Flüchtlingsdebatte:Der Schuss geht nach hinten los

Als sei nichts gewesen, blieb der CSU-Mann seiner einstudierten Gesprächsstrategie verhaftet und versuchte stattdessen Schweiger mit einer hinterhältigen Frage nach dem Baustart für dessen Flüchtlingsheim aufs Glatteis zu führen. Kurz zuvor hatte es Meldungen gegeben, dass der Schauspieler die Unterkunft mit einem windigen Partner verwirklichen wolle.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Weniger, weil Schweiger die Frage gut parieren konnte, sondern vielmehr, weil sich der Politiker mit seiner Reaktion als allzu berechnender Diskutant entlarvte.

Und das ist es, wovon die vielen Fans, die Til Schweiger neuerdings hat, die Nase voll haben: All die alerten, rhetorisch gewandten und stets zu 100 Prozent disponierten Taktiker, die in den Talkshows landauf und landab ihre Sache ohne jedes Herzblut vertreten.

"Und wenn sie das nicht begreifen wollen, dann müssen sie damit rechnen, dass wir ihnen an die Wäsche gehen"

Das Wichtigste liefern diese politischen Profis trotz ihrer vermeintlichen Seriosität ja oft nicht: einen pragmatischen und nachvollziehbaren Lösungsvorschlag für das diskutierte Problem. Um bei Scheuer zu bleiben: Der wurde bei Maischberger mit dem Satz zitiert: "Wir können nicht die ganze Welt retten."

Stimmt, möchte man sagen. Bei längerem Nachdenken gewinnt die Aussage sogar an Gewicht. Tatsächlich kann Deutschland den vielen unterdrückten Minderheiten dieser Welt nur wenig helfen - den Tibetern und Uiguren in China ebenso wenig wie den zwangsrekrutierten Kindersoldaten im kolumbianischen Bürgerkrieg oder den Menschen vom verfolgten Volk der Rohingya in Myanmar.

Nur: Hat das in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte irgendjemand ernsthaft gefordert? Nein, Scheuers Aussage leuchtet zwar jedem sofort ein, doch zur Diskussion leistet sie keinerlei sinnvollen Beitrag. Und ob die von ihm und seiner Partei vertretene Abschottungspolitik eine nachhaltige Lösung darstellen kann, bezweifelte just heute ganz ungefragt der österreichische Fernseh-Journalist Armin Wolf. Und der Musiker Herbert Grönemeyer wünschte sich auf einer Pressekonferenz in Hamburg, dass "wir klar Haltung zeigen und denen, die die Flüchtlinge bedrohen oder angreifen, deutlich machen, dass sie gegen eine Wand laufen. Und wenn sie das nicht begreifen wollen, dann müssen sie damit rechnen, dass wir ihnen an die Wäsche gehen."

Wie die Wortmeldungen zeigen, scheinen Journalisten und Künstler den Staatenlenkern bei dieser Problematik einen Schritt voraus zu sein. Die deutsche Politik ist stattdessen durchdrungen von einer omnipräsenten Scheinheiligkeit im seriösen Gewand. Da tut ein verbales Raubein wie Til Schweiger zur Abwechslung ganz gut.

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