Filmprojekt:Deutschstunde

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Als Kämpfer für "denkendes Fernsehen" würdigt Heinrich Breloer mit Bertolt Brecht das nächste nationale Heiligtum. Für die ARD hat er einen Dokufilm über Leben und Werk des Dramatikers gedreht. Ein Treffen in Prag.

Von Willi Winkler

Ein echtes Waffenauto sei das, sagt stolz sein Besitzer, gebaut von der Firma Steyr in Linz, die groß wurde durch die Belieferung der k. u. k. Armee. Das Fahrrad, das Auto kam erst später dazu, die militärische Herkunft aber blieb im Namen erhalten und ging in die Literatur ein. 1929 setzte der 31 Jahre alte Autor Bertolt Brecht seinen Steyr XII bei Fulda gegen einen Baum. "Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz", hatte er gedichtet und sich gleich im Direktmarketing geübt: "Mensch, fahre uns!"

Ein baugleicher Wagen, einer dieser von Brecht besungenen "Singenden Steyrwägen", steht jetzt in Prag unverletzt in der Sonne, geliefert von einem weiteren Steyr-Enthusiasten, und im Fond sitzt nicht Brecht, sondern seine Frau, Helene Weigel. Da hier in den Barrandov-Studios ein Film gedreht wird, kann es sich auf keinen Fall um die echte Weigel handeln, auch wenn ihr Adele Neuhauser heute verblüffend ähnlich sieht. Tatort-Süchtige kennen sie, die Weigel-Neuhauser ermittelt sonst mit dem mindestens gleich schlecht gelaunten Harald Krassnitzer in Wien wegen Mord und Totschlag und österreichischer Gesamtkorruption, aber hier ist sie ganz und gar Brechts vielgeprüfte, dabei so resolute Frau.

Brecht und die Weigel mussten 1933 nach dem Reichstagsbrand nach Prag fliehen, "öfter als die Schuhe die Länder wechselnd", die erste Station der Emigration. Jetzt hat es sie ein weiteres Mal nach Prag verschlagen, in bester Absicht diesmal und als Teil einer umgekehrten Arbeitsmigration. In Prag ist im Schutz der tschechischen Sprache in 43 Drehtagen das sehr deutsche Dokudrama Brecht von Heinrich Breloer entstanden. Während der Westen für die Menschen in Osteuropa nichts von seiner Zugkraft eingebüßt hat, entwickelt der Osten seine eigene Attraktivität. Nicht nur Motorradgreise zieht es nach Prag, wo sie in der Altstadt die Motoren viel besser als daheim aufheulen lassen können und das Bier immer noch sagenhaft billig ist, auch das Drehen kommt hier so viel günstiger, dass immer mehr Produktionen nach Tschechien verlagert werden.

Breloer versichert, dass die Arbeitsmöglichkeiten in Prag genauso gut seien wie bei der Bavaria oder beim Studio Hamburg. Und es stimmt: In der benachbarten Halle wird ein nicht ganz so literarischer Stoff bearbeitet, die Neuverfilmung von Lothar-Günther Buchheims Das Boot, mit dem vor 35 Jahren die Bavaria groß herauskam. Breloer könnte aber auch sagen, dass sich das deutsche Fernsehen ein zweiteiliges Dokudrama über den zeitweise kommunistischen Dichter Bert Brecht gar nicht mehr leisten würde, wenn es so teuer käme, wie es das Drehen in Deutschland wäre. Das Waffenauto kommt eh aus Österreich, Habsburg quasi.

Nach jahrelanger Vorarbeit, nach dem Todesspiel (über den Deutschen Herbst), nach Die Manns - Jahrhundert-Roman (über Thomas, Heinrich, ihre Frauen und Kinder), nach S peer und Er (über, genau, und dessen Rüstungsminister), nach mehreren Drehbüchern hat Breloer die öffentlich-rechtlichen Sender noch einmal auf die Probe stellen wollen, nämlich ob sie neben dem "träumenden" auch noch das "denkende Fernsehen" verkraften und damit ein Breloer-Denkstück, das sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt, und nicht den Vergangenheitskitsch von etwa Unsere Mütter, unsere Väter bringt, der für Quote im Hauptabendprogramm sorgt.

Er hat keinen grandseigneuralen Armin Müller-Stahl diesmal, keinen Thomas Mann, der ihm den Sendeplatz um Viertel nach acht garantierte, und ob Brecht von der Nation ebenfalls als die "nationale Aufgabe" betrachtet wird, als die Breloer die Geschichte der Familie Mann sah und sieht, ist noch die Frage. Durch Die Manns und die nachfolgende Buddenbrooks-Verfilmung habe sich der Absatz der Bücher von Thomas Mann um dreißig Prozent gesteigert, behauptet Breloer, und der S.-Fischer-Verlag, in dem sie erscheinen, bestätigt es.

