Fluchtbewegungen:Am besten unsichtbar

Zwei literarische Hörspiele erzählen auf unterschiedliche Weise vom Gleichen: von dem Versuch, sich seinen übermächtigen Feinden zu entziehen - und zugleich von dem Flucht innewohnenden Widerspruch von Stillstand und Bewegung.

Von Stefan Fischer

Zwei Männer, die sich dem Nazi-Regime entziehen - einer eine literarische Figur, der andere selbst ein Literat: Die beiden Hörspiele Die Nacht von Lissabon sowie Wir gehen, wir gehen - ein Leben lang! erzählen auf unterschiedliche Weise vom Gleichen: von Bewegung und Stillstand sowie von der Notwendigkeit, unsichtbar zu sein für seine übermächtigen Feinde.

Silke Hildebrandt hat Erich Maria Remarques Roman Die Nacht von Lissabon als Zweiteiler inszeniert: Ein Mann, der sich Schwarz nennt, ist aus Deutschland geflohen. Sein eigener Schwager, ein Gestapobeamter, ist ihm auf den Fersen. Schwarz hat es gemeinsam mit seiner Frau bis nach Portugal geschafft, sie besitzen Visa für die USA und Tickets für die Schiffspassage. Doch er geht nicht an Bord, er schenkt die Dokumente einem Landsmann - wenn der dafür die Nacht vor der Überfahrt mit ihm verbringt. Schwarz braucht jemanden, der seine Lebensgeschichte anhört, die gerade ihren tragischen Höhepunkt erreicht hat.

Max von Pufendorf und Max Simonischek umkreisen sich in diesem Dialog, der Beschenkte wittert einen Haken, der Freigiebige will ihn nicht von selbigem lassen. Tatsächlich hat die Offerte einen Preis: Der Mann im Hafen nimmt Schwarz' Identität an, so wie dieser sie von einem Toten übernommen hatte. Bereits zwei Menschen hat sie also kein Glück beschert.

Ruth Johanna Benrath indes begleitet in ihrem Hörspiel Wir gehen, wir gehen - ein Leben lang! den Künstler Hans Jürgen von der Wense. Er war Autor, Übersetzer, Komponist - und ein leidenschaftlicher Wanderer. Im "Dritten Reich" hat er seine Ortswechsel so intensiviert, dass er für das Regime kaum auffindbar war und sich auf diese Weise schützen konnte. Benrath, 1966 geboren, im Sterbejahr Wenses, lässt sich von der lyrischen Assoziationslust des Autors zu einem eigenen poetischen Text anregen - dieses Verfahren hat sie bereits im Hörspiel Geh dicht dichtig! über die Wiener Schriftstellerin Elfriede Gerstl hörenswert angewandt. Beide Stücke hat Christine Nagel sehr musikalisch inszeniert. Und so umkreist Benrath Wenses wohltuend distanzierte Weltwahrnehmung. Ohne den Drang, sie zu deuten.

Die Nacht von Lissabon, Bremen Zwei, Sonntag, 18.05 Uhr. Zweiter Teil: 26. Dezember, 18.05 Uhr. Wir gehen, wir gehen - ein Leben lang!, DLF Kultur, Sonntag, 18.30 Uhr.

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