Finale beim "Dschungelcamp" 2013:Wir wollen sie nicht nackig, sondern leiden sehen

Deutschland hat wieder einen König. Endlich. Was hat Joey Heindle, der bei DSDS noch unter "ferner liefen" rangierte, im Finale des Dschungelcamp zu Blüten-Krone und geschnitztem Zepter verholfen? Tränen und treudoofe Thronanwärter-Reden. Gegen diese "Tyrannei des Proletariats" kam die Konkurrenz trotz vollen Körpereinsatzes nicht an.

Eine TV-Kritik von Johanna Bruckner

Am Tag der Royal Wedding in Großbritannien, man schrieb den 29. April 2011, tobten zwei Seelen in der Brust des heimlichen Hochadel-Fans. Ach!, was sah Kate hübsch aus in Weiß, mit brünetter Welle und Waity-Katie-lacht-zuletzt-Lächeln auf den rosigen Lippen. Gäbe es doch nur hierzulande echte Kronjuwelen und nicht bloß eine Perle aus der Uckermark, dachte sich der geneigte Monarchist. Um gleich darauf durchzurechnen, was all das den britischen Steuerzahler gekostet haben mag: Ach!, all die Ausgaben.

Nun hat auch die hiesige Republik wieder einen König. Und während die Aufnahme der Bürgerlichen Kate Middleton in den Hochadel ein teures Vergnügen war, ist die Krönung von Ex-DSDS-Teilnehmer Joey Heindle ein relativ preisgünstiger Spaß fürs Fernsehvolk. Mancher Kritiker würde wohl immer noch sagen: billig. Wobei die RTL-Show "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!", oder schlicht: Dschungelcamp, mittlerweile durchaus auch im erweiterten Feuilleton diskutiert und goutiert wird.

Im Finale am Samstagabend, zu bester Sendezeit, wird der neue Regent des australischen Regenwaldes gekrönt. Oder wie es Moderatorin Sonja Zietlow formuliert: "einer kleinen unabhängigen Monarchie" unter deutscher Flagge. Und weil Schwarz-Rot-Gold eben auch für eine demokratische Grundordnung steht, dürfen die Bürger daheim an den Bildschirmen den Nachfolger Ihrer Hoheit, Brigitte I. (Nielsen), wählen. Via kostenpflichtigem Telefonvoting - selbst in der fortschrittlichsten Monarchie gibt es eben nichts umsonst.

Aus dem Volk, für das Volk

"Ich weiß, es ist Ende des Monats und das Geld ist knapp - aber ruft für mich an!", appelliert der 19-jährige Joey in einem seiner Wahlwerbespots an die Zuschauer. Ein junger Mann aus dem Volk für das Volk - das kommt an bei Teenagerinnen mit schmalem Taschengeld. Und bei vielen anderen vermutlich auch, schließlich ist Krise.

Für ihre Investition bekommen die Wähler/Anrufer dann auch etwas geboten: Jeder Finalist muss in eine persönliche Dschungelprüfung, neben dem Jungen aus dem bayerischen Freising ist zu diesem Zeitpunkt noch Travestie-Star Olivia Jones, zuhause auf der Hamburger Reeperbahn, im Rennen um die Regentschaft. Daily-Soap-Starlet Claudelle Deckert, Bewohnerin der Schillerstraße bei "Unter uns", komplettiert das Thronanwärter-Trio.

Die Quälereien, die in jeder Staffel vor der Überreichung der Urwald-Insignien stehen, tragen so bedeutungsschwangere wie nichtssagende Namen. Die Kandidaten dürfen zwischen "Nervenstärke", "Überwindung" und "Grenzerfahrung" wählen. Wobei, so räumt Moderatorin Zietlow freimütig ein, hier das "Putin-Modell" zu Anwendung komme: Bei den seit 16 Tagen solchermaßen Geplagten wird lediglich die "Illusion einer Wahlmöglichkeit" erweckt. Was hinter dem jeweiligen Begriff steht, entscheiden die Macher der Sendung willkürlich. Das heißt: quotenoptimiert.

So darf Claudelle Deckert, die - wie Gott und Photoshop sie schufen - die aktuelle Ausgabe des Playboy ziert, ihre Reize präsentieren. Im Bikini muss die Enddreißigerin in einem Wassertank nach Sternen tauchen. "Frauen, die sich nackig machen: Dafür hat Balder noch auf die Fresse bekommen, wir bekommen den Fernsehpreis", kommentiert Daniel Hartwig das Spektakel in Anspielung auf die 90er-Jahre-Show Tutti Frutti.

Solch brachiale Bescheidenheiten gehen dem Neu-Moderator beim Staffelfinale genauso leicht über die Lippen wie die showtypischen Boshaftigkeiten. Die Süffisanz seines verstorbenen Vorgängers Dirk Bach bleibt freilich unerreicht. Nach bestandener Pool-Prüfung, inklusive Nipplegate, ist klar: Claudelle wird nicht Dschungelkönigin, trübes Wasser und Aale haben einfach zu wenig Ekel-Potential. Da hilft es auch nicht, dass die Blondine zurück im Camp abermals ihre Brüste blitzen lässt. Das Volk will seinen zukünftigen Herrscher nicht nackig, sondern leiden sehen. Außerdem ist die Schauspielerin auch viel zu gewöhnlich fürs freakverwöhnte wie -versessene Publikum. O-Ton Zietlow: "So einen normalen Menschen hatten wir noch nie."

