"Fernsehkritik.tv":Wie TV-Müll produziert wird

Ist das deutsche Fernsehen wirklich Schrott? Die Web-Sendung "Fernsehkritik.tv" geht der Frage auf den Grund. Sie lässt Protagonisten zu Wort kommen, zitiert aus Drehbüchern oder zeigt die Verträge der Kandidaten von Doku-Soaps. Jetzt geht die 100. Folge online.

Karoline Meta Beisel

Manchmal regt sich Holger Kreymeier so sehr auf, dass auch der Stichwortzettel nicht mehr hilft. Dann sucht er nach Worten, schüttelt ratlos den Kopf und spielt einfach den nächsten Film ab. Bisweilen sieht das aus wie Resignation, es ist aber Fernsehkritik - Fernsehkritik.tv.

fernsehkritik.tv

Bleibt dran, wo andere abschalten: Holger Kreymeiers Fernsehkritik.tv.

(Foto: fernsehkritik.tv)

Gerade weil man sehen und hören kann, dass dem Moderator und Autor Holger Kreymeier eben nicht egal ist, wenn im Fernsehen richtiger Murks läuft, ist das Web-Format so sympathisch. Und erfolgreich: 2010 erhielt das Magazin beim Grimme Online Award den Publikumspreis, in der Kategorie Information war es nominiert. Von diesem Donnerstag an ist die 100. Folge online verfügbar. Für Abonnenten, die jede Folge mit ein paar Cent vergüten, schon zwei Tage früher. Es sind so viele, dass Kreymeier von Abo-Einnahmen und Werbeeinblendungen nach eigener Aussage leben kann.

Bei Fernsehkritik.tv geht es meistens um das Programm der privaten Sender. Dass es bei RTL und Co. ein paar unangenehme Formate gibt, hat an sich keinen großen Neuigkeitswert. Nur macht sich kaum einer die Mühe, kleinteilig aufzudröseln, wie genau bei Sendungen wie Super Nanny, Frauentausch oder Talkshows nach Drehbuch eigentlich gearbeitet wird. Genau das aber macht Holger Kreymeier: Er bleibt dran, wenn die allermeisten kritischen Zuschauer längst weggezappt haben, lässt Protagonisten zu Wort kommen, zitiert aus Drehbüchern oder zeigt im Sendungs-Blog die Mitwirkungsverträge der Kandidaten von Doku-Soaps.

Manchmal wirft Holger Kreymeier diesen Sendungen krasse Verfehlungen vor, und nicht immer gibt er den Sendern die Gelegenheit, sich zu Vorwürfen zu äußern. Manche kritisieren ihn dafür. Doch Fernsehkritik.tv ist eben nicht nur Journalismus, sondern auch Spott, Lästerei und Satire. Wo der Moderator T-Shirts trägt, auf denen "GEMA kacken" steht und man im Webshop ein anderes mit dem Aufdruck "hart aber geil" kaufen kann, darf man auch nicht viel Zurückhaltung erwarten. Fernsehkritik.tv ist nicht brav, dafür sehen aber auch 200.000 Menschen pro Folge zu.

Wenig verwunderlich, dass Holger Kreymeier mit seinen Beiträgen und Aktionen gelegentlich vor Gericht landet. Gerade geht es um eins der T-Shirts in seinem Webshop. Darauf steht eine nicht schmeichelhafte Abwandlung des Slogans "Mein RTL". Der Sender pocht auf Markenrechtsverletzung und will den Verkauf des Shirts verbieten lassen. Holger Kreymeier hält es für wahrscheinlich, dass er verliert, das Urteil wird am 25. September verkündet.

Stänkern für ein besseres Programm

Auch die öffentlich-rechtlichen Sender tauchen bei Fernsehkritik.tv auf. Zum Beispiel, wenn die ARD-Tagesthemen am Tag der griechischen Parlamentswahlen live aus Athen senden - und der nur wenige Kilometer entfernte Athen-Korrespondenten seine Einschätzung dennoch nicht direkt bei Caren Miosga, sondern per Live-Schalte abgibt. Dass mit seinen Rundfunkgebühren nicht geschludert wird, ist Holger Kreymeier so wichtig, dass er 2009 eine GEZ-kritische Kampagne anzettelte: "Dafür zahl' ich nicht".

Bis dahin hatte Kreymeier als freier Autor für den NDR gearbeitet - danach nicht mehr. Dabei hatte er mit der Aktion gar nicht gegen die Rundfunkgebühr, sondern für besseres Programm stänkern wollen - das tut er nun eben mit Fernsehkritik.tv und schon zum einhundertsten Mal.

Die Jubiläumsfolge wurde vor Publikum aufgezeichnet. Oliver Kalkofe und Philipp Walulis waren zu Gast, Fernsehkritik-Kollegen sozusagen. Holger Kreymeier wünscht sich, dass sie alle künftig weniger zu tun haben - für niveauvolleres, kreatives Fernsehen nähme er auch Arbeitsausfall in Kauf.

Fernsehkritik.tv - Folge 100, von diesem Donnerstag an auf www.fernsehkritik.tv.

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