Süddeutsche Zeitung

Fernsehreporter Michel Abdollahi:"Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?"

  • Michel Abdollahi kümmert sich als "Reporter für kulturelle Kuriositäten" beim NDR um aktuelle politische Fragen. Bei seinen Straßenumfragen setzt er auf altbekannte Tricks, etwa das staunende Ach-wirklich-Gesicht.
  • Mit dieser Strategie nimmt er erstaunliche Dinge auf, etwa warum die sonst eher schweigsamen Bewohner eines Hamburger Edelviertels wirklich gegen eine Asylbewerberunterkunft in ihrer Nachbarschaft sind.
  • Nun plant der gebürtige Iraner eine eigene Late-Night-Show.

Von Nadia Pantel

Menschen, die fordern, dass es mehr Dialog geben müsse, halten gern Monologe. "Man muss mit den Leuten reden!" - der Zeigefinger schwingt im Takt der Silben. Geredet werden musste in den vergangenen Monaten zum Beispiel mit radikalisierten Abendlandisten. Zu Muslimen musste es auch Dialoge geben. Vielleicht fand der nicht oft mit Muslimen statt, aber auf jeden Fall über Muslime. Auch eine ernste Unterredung mit Deutschlands Eltern ist längst überfällig. Was stellen die sich eigentlich vor, wie ihre Kinder jemals erwachsen werden sollen.

Wer all diese Gespräche dann tatsächlich geführt hat? Michel Abdollahi, der "Reporter für kulturelle Kuriositäten" des Norddeutschen Rundfunks. Immer ausgesucht höflich, hochgeschlossenes Hemd mit Krawatte und unter Anwendung des ältesten Straßenreporter-Tricks: das staunende Ach-wirklich-Gesicht.

Mal fragt der eine, mal der andere

Seit Abdollahi im März 2014 seinen Job als NDR-Reporter aufgenommen hat, hat er sich auf einem Neonazi-Aufmarsch umgehört, was für Mode bei jungen Rechtsradikalen gerade angesagt ist, und er hat die weichen Kindergesichter verurteilter Gewalttäter gezeigt. Er hat auf einer Messe eifrige Eltern beraten, wie aus ihrem Nachwuchs ein Überflieger werden kann.

Er hat hanseatisch näselnden Rentnern und Hausfrauen zugehört, die verhindern wollen, dass im Hamburger Nobelstadtteil Harvestehude ein Flüchtlingsheim gebaut wird. Und schließlich hat er sich mit einem Schild mitten in der Hamburger Innenstadt postiert, auf dem stand: "Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?" Das mit dem Dialog funktioniert ja in beide Richtungen. Mal fragt der eine, mal der andere.

Abdollahis Mikrofon hat erstaunliche Dialoge aufgenommen

Gesendet werden Abdollahis Expeditionen montags um 22.45 Uhr im NDR. Angeschaut werden sie zu jeder Tages- und Nachtzeit im Netz. Abdollahis Beitrag über den "Nipster", den Nazi-Hipster, ist der meistgeteilte Internet-Schnipsel, den der NDR je hervorgebracht hat.

Wer sich bereit erklärt, Menschen zuzuhören, der riskiert, dass die Menschen beginnen zu sprechen. Abdollahis Mikrofon hat erstaunliche Dialoge aufgenommen: Eine Frau mit bordeauxrotem Hut in der Straße, in die die Flüchtlinge ziehen sollen. Abdollahi: "Wie finden sie das?" Dame mit Hut: "Unmöglich." "Warum?" "Die Leute können sich hier gar nicht wohlfühlen." "Aber es ist so schön hier." "Die sind ja völlig isoliert hier. Außerdem können die sich hier nicht mal ein halbes Pfund Margarine erlauben." "Weil das so teuer ist?" "Ja, natürlich."

Dann eine andere Dame mit aufwendig toupierter Frisur: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für beide Seiten gut wird, in dieser Konstellation. Einmal wunderschöne Häuser, und dann die armen Flüchtlinge, die wirklich um ihr Leben kämpfen." Auch der Mann, der seinen Jack-Russell-Terrier ausführt, möchte lieber keine neuen Nachbarn: "Das sind Leute, die haben alles durchgemacht und das kann sein, dass die dann Probleme machen, weil die wirklich so hart bei der Sache sind." Lektionen in Selbstentlarvung.

Journalisten erkundigen sich nach seinen Tricks

Nachdem der Beitrag gesendet wurde, riefen reihenweise Journalisten bei Abdollahi an, um zu fragen, mit welchen Tricks er seine O-Töne ergattert hat. Eigentlich gehört ein "Danke, wir sagen nichts" in Hamburgs Edelviertel zum guten Ton. Abdollahis einzige Tricks sind seine Höflichkeit, seine Eloquenz und ein teurer Mantel. Und ehrliche Neugier. "Ich mach' ja nur Sachen, die ich wirklich spannend finde" - Michel Abdollahi sitzt im braunen Kapuzenpulli in einem kleinen Café in Hamburg St. Pauli und redet eineinhalb Stunden durch.