Entwaffnend schlicht

Normal ist Joey Heindle nicht. Eher von entwaffnend schlichtem Geist ("Ich will morgen nicht tot aufwachen"/"Wird das hier gerade gefilmt?"/"Transevip (gemeint war: Transvestit, Anm. d. Red.) - das hört sich an wie ein ICE aus China"). Und bereit, Opfer zu bringen für Blüten-Krone und Holz-Zepter. Dass seine Chancen so schlecht nicht stehen, diese am Ende des Abends sein Eigen zu nennen, wird dem geneigten Dschungelcamp-Zuschauer zu früher Stunde klar.

Denn der 19-Jährige muss in die abscheulichste aller Prüfungen: Dabei gilt es, Tiergenitalien und andere Übelkeit erregende Dinge zu essen und einzubehalten. Wer hier seinen Brechreiz niederringt, hat traditionell beste Aussichten auf den Adelsstand. "Bitte vergib' mir, dass ich das jetzt mach'. Ich hoffe, du küsst mich dann noch", sagt Joey in Richtung seiner Freundin in die Kamera, bevor er Kuheuter, Kamelfuß, fermentiertes Straussen-Ei, Straussen-Anus und Buschschweinsperma hinunterwürgt. Anschließend verabschiedet er sich mit der Ankündigung, sich den Magen zu entleeren.

Nur wer sich erniedrigt, erobert Herzen

Solche Aussagen mögen zappende Feuilletonisten zusammenzucken lassen. Doch Ekel ist ein Erfolgsfaktor des Formats und in der siebten Ausgabe waren Körperausscheidungen aller Art präsenter denn je. So macht sich der Kameramann dann auch nicht mal auf, das Angekündigte abzufilmen. Und Moderator Hartwig befindet, Joey sei ein "mehr als würdiger Finalist". Wobei ein Begriff aus der Wortfamilie "Würde" im Kontext des Dschungelcamps, das sei bei allem Unterhaltungswert gesagt, irgendwie unpassend erscheint. An anderer Stelle vergleicht Hartwig die Monarchen-Suche mit Maden-Garantie mit dem Kommunismus. "Bei uns bekommt jeder gleich viel ab - an Häme."

Nur wer sich entblößt und erniedrigt, erobert Herzen. Das ist bei den Windsors (Prinz Harry) nicht anders als im Urwald (Joey). Und das ist wohl auch der Grund, warum für die favorisierte Olivia Jones, die mit einer ungleich höheren Popularität als die anderen Kandidaten ins Camp zog, am Ende nur das Prinzessinnen-Krönchen bleibt. Oder warum die ebenfalls hochgehandelte Ex-Topmodel-Teilnehmerin Fiona Erdmann bereits vor dem Finale rausflog. Beide ließen sich nicht hinter die Masken gucken. Die mit dem undankbaren Blech-Rang abgestrafte Fiona behielt ihre bis zuletzt auf: "Vierter Platz - waaahnsinnig!", lauteten ihre letzten Worte. Begleitet von einer Fratze falscher Freude.

Tyrannei des Pöbel

Nein, so etwas will das Volk nicht sehen. Der König muss am Boden liegen, um auf den Thron emporgehoben zu werden. Olivia Jones liegt bei ihrer Dschungelprüfung zwar auf dem Rücken in einer Lore. Doch selbst als ihr in einem künstlichen Bergwerksstollen Motoröl und allerlei Getier auf das maskenhaft geschminkte Gesicht und die falschen Brüste regnen, weiß sie noch, sich imagegerecht in Szene zu setzen, wie folgender Dialog mit Moderatorin Zietlow belegt:

Jones: "Wenn dieses ganze Zeug auf mich kommt, krieg' ich den Sack (für die Sterne, Anm. der Redaktion) gar nicht auf.

Zietlow: "Ich bin sicher, mit Säcken kennst du dich bestens aus."

Jones: "Ja, und auch mit Dark Rooms, ich fühl' mich hier wie Zuhause."

Mit ramponiertem Make-Up gibt der Travestie-Künstler nach absolvierter Tortur ein Interview. "Ich sehe gerade aus wie eine Dreck-Queen", sagt die Drag-Queen, die bürgerlich Oliver Knöbel heißt. Aber das reicht eben nicht. Und auch der Seelenstriptease am Lagerfeuer - welche Schwierigkeiten in der Jugend die eigene Homosexualität bereitet habe - kommt zu spät und zu halbherzig.

Joey hingegen hatte schon Tage zuvor im Flammenschein von seinem gewalttätigen Vater berichtet, von den Leiden seiner Kindheit. Und das wohl deutlich weniger kalkuliert. So ist es um um 23.56 Uhr deutscher Zeit nicht die Queen, die Königin wird. Vielmehr setzt die "Tyrannei des Pöbel" (O-Ton Hartwig einige Tage zuvor) dem naiven Narr die Krone auf. "Man führe ihn vor - nein, das haben wir ja schon getan. Man führe ihn zu uns", sagt Moderatorin Zietlow.

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