Filmkritik:Alles bleibt anders

Julia Koschitz spielt in einem ZDF-Film eine junge Mutter und erfolgreiche Architektin, die mit der Diagnose Multiple Sklerose umgehen muss.

Von Nina von Hardenberg

"Und was heißt das jetzt?" Die Frage knallt Marie (Julia Koschitz) dem Neurologen hin, der gerade versucht, ihr die Diagnose Multiple Sklerose (MS) zu erklären. Sie habe einen Fulltime-Job und ein kleines Kind. "Ich muss wissen, wie es weitergeht!" Das aber kann ihr weder dieser noch ein anderer Arzt genau vorhersagen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Marie immer alles unter Kontrolle. Sie liebte die Kontrolle, und sie liebte ihr perfektes Leben, das im Film mit nettem Musiker-Mann, süßem Sohn, erfolgreichem Architektenjob und schicker Wohnung recht klischeehaft in Szene gesetzt wird. Mit der Diagnose aber fängt sie an zu schwimmen. Balanceakt zeigt ihr Ringen um einen Umgang mit der Krankheit. Von Unglauben und Ohnmacht am Anfang, als sie im Park beim Anblick einer Frau im Rollstuhl fast zusammenbricht, über Verdrängung, als sie - für den Zuschauer schwer erträglich - versucht, ihre Einschränkungen vor der Chefin und den Kunden zu überspielen. Der Zuschauer weiß natürlich, dass sie diese Rolle nicht wird durchhalten können, und so wartet man etwas gequält auf den Zusammenbruch, der dann auch folgt.

Sehenswert ist der Film, weil er erzählt, wie die Liebe einer Familie von der Krankheit auf die Probe gestellt wird. Zwischen Marie und ihrem Mann Axel (David Rott) verschieben sich die Gewichte. Sie, die bislang die Hauptverdienerin der Familie war, muss seine Hilfe annehmen. Er will ihr beistehen und fühlt sich doch von ihr zurückgewiesen. Auch Maries Eltern sind überfordert in ihrer eigenen Trauer, schwanken zwischen Bemuttern, als sie ungefragt beginnen, ihr eigenes Dachgeschoss behindertengerecht umzubauen, und Schweigen. Am eindringlichsten aber ist die Schwestern-Beziehung: Die Große hat stets auf die Kleine aufgepasst. Die beiden sind in Liebe und Eifersucht kompliziert miteinander verstrickt. Kerstins Versuche, Marie zu helfen, empfindet diese als Einmischung und weist sie brüsk zurück. Doch das ist noch nicht das Ende.

Regisseurin Vivian Naefe (Buch: Agnes Pluch) arbeitet mit dem Film ihre eigene Kindheit auf. Ihre Mutter starb an Multiple Sklerose, als sie acht Jahre alt war, was sie tief traumatisierte. Weder Sender noch Produzent wussten davon, als sie ihr die Regie anboten. Sie selbst empfand es als schicksalhafte Chance, sich dem Thema ihrer Kindheit noch einmal zu stellen.

An ihre eigene Mutter erinnert sie sich nur noch als kranke, schwache Frau im Rollstuhl. Im Film zeichnet sie eine Mutter, die zwar weiß, dass diese Krankheit nicht gut ausgeht, die es aber trotzdem schafft, einen selbstbewussten Umgang mit der Krankheit zu entwickeln. Von Marie geht deshalb auch am Ende des Films noch große Energie aus, wenn sie sagt, dass sie nicht beeinflussen kann, wie es weitergeht. Aber dass sie weiterlebt, nicht trotz der Krankheit, sondern mit ihr. Balanceakt nimmt einem nicht die Angst vor MS, dafür zeigt er die Krankheit zu realistisch mit allen Einschränkungen. Aber es ist doch ein Film, der tröstet.

Balanceakt, ZDF, 20.15 Uhr.

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