Süddeutsche Zeitung

"Fleabag"-Nachfolgeserie "Run":Die Wurmartigkeit der Dinge

Einer simst, dann rennen beide los: In der Serie "Run" lösen zwei Ex-Partner einen Jugend-Pakt ein und treffen sich ausgerechnet zu einer Zugfahrt wieder. Das ist wild, düster, existenziell und urkomisch

Von Friederike Zoe Grasshoff

Von weit oben betrachtet ist ein Parkplatz nichts anderes als ein halbtotes Meer aus Autos, und unten, in einer der Reihen aus Mittelklassewagen und Mittelklasseleben, sitzt Ruby und starrt auf die Shoppingmall. Als das Handy vibriert, setzt sie eine halb-liebe Stimme auf, ihr Mann ist dran: jetzt Shopping, dann Yoga. "I love you, too", sagt sie, als sei der Satz dafür gemacht, für immer seine Ruhe zu haben.

Es wird aber nichts mit Ruhe, nicht in dieser ersten Szene und nicht in dieser Serie. Allein deswegen, weil Vicky Jones das Drehbuch zu Run geschrieben hat und ihre Kollegin und Fleabag-Darstellerin Phoebe Waller-Bridge eine der Produzentinnen ist. Und wo Fleabag ist, und sei es nur ein Hauch, da wird es wild, düster, existenziell, urkomisch. Also vibriert Rubys Handy erneut und das Wort "Run" erscheint auf dem Display. Alles an dieser Frau wird nun lebendig, sie schnauft, sie schwitzt, schreibt schließlich "Run" zurück, parkt aus und nimmt den nächsten Flieger nach New York, um dort in einen Zug nach Chicago zu steigen und Billy zu treffen. Diesen Billy, mit dem sie vor 15 Jahren einen Pakt geschlossen hat: Simst einer ihren Code und wird dies erwidert, rennen sie los; rennen rein in das Was-wäre-wenn-Klischee des Jugendliebe-Paktes, das die siebenteilige HBO-Serie ihren Figuren passiv-aggressiv um die Ohren hauen wird.

Denn Billy (Domhnall Gleeson) ist nicht der magische Mann, der die Frau (Merritt Wever) nun retten wird. Billy ist Lifecoach, angemessen desillusioniert und nicht immer nur nett. Ruby, die Architektin werden wollte und jetzt Hausfrau ist, hat ihre Kinder wegen einer SMS verlassen und bewegt sich zwischen Anrufen in Abwesenheit, Funklöchern, eingefleischtem Selbsthass, Trinkspielen und Lust. Bevor Ruby und Billy sich aber in einer grandiosen Fast-Sexszene im klaustrophobischen Schlafabteil annähern, werden sie streiten wie alte Freunde, ängstlich flirten wie Verliebte und separiert voneinander auf der Zugtoilette masturbieren.

Lange können sie sich nicht verstecken. Die Enge des Zuges und die Enge dieser Serie zwingt sie, sich zu häuten und zu offenbaren, was für ein Wurm man doch ist. Die Wurmartigkeit der Dinge ist Kern dieser Geschichte über zwei Erwachsene auf der Flucht. Und so lustig es ist, Ruby und Billy zuzusehen, fragt das auf Eindeutigkeiten trainierte Zuschauerhirn sich irgendwann doch, in welchem Genre man hier eigentlich steckt: Romantik-Farce, tragischer Thriller, Anarcho-Slapstick? Absolut keine Ahnung, aber es ist großartig.

Das liegt vor allem an der großen und uneitlen Schauspielerin Merritt Wever, die sich wirklich nackt macht vor ihrem Publikum, verletzlich. In einem Moment starrt sie melancholisch die Mall an, als sei ihr Leben vorbei und kurz darauf rennt sie herum, als beginne es erst jetzt. Eine Fleabag im klassischen Sinne ist Ruby nicht, wie auch, Phoebe Waller-Bridge hat in Run einen kurzen Auftritt als Tierpräparatorin. Und doch steht Fleabag als fatale Bezugsgröße immer im Raum, geht es auch in Run um einen Frauencharakter, der wirklich Charakter hat, Abgründe, Witz. Irgendwann liegt dieser Charakter in einem himbeerroten, zu engen Kleid auf dem Boden eines Klamottenladens in Chicago und windet sich. Raus, sie will da raus, wie schon aus der engen Parklücke, und sie kommt da raus.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2020
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