Erzählt, wie er zwischen Stiernacken-Hooligans nach Nachwuchs-Nazis suchte ("Ich bin jetzt irgendwie nicht so der Angstmensch."), wie ihn der NDR ins Programm holte ("Der leitende Offizier hat mich angesprochen. Die wollten mich. Und ich wollte unter allen Umständen ins Fernsehen.") und wie er mit Achtzehn das erste Mal bei einem Poetry Slam mitmachte und prompt mit dem Vorlesen eines Schulaufsatzes gewann ("Ich wollte wissen, wie weit man im Deutschunterricht gehen kann. Das war ein Text über ausgedachte Szenedrogen, wo am Ende auf einer Seite 80 Mal das Wort Szene und 35 Mal das Wort Droge vorkam.").

Draußen vor dem Café erinnert ein Plakat daran, wie aus Abdollahi, 33 Jahre alt, in Teheran geboren, in der Ödnis von Hamburg Eidelstedt aufgewachsen, Jura- und Iranistikstudium, der Entertainer Abdollahi wurde. Auf einem Stromverteilerkasten wird für den "Kampf der Künste" geworben. Ein Poetry-Slam-Wettstreit, vor zehn Jahren von Abdollahi und seinem Freund Jan-Oliver Lange erstmals organisiert: Die besten Sprech-Poeten Deutschlands müssen sich an verstorbenen Lyrikern messen lassen; Schauspieler des Theater-Ensembles lesen Villon, Brecht oder Kästner. Wer besser ist, entscheidet das Publikum. Moderiert werden die Abende, natürlich, von Abdollahi. "Conférencier" nennt er sich und belehrt das Publikum über die Finessen persischer Dichtkunst.

Poetry-Slams waren zuletzt bundesweit Thema, als Julia Engelmann dort Carpe Diem in naive, deutsche Worte übersetzte. Es sind eigentlich verschwitzte Veranstaltungen, wo auf jedes vorgetragene Gedicht drei Pils kommen, und wo Typen, die zu schüchtern sind für Hip-Hop und noch nicht bereit für ihren ersten Roman, Texte vortragen. Abdollahi entwickelte daraus eine Veranstaltung, die regelmäßig die größten Theatersäle der Stadt ausverkauft. 1000 Plätze, Plüsch und Loge.

Ähnlich anarchisch wie Pocher oder Schlegl

Aus etwas eher Derbem etwas Feines machen - was Abdollahi für den Slam gelang, macht er nun für den Straßenreporter. Ähnlich anarchisch wie Joko und Klaas, Tobias Schlegl, Oliver Pocher, oder wie all die blonden Jungs nun heißen, aber ohne die Klassenkasper-Hysterie. Die Rolle des freundlichen Neubürgers hatte vor ihm zwar schon Emmanuel Peterfalvi als begriffsstutziger Umfrage-Heini Alfons bei Extra 3, aber Abdollahis Fragen sind weniger bösartig. Fragt Alfons "Hätten sie eine Multikulti-Gesellschaft lieber mit Ausländern oder nur mit Deutschen?", antworten die Menschen: "Nur mit Deutschen." Abdollahi stellt sich, wie gesagt, lieber mit einem "Ich bin Muslim"-Schild in die Fußgänger-Zone und wartet was passiert.

Und das, was dann passierte, ist relevant. Weil dieses Schild eben nicht nur witzig ist, sondern eine Reaktion auf die große Collage aus Abers, die in der Mitte der deutschen Gesellschaft umherraunen: Ich habe nichts gegen Ausländer/Flüchtlinge/Muslime, aber . . . "Die Menschen haben ein großes Bedürfnis über dieses Aber zu sprechen", sagt Abdollahi.

Mit dem Muslimschild über dem Kopf bot er den Aberpredigern eine ideale Einladung. "Selbstsprengungen, dass kleine Kinder abgerichtet werden, das gibt es sonst in keiner Glaubensrichtung, aber das gibt es hier. Und darüber, sollten Sie mal nachdenken." - der weißhaarige Herr zeigt im Wechsel auf das Schild und Abdollahi und dreht sich zum Gehen, wie einer, der einem Kind mitgeteilt hat, dass es selber Schuld ist, wenn es ohne Nachtisch ins Bett muss.

"Sie sprechen so gut Deutsch, man denkt, Sie sind ein Deutscher", sagt die Dame mit den blonden Strähnchen. "Oh, Danke." "Sind sie hier geboren?" "Nein", sagt Abdollahi und strahlt und schweigt. Auf das geduldige Erklären, dass es deutsche Muslime, ebenso wie im Iran geborene Deutsche gibt, verzichtet er. Ein kurzes Filmchen, fünf Minuten, das das Herumgeeier auf den Punkt bringt, in das viele Deutschen geraten, wenn sie versuchen zu begreifen, dass das Land in dem sie leben, sich geändert hat, und weiter ändern wird und muss.

Abdollahi werden fünf Minuten in Zukunft nicht mehr ausreichen. Der nächste logische Schritt, sagt er, sei eine eigene Show. "Ich bin arrogant genug, um zu wissen, dass ich das kann." Eine Late-Night soll es werden, Harald Schmidt als ungefähre Zielmarke. Die Frage sei nicht mehr ob, sondern wann.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2015/khil/mest
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