Film über Erdbeben in Japan:Live aus dem Inferno

In "My Tsunami" schildern Stephan Lamby und Ada Teistung Japan nach dem verheerenden Erdbeben, ohne selbst im Katastrophengebiet gewesen zu sein. Das ZDF zeigt den Film nun in einem Spartenkanal - und hofft auf Signalwirkung.

René Martens

Wie lässt sich in kurzer Zeit eine Dokumentation über die Lage in einem Land drehen, wenn man nicht vor Ort sein kann? Das fragten sich Stephan Lamby und Ada Teistung, als sich die Ausmaße der Erdbebens in Japan abzeichneten. Ihr Film My Tsunami zeigt nun eine Option: Man nutzt den Internet-Telefondienst Skype.

Kesennuma

Ein Mann radelt durch Kesennuma in der Präfektur Miyagi, die vom Erdbeben am 11. März 2011 schwer getroffen wurde. Viele Einwohner lieferten dem Filmemacher ihre Erfahreungen per Internetdienst Skype zu.

(Foto: dpa)

Bald nach Ausbruch der Katastrophe begann Lambys Produktionsfirma über Facebook, nach Zeitzeugen zu suchen, die zu Interviews via Skype bereit waren. "Wir sind an Personen herangekommen, an die die deutschen Korrespondenten nicht heran kommen konnten", sagt Lamby. Die hiesigen Medien hatten ihre Mitarbeiter bekanntlich nach und nach aus den besonders strahlenbelasteten Regionen abgezogen.

Unter anderem ein Matrose und eine Lehrerin schildern im Film, wie sie die Katastrophe und die Tage danach erlebten - wie sie in die Tsunami-Fluten stürzten, sich unter einem Tisch versteckten oder beinahe durchdrehten, aus Angst um ihre Familien, die nicht erreichbar waren. Die Aussagen illustrieren die Filmemacher mit Videos, die ihre Interviewpartner selbst gedreht haben, als sie in Gefahr waren. Abgesehen von zwei Sequenzen aus dem Fundus des AKW-Betreibers Tepco stammt das Filmmaterial ausschließlich von Amateuren.

My Tsunami, nun im ZDF Infokanal zu sehen, sei höchstwahrscheinlich die erste Doku, deren Interviews alle über Skype geführt wurden, sagt Lamby. An die Ästhetik muss man sich gewöhnen. Die Gesprächspartner hocken, zwangsläufig, alle vor ihrem Computer und schauen in die Kamera am oberen Rand des Geräts. Für den Zuschauer lohnt sich die Sache dennoch, weil er verfolgen kann, wie sich Redeweisen entwickeln, die man aus Dokus bislang nicht kennt. Von einer Distanz zwischen Interviewer und Interviewten ist wenig zu spüren, die Zeitzeugen verhalten sich so, als säße am anderen Ende der Verbindung eine vertraute Person. Offenbar kann via Skype eher eine private Gesprächsatmosphäre entstehen als bei einem normalen Dreh, wo neben dem Autor noch Kamera- und Tonleute dabei sind.

Einige Sender, denen er das Projekt vorgeschlagen habe, hätten abgewunken, weil ihnen das Risiko zu groß war, sagt Lamby. Vor Beginn der Produktion habe man die Qualität des "User Generated Content" nicht einschätzen können. Die Zusammenarbeit mit einem großen Haus sei von vornherein wenig aussichtsreich gewesen, weil dort "die Entscheidungswege lang sind" (Lamby), er und sein Team aber schnell reagieren wollten.

Bald im ZDF: "Neue Sphären"

Von dem Film versprechen sich die Mainzer eine Signalwirkung. ZDF-Chefredakteur Peter Frey, Kanalkoordinator Peter Wagner und die 15-köpfige Redaktion krempeln das Infoprogramm gerade um. Wenn die Umbauarbeiten abgeschlossen sind - Neustart ist am 5. September -, wolle man öfter mal was riskieren, heißt es. "Ein Kanal, der neue Sphären des Fernsehens erkundet", schwebt Frey vor. Dokumentationen sollen "programmprägend" sein, wobei der Chefredakteur "neuartige Stoffe und Macharten" verspricht, "die man sich in einem Hauptprogramm nicht leisten kann". ZDF Info, wie der Kanal dann heißen wird, ist außerdem als Premierensender für Filme der Reihe Zoom vorgesehen, die gerade mittwochs auf dem 22.45-Uhr-Sendeplatz gestartet ist. Bei ZDF Info sollen diese Filme bereits dienstags laufen - "zu einem noch besseren Sendetermin" (Frey).

Was konkret geplant ist an "neuartigen" Dokumentationen, sagt Frey noch nicht. Nur so viel: My Tsunami könne als "Muster" für künftige Projekte dienen. Stephan Lamby betont indes, man könne "nicht bei jedem Land" so arbeiten. Syrien etwa käme aktuell nicht in Frage. Da ließe sich kaum beurteilen, ob das Material, das man geliefert bekommt, nicht inszeniert sei.

My Tsunami - die Katastrophe via Skype, ZDF Infokanal (digital empfangbar), 21.00 Uhr.

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