Bei Brecht sieht es doch ein wenig anders aus. Zumindest der Stückeschreiber ist ziemlich tot. Er mag noch immer der meistgespielte deutsche Autor im Ausland sein (viele sind es ohnehin nicht), der junge Peter Handke hat ihn schon 1968, auf dem Höhepunkt der Brecht-Begeisterung, ausgiebig geschmäht: "Als reine Formspiele kann ich die Stücke Brechts noch ertragen, als unwirkliche, aber doch ergreifende Weihnachtsmärchen." Diese Stücke sind vom theatralischen Lehrplan verschwunden, mit ihnen ist allerdings auch der Lyriker in den Hintergrund getreten, der, gemessen an seinen jugendlichen Kraftmeiereien, so empfindsam sein konnte und richtig sentimental. Das Ende der DDR hat ihm nicht gutgetan, aber wenigstens lockerte sich dann auch der Zugriff der Erben, die auf neue Inszenierungen gern mit Verboten reagierten.

Für Breloer stammt Brecht noch aus der ganz frühen Bundesrepublik. "Mit ihm gingen die Wände auf in meiner katholischen Kindheitswelt." Im Internat wurde damals geraunt, dass im Bochumer Theater diese "Schweinereien" gespielt würden. Es wurde tatsächlich eine, als der westdeutsche Außenminister - er trug den schönen Namen Brentano - Brecht allen Ernstes mit dem Nazi-Dichter Horst Wessel verglich. Breloer aber entdeckte bei einem Buchhändler die "Hauspostille". Im Gespräch beginnt er sofort zu deklamieren: "Lasst euch nicht verführen / Zu Fron und Ausgezehr! / Was kann euch Angst noch rühren?"

Als Brecht-Jünger besuchte er vor vierzig Jahren Paula Banholzer, las ihr vor der Kamera Partien aus Brechts Tagebuch vor. Las vor, wie Brecht seiner Freundin das Schwimmen beibrachte. Aber das stimmt doch gar nicht, protestierte die ehemalige Geliebte, mit der der Dichter einen Sohn hatte, das habe er bloß behauptet. Breloer: "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Brecht lügt."

Unter vergrößerten Standfotos von Tom Hulce als Mozart und längst vergessenen Defa-Märchenfilmen, die wie Miloš Formans Film Amadeus in diesen Studios entstanden, sitzen die Schauspieler und ihr Regisseur. Brecht wird, seiner mindestens Doppelköpfigkeit wegen, gleich von zwei Schauspielern dargestellt: Tom Schilling gibt ihn bis 1933, der ältere, weisere Brecht, der Autor der "aufgeklärten Weltproblemstücke" (Handke), kommt von Burghart Klaußner. Der hat bis zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige Szene mit Schilling gesehen.

Tom Schilling wird die Freude der jüngeren Zuschauer sein. Äußerlichkeiten sind ihm egal

Klaußner sieht seinen Brecht als Fortsetzung seiner letzten großen Rolle, der des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer ("beide gewaltige Exzentriker") und spricht von der Herausforderung, gegen das Geniebild, das landläufig erwartet werde, anzuarbeiten. Klaußner kommt es darauf an, den "Menschen mit der schiefen Nase, mit dem großen Geschlechtstrieb, mit dem großen aufklärerischen Kopf, dem großen Herzen und seiner nicht weniger großen Freundlichkeit" zu zeigen, zu dem auch "diese merkwürdige Fistelstimme" gehörte.

Tom Schilling wird die Freude der jüngeren Zuschauer sein, die das Glück hatten, in der Schule nicht mit Brecht traktiert zu werden. Dabei geht fast nicht mehr Brecht als bei ihm. Mit zwölf hat er beim Berliner Ensemble angefangen, in Brechts Theater am Schiffbauerdamm, er war der Andrea Sarti im Leben des Galilei, für ihn schließt sich ein Kreis. "Am Anfang, wenn ich mich vorbereite, denke ich, ich bin meilenweit davon entfernt. Aber dann vertraue ich darauf, dass die Sachen aus mir herauspurzeln."

Äußerlichkeiten, etwa Brechts dicke Augsburger Kehle, sein Dialekt, der sich noch durch sein Englisch fraß, interessieren ihn nicht. Selbst wenn er ein halbes Jahr trainieren würde, käme er nicht an dieses Original heran. Trotzdem besteht Schilling darauf, dass er der Richtige ist, spricht sogar von einer "gewissen Dringlichkeit". "Auch wenn das jetzt esoterisch wird, ich bin wie Brecht am 10. Februar geboren", sagt er und setzt ganz unironisch dazu: "Ich bin dann Brecht." Was sich zeigen wird im Herbst 2018, wenn Breloers Brecht im Ersten läuft.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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