"Bild"-Zeitung macht Fernsehen:Vorsicht, rotes Mikrofon

Claus Strunz Bild 100 beim Empfang am Axel Springer Haus in Berlin *** Claus Strunz picture 100 at the reception at the

Immer "auf Livemodus" sein: Bild-Programmchef Claus Strunz.

(Foto: Eventpress Radke/imago images/Eventpress)

Am Sonntag startet der neue Fernsehsender "Bild". Was das Publikum erwartet.

Von Verena Mayer

Vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder stammt der selbstentlarvende Satz, er brauche zum Regieren nur "Bild, BamS und Glotze", also die Bild-Zeitung, das Schwesterblatt Bild am Sonntag sowie das Fernsehen. Zwei Jahrzehnte später wäre für ihn die Welt vermutlich noch viel einfacher, denn nun macht die Bild-Zeitung auch selbst Fernsehen. Ab diesem Wochenende, genau gesagt ab Sonntag, 9 Uhr, kann man den Sender Bild frei und unverschlüsselt etwa über Satellit und Kabel empfangen. Im Juni hatte der Axel-Springer-Konzern dafür die Sendelizenz erhalten.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Printmarken auf Fernsehen setzen. Spiegel TV gestaltet seit den 80er-Jahren diverse Fernsehformate, in Österreich gibt es das reichweitenstärkste Blatt, die Kronen Zeitung, seit 2020 auch als Krone.tv. Was die Macher des Bild-Senders vorhaben, ist dennoch ambitioniert: Berichterstattung rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, beziehungsweise "24/7 live-haftiges Fernsehen", wie es der Springer-Konzern nennt. Das Kernstück bildet wochentags eine durchgängige Livestrecke zwischen neun und vierzehn Uhr. Sie wird von einem Moderationsteam begleitet, für das die Bild-Verantwortlichen unter anderem Sandra Kuhn von RTL und Thomas Kausch vom NDR gewinnen konnten. Umrahmt wird die Liveberichterstattung von Talkrunden sowie Crime- und Doku-Formaten. Erster Programmschwerpunkt am Sonntagabend: Die Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Armin Laschet und Olaf Scholz, wollen sich in der "Kanzlernacht" den Fragen der Bild-Journalisten stellen.

Schon in den vergangenen Monaten wurde in Bewegtbild umgewandelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war

Man verstehe sich weder als Vollprogramm noch als klassischer Nachrichtensender, sagte Bild-Programmchef Claus Strunz in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Sondern als "eigenes Genre - als Geschichten-Sender". Mit dessen Start wird der Axel-Springer-Konzern dann insgesamt drei TV-Sender unter seinem Dach haben: Bild, Welt und N24 Doku. Im Herbst 2019 hatte Springer angekündigt, dass in den drei Folgejahren insgesamt mehr als 100 Millionen Euro in "Wachstumsprojekte wie Live-Berichterstattung" investiert werden sollen, mit einem Schwerpunkt auf der Live-Video-Strategie von Bild.

Einen Vorgeschmack auf den Bild-Sender konnte man bereits in den vergangenen Monaten im Internet bei bild.de gewinnen. Da wurde unter dem Titel "Bild Live" in Bewegtbild umgewandelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war: das Warten auf die Ergebnisse einer Ministerpräsidentenkonferenz, die Räumung eines besetzten Hauses in Berlin, ein Fehlalarm um ein angeblich verdächtiges Paket im Reichstag. Es gab Momente, die - je nachdem, wen man fragt - von journalistischem Einsatz zeugten oder aber zum Fremdschämen waren. So wie der Auftritt eines jungen Reporterteams im Flutgebiet in Ahrweiler. Die beiden standen in Anglerhosen bis zur Hüfte im Schlammwasser und sagten Sätze wie "Wir haben hier gerade ein Schminktäschchen aus dem Wasser gezogen" in ihre roten Mikrofone. Vor allem aber gab es einige Redundanz zu beobachten, was wohl in der Natur der Sache liegt. Das Leben, das live eingefangen wird, ist nun mal oft auch banal.

Weil "Bild" traditionell viele Männer erreiche, setze man im Programm verstärkt auf Sport

Springers TV-Ambitionen fallen in eine Zeit, in der sich auf dem Fernsehmarkt einiges bewegt. Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen unter dem Druck, die Rundfunkgebühren mit Qualität zu rechtfertigen, RTL Deutschland und Pro Sieben Sat. 1 haben zuletzt ihre Newsangebote ausgebaut und dafür bekannte Journalisten von den Öffentlich-Rechtlichen abgeworben. Wie viel Publikum Bild auf diesem Markt finden kann, wird sich zeigen. Als Zielgruppe habe man aber jedenfalls "alle" im Auge, so Claus Strunz im dpa-Interview. Weil Bild traditionell viele Männer erreiche, setze man im Programm verstärkt auf Sport. So wird Sportkommentator Marcel Reif zweimal die Woche einen Fußball-Talk bestreiten, sonntags gibt es einen Sport-Schwerpunkt. Und auch wenn man Dokumentationen oder andere Formate sende, werde man praktisch immer "auf Livemodus" sein, wenn etwas Außergewöhnliches passiere, sagte Strunz.

Was das bedeutet, hat bereits Angela Merkel erfahren. Sie stellte sich im Juli zusammen mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer im Hochwassergebiet den Fragen von Presse und interessierten Bürgern, als es im Publikum unruhig wurde. Denn noch während Dreyer sprach, interviewte eine Bild-Journalistin just jene Bürgerin, deren Frage Dreyer gerade beantwortete. Ob sie die Dame vielleicht zuhören lassen könnte, was die Ministerpräsidentin sagt, und hinterher das Interview machen?, fragte Merkel. "Das wäre doch super." Bild und Glotze - zumindest die Kanzlerin scheint von dem Konzept noch nicht ganz überzeugt zu sein.

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Bürogebäude der Axel Springer SE in Berlin 12 02 2019 *** Axel Springer SE office building in Berli

Buch über die "Bild"-Zeitung
:Toxisch und tendenziös

Die Journalisten Mats Schönauer und Moritz Tschermak arbeiten in einem Buch sachlich die Methoden der "Bild" auf. Erst am Ende rutschen sie im Ton aus.

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