Süddeutsche Zeitung

Fernsehserie:Mädchenträume

Wie wird man als Dicke glücklich? Das fragt sich Plum Kettle. Die Antwort in der Serie "Dietland": Rache statt Magenverkleinerung.

Von Runa Behr

Zu Beginn sieht alles nach einer klaren Sache aus, nämlich danach, dass Dietland die klassische Geschichte vom dicken Mädchen erzählt, das dann zu Selbstbewusstsein gelangt. Entweder - it's magic! - durch Körpertausch, durch einen Schlag auf den Kopf oder ganz romantisch durch einen Prinzen, der das Mädchen besser findet als sie sich selbst. So weit, so oft gesehen. Doch die Dark-Comedy-Serie Dietland will mehr.

In dieser Serie trifft "Fight Club" auf "Der Teufel trägt Prada"

Auch Plum Kettle (Joy Nash) ist ziemlich dick und ziemlich unglücklich - gerade im Vergleich zu ihren makellosen Kolleginnen beim Modemagazin Daisy Chain. Dort beantwortet sie Leserbriefe für ihre Chefin Kitty Montgomery (Julianna Margulies), ein sehr spezieller Job für ein Mädchen wie sie. Weil Plum nicht in Kleidergröße 36 passt, glaubt sie, auch im Hochglanz-Glitzer-New-York nicht reinzupassen. Dieses Gefühl streift sie sich über wie ihren schwarzen Pullover, ein bisschen eng, ein bisschen kratzig, aber sie lässt ihn an, weil es draußen kalt ist und sie sich nichts einfangen will, vor allem keine bissigen Kommentare. Plum träumt von einem neuen Leben, das sie mit einem neuen Körper gleichsetzt. Den Termin für die Magenverkleinerung hat sie rot im Kalender angestrichen.

Der Plot entwickelt sich nach der Vorlage von Sarai Walkers gleichnamigen Debütroman, der, so sagt die Autorin, an Fight Club angelehnt sei, eine weibliche Version dessen sozusagen. Plums Verzweiflung wächst zu Wut, die sie zu Beginn noch unterdrückt. Plum entdeckt diese Wut - und das wirkt dann ein bisschen an den Haaren herbeigezogen - nachdem sie von einem Mädchen in geringelten Leggins für eine feministische Untergrundbewegung mit dem Namen Calliope House angeworben worden ist. Die besteht aus Leuten, die aus verschiedensten Gründen durch das Daisy Chain-Raster fallen. Verena Baptist führt diese Gruppe als Wiedergutmachung für die Taten ihrer verstorbenen Mutter, denn die war eine gefeierte Diätpäpstin. Das eigene Fett hat Mami aber heimlich absaugen lassen, was Verena in ihrem Enthüllungsbuch Dietland publik macht. Plum ist schockiert; sie selbst ist auch schon an der Baptist-Diät gescheitert.

Währenddessen berichten die Nachrichten von brutal ermordeten Männern. Ihre Leichen tragen die Handschrift von "Jennifer", so nennt sich eine Splittergruppe von Calliope House. Die Toten haben zu Lebzeiten allesamt Frauen belästigt. Viele Männer werden unruhig. Auch beim Zuschauer wirft Jennifer Fragen auf. Nach den ersten beiden Folgen ist zu fürchten, Jennifer könnte das Klischee der männerhassenden Furie bedienen. Man wird sehen. Klar ist jedoch, dass Dietland beim US-Sender ABC vor dem Hintergrund der "#Me Too"-Debatte entstand und mächtig sarkastisch wird in der Art, wie jemand das Persönliche politisch nimmt.

Auch Plums dicker Körper ist ein politischer. Denn die Gefühle, die sie mit ihm verbindet, sind meist nicht ihre eigenen, sondern die der anderen Leute. Joy Nash spielt Plums Verletzlichkeit glaubhaft, es schwingt eine von innen kommende kämpferische Eleganz mit, die den Zuschauer Plums Stärke schon früh ahnen lässt. Dennoch ist die Serie mehr als nur Egostreichler, Seelentröster oder Schulterklopfer für all diejenigen, die im Freibad gelegentlich den Bauch einziehen. Es geht hier ums Kämpfen. Dietland schert sich erfrischend wenig um Genregrenzen, emanzipiert sich vom seichten Herzkino und entpuppt sich als hemmungsloser neo-feministischer Rachefeldzug.

Dietland, von Dienstag an bei Amazon.

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SZ vom 04.06.2018
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