ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass Sie alle für das Gute stehen. Für die Hoffnung. Dafür, dass das Leben weitergeht. Und dass das Gute eben siegt. Danke.

Die besten Zuschauerkommentare:

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