Fernsehwerbung:Die TV-Werbepause wird persönlich

Fernsehen, 1935

Früher sah man einfach, was gerade lief: Gemeinsames Fernsehen im Kreise von Bekannten im Jahr 1935.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon wollen auch die klassische Werbung revolutionieren - dank erhobener Daten aus dem Netz.

Von Jürgen Schmieder

Wer schon mal zufällig den Facebook-Account seines Partners geöffnet hat, der weiß, dass da auf den Werbeflächen ganz andere Produkte zu sehen sind als im eigenen Account - also keine Turnschuhe oder Unterhosen zum Beispiel, sondern, sagen wir, Kickstarter-Kampagnen und Duftkerzen. Natürlich gibt es personalisierte Werbung bereits seit einigen Jahren. Aber inzwischen ist es nicht nur so, dass kurz nach einer Online-Bestellung die nicht gekauften Artikel bei Facebook auftauchen, verbunden mit der freundlichen und doch aufdringlichen Frage: "Haben Sie vielleicht was vergessen?" Sondern es ist vielmehr so, dass genau das auch während der Werbepausen von Fußballspielen passieren könnte.

Facebook hat gerade verkündet, kommende Saison auf dem US-Markt 20 Champions-League-Partien zeigen zu wollen, die Kooperation des sozialen Netzwerks mit Rechteinhaber Fox Sports umfasst zwölf Gruppenspiele und je vier Partien im Achtel- und Viertelfinale. "Wir wollen unserem Partner helfen, neue Zuschauer zu erschließen", sagt Dan Reed, bei Facebook verantwortlich für solche Sport-Kooperationen; er hat bereits Deals mit der mexikanischen Fußballliga und der US-Liga MLS eingefädelt: "Wir setzen voll auf Fußball." Worauf Facebook noch setzt: viel Geld verdienen mit personalisierter Werbung.

Im traditionellen Fernsehen läuft das ja meist noch immer herrlich gleich: In der Halbzeitpause beim Fußball werden alkoholische Kaltgetränke und Fahrzeuge angepriesen, weil noch immer gilt, dass vor allem Männer zusehen und dass die gern Bier trinken und Autos kaufen. Der gleichen Logik folgend gibt es in den Pausen von Seifenopern Werbung für Prosecco. Und alle - Frauen, Männer, Biertrinker, Schaumweinschlürfer, Autofahrer - sehen die exakt gleiche Werbung.

Wenn das Fernsehen übers Web kommt, sind die Zuschauer durch ihre IP-Adresse identifizierbar

Die Weiterentwicklung der traditionellen Fernsehwerbung begann vor ein paar Jahren, als personalisierte Reklame im Internet anfing und Streamingportale ihre ersten eigenen Sendungen zeigten. Trotzdem werden TV-Sender in diesem Jahr weltweit Werbeeinnahmen in Höhe von mehr als 160 Milliarden Euro generieren; rechnet man die Umsätze durch Reklame bei Digitalvideos hinzu, dürften es mehr als 190 Milliarden Euro werden. Davon wollen Silicon-Valley-Unternehmen wie Facebook, Amazon und Google-Mutter Alphabet möglichst viel abhaben. Aber Firmen mit dicken Etats werben noch immer vor allem dann, wenn ganz besonders viele Menschen vor dem Fernseher sitzen.

Facebook testet seit November 2016 in Zusammenarbeit mit Apple TV und dem Streaminganbieter Roku, wie das Vermitteln personalisierter Werbefilme funktionieren könnte. Facebook möchte das immense Wissen über seine weltweit zwei Milliarden Nutzer über das firmeneigene Netzwerk Audience Network monetarisieren, das Werbung auch außerhalb des eigenen Universums vermittelt. In den USA kommt dazu, dass jetzt Millionen von Amerikanern ihre Kabelverträge kündigen. Sie schließen Einzelabos mit Streamingportalen ab, beziehen übersichtlichere TV-Pakete bei Anbietern wie Roku, Sling TV oder Vue, bestellen Livesport direkt bei Apps der Ligen und sehen Serien auf den teils werbefinanzierten Apps der Sender.

Der Vorteil für Facebook, vereinfacht ausgedrückt: Das Fernsehen wird übers Internet geliefert, die Zuschauer sind damit identifizierbar - über die IP-Adresse als Haushalt oder über die Anmeldung per Facebook-Account sogar als Individuum. Facebook ist in der Lage, in den Unterbrechungen der Champions-League-Partien personalisierte Werbung zu zeigen. Also nicht einfach nur Bier und Autos, sondern Turnschuhe und Unterhosen. Oder eben Kickstarter-Kampagnen und Duftkerzen.

"Von allen digitalen Plattformen nutzt Facebook seine Daten für personalisierte Werbung am effizientesten", sagt Tracey Scheppach. Sie ist die Gründerin von Matter More Media und berät Firmen bei der Auswahl von Werbeflächen: "Die Zukunft von TV-Werbung dürfte darin liegen, möglichst spezifische Werbeinhalte zu liefern."

Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer ist gewaltig gesunken

Natürlich gibt es bereits Konkurrenz: Amazon etwa hat sich für 50 Millionen Dollar die Übertragungsrechte an zehn Partien der Footballliga NFL und dadurch auch zwei Minuten Werbezeit pro Stunde gesichert. Zusehen können nur Amazon-Prime-Abonnenten, weshalb Amazon nun entweder für selbstproduzierte Inhalte werben oder auf personalisierte Reklame setzen dürfte.

"Die Zuschauer sind mit ihrem Amazon-Account eingeloggt. Amazon weiß ganz genau, wer vor dem Fernseher sitzt, was er zuletzt gekauft hat und was er künftig kaufen könnte", sagt Michael Bologna, der mit seiner Firma One2one Media an der Entwicklung personalisierter Werbeformen arbeitet. Amazon-Chef Jeff Bezos besitze einen Werbegiganten: "Es ist nur die Frage, wann er ihn von der Leine lässt."

TV-Sender könnten davon stark profitieren, aber sie müssten dazu mit Facebook paktieren

Und dann gibt es noch Hulu, das in Zusammenarbeit mit den TV-Giganten Disney, 21st Century Fox, NBC Universal und Time Warner ein ganzes Bündel an Sendern über seine App anbietet und darüber sowohl traditionelle Reklame als auch personalisierte Werbefilme senden kann - genauso wie es Alphabet mit seinen Internetkanälen von Youtube TV tut.

Wichtig bei all diesen Werbeformen: Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer ist gewaltig gesunken. Verlangt werden daher extrem kurze Werbespots, die möglichst nicht nerven - statt aufwendiger Filme also womöglich nur die freundliche und doch aufdringliche Frage: "Hast du noch Butter im Kühlschrank?"

Die traditionellen Fernsehsender stecken nun in einer Zwickmühle. Sie könnten über die von Facebook vermittelte, zielgenaue Werbung mehr Geld verdienen als bisher. Dafür müssten sie aber mit einem Unternehmen kooperieren, das ihnen noch immer nicht ganz geheuer ist. Es gibt Manager bei Sendern, die einem gegen Zusicherung von Anonymität erzählen, dass sie lieber ihren Laden zusperren würden, als sich von Facebook Werbeinseln verkaufen zu lassen. Auffällig auch: Fox Sports überlässt Facebook nur jene Champions-League-Partien, die aufgrund zeitgleich stattfindender Spiele nicht auf dem eigenen Hauptkanal ausgestrahlt werden können. Noch.

Facebook selbst hat ganz offensichtlich keine große Eile, die Testphase dauert bereits mehrere Monate. Offizielle Erkenntnisse gibt es noch keine. Das Unternehmen hat inzwischen lieber verkündet, dass während des Champions-League-Finales der vergangenen Saison 34 Millionen Menschen nebenher bei Facebook und 14 Millionen beim Tochternetzwerk Instagram aktiv waren. Und es hat eine Studie veröffentlicht, was die Menschen eigentlich machen, wenn im traditionellen Fernsehen Werbung läuft: Etwa 20 Prozent der Probanden öffnen die Facebook-App. Dort sehen sie dann Reklame für Turnschuhe und Unterhosen. Oder für Kickstarter-Kampagnen und Duftkerzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: