Fernsehkritik: TV total Turmspringen:Ferkeleien am Beckenrand

Raabs Promi-Athleten hatten beim sechsten "TV total Turmspringen" Schlimmeres zu fürchten als eine schmerzhafte Landung auf der Wasseroberfläche. Denn am Beckenrand wurde es erst richtig fies.

Rupert Sommer

Die gute Nachricht vorweg. Elton, frisch gebackener ZDF-Moderator des Kinder-TV-Klassikers 1,2 oder 3, hat die sechste Ausgabe der pubertären Risiko-Plantscherei überlebt, zu der ihn sein langjähriger Mentor Stefan Raab einmal mehr genötigt hat. Beim letzten Synchronsprung vom Fünf-Meter-Podest musste er wieder gequälten Blicks gute Laune heucheln und die Schmerzen einer sehr unsanften Kopflandung wegstecken.

Sichtlich angegriffen kühlte er die Gesichtsprellung am rechten Auge mit einem Eisbeutel - und verabschiedete mitleidige Fans mit einem coolen Schlussgag. "Mit dem Zweiten sieht man besser", sagte Elton, grüßte damit geschickt zu seinem Neu-Arbeitgeber herüber - und resümierte einen Abend, der vieles war, aber sicher nicht familienfreundlich, geschmackvoll und jugendfrei.

Schlüpfrig statt sportlich

Und nun eine kurze Quizfrage zwischendurch - auch wenn es an dieser Stelle anders als in Raabs marktschreierischer Dauerwerbesendung keine Neuwagen zu gewinnen gibt: Wo dürfen schlüpfrige Anspielungen rund um Sexualpraktiken, primäre Geschlechtsmerkmale ("Rolfes Riesensalami") und allerlei Körperflüssigkeiten auf gar keinen Fall fehlen?

Lösung a) in einer Pornoproduktion oder b) in der Samstagabendunterhaltung?

Schon beim Einmarsch der diesjährigen Turmspring-Kandidaten machte Moderator Matthias Opdenhövel klar, dass es bei dem über vierstündigen, nahezu textilfreien Wetteifern weniger um sportliche Höchstleistungen geht (auch wenn es sie zu bestaunen gab), sondern um mehr oder weniger prickelnde Anzüglichkeiten.

"Hier sind die halbnackten Prominenten mit der nackten Angst im Gesicht", begrüßte der Pro-Sieben-Allzweckcharmeur Stefan Raabs Gäste. Und eröffnete so einen Reigen, bei dem neben dem Schwierigkeitsgrad der Auerbach-Salti vor allem die Patzer auf der verbalen Peinlichkeitsskala zu messen waren.

Verbale Tiefschläge vom Beckenrand aus

Opdenhövel selbst legte die Latte hoch, als er einen leicht missglückten Auftaktsprung von Stabhochspringer Tim Lobinger recht deftig ausdeutete. Eine der gefürchteten Arschbomben sei es nicht gewesen, pflichtete er dem Spitzensportler bei. Dafür sei Lobinger angeblich "drei Zentimeter am Dammriss vorbeigeschrammt", so Opdenhövel.

Deutlich derbere Tiefschläge musste taff-Moderator Daniel Aminati wegstecken, der im Vorjahr bei einem Sprung vom Zehnmeterbrett mit vollem Rücken auf der Wasseroberfläche aufgeklatscht war und dementsprechend traumatisiert antrat.

Seiner Pro-Sieben-Kollegin Sonya Kraus, die in einem sehr figurbetonten Etwas zwischen Krankenschwester- und Matrosen-Kostüm mit Opdenhövel durch die Sendung führte, erzählte er zunächst detailliert von seinen zahlreichen Blutergüssen, die er nach seinem Unglückssprung davongetragen hatte. Erneut ganz oben auf dem Zehn-Meter-Podest wollte Aminati die alte Rechnung begleichen und legte mutig einen guten Salto-Sprung hin, den Opdenhövel zu doppelt geschraubt Degoutantem inspirierte. "Ich hatte auch einen Erguss, als ich gesehen habe, wie du den reingestopft hast", lobte er das nahezu spritzerfreie Eintauchen Aminatis ins Münchner Olympia-Sprungbecken.

Die irritierende Metapher vom "Reinstopfen" sollte die Zuschauer noch öfter durch einen langen Abend begleiten. Doch nicht nur die Profi-Dampfplauderer, die eigentlich moderieren sollten, verkannten ihre Vorbildfunktion. Auch auf die Kombattanten färbten die Ferkeleien am Beckenrand ab.

"Unsere Popos kommen gut rüber"

Miriam Höller, die langbeinige forsche Blondine, die als "Action Model" vorgestellt wurde, weil sie seit ihren Auftritten bei Germany's Next Topmodel aus Flugzeugen springt oder mit brennendem Haar über den Catwalk stöckelt, wählte nach ihrem zweiten Solo-Sprung eigenwillige Worte. "Meine Familienplanung ist jetzt abgeschlossen", sagte sie nach einem Auftritt, mit dem sie offenbar selbst nicht ganz zufrieden war. "Meine Eierstöcke hängen jetzt bei den Mandeln."

Zu ihrer Entlastung: Immerhin hatte sie sich an einen besonders komplizierten Doppelsalto rückwärts gewagt. Ihre Unerschrockenheit - verbal wie sportlich - wurde später noch belohnt. Zusammen mit der nicht minder attraktiven Beachvolleyballerin Ilka Semmler kletterte sie am Ende als Siegerin der Synchron-Disziplin aus dem Becken. Und zeigte sich besonders glücklich, als sie den gemeinsamen Siegsprung noch einmal in der Zeitlupen-Wiederholung sehen durfte. "Unsere Popos kommen gut rüber, ist doch prima", lautete Höllers offizielles Schlussfazit.

"Ein Ire mehr, dem das Wasser bis zum Hals steht"

Hinter dem Siegerpaar landeten übrigens Joey Kelly und Peter Imhof. Der ehrgeizige Ire Kelly, der in fast allen Raab-Krawallshows als Top-Favorit gilt, litt diesmal an den Folgen einer Schulterverletzung und war in der Einzel-Wertung komplett untergegangen. Den Spott von Sonya Kraus musste er tapfer ertragen. "Ein Ire mehr, dem jetzt das Wasser bis zum Hals steht", scherzte sie.

Doch es geht noch seichter: Wenn's lustig werden muss, greift man im deutschen Fernsehen unerschrocken in die Schublade mit den Geschlechterrollenwitzen. Der offenbar allzu unwiderstehlichen Versuchung konnte diesmal vor allem die Talk-Talk-Talk-Quasselstrippe Kraus nicht widerstehen. Als die Blondine die beiden knackigen Verbotene-Liebe-Beaus Jo Weil und Thore Schölermann, die in der ARD-Vorabendserie ein schwules Pärchen spielen, zum Sprungturm begleitete, gab sie ihnen eine mütterliche Warnung mit auf den Weg. "Wenn Ihr hier runterspringt, tut's hinten wirklich weh", sagt sie.

Und so ganz spät am Abend war's dann eigentlich doch noch nicht.

Doch auch Matthias Opdenhövel ferkelte enthemmt weiter. Als leidenschaftlich diskutiert wurde, wie synchron das Eintauchen beim Paar-Sprung wirklich abgelaufen war, blieb auch er stilistisch im Parterre. "Du warst als erster drin' - das sind Sätze, die man sonst nur bei Verbotene Liebe hört", fasste der Moderator die Debatte zusammen.

Licht und Schatten des Abends fiel auf den erfolgsverwöhnten Vorzeigeathleten Fabian Hammbüchen, der im Vorjahr Gold geholt hatte und deswegen diesmal stark unter (Erfolgs-)Druck stand.

Noch freundlich gelagert war seine Vorstellung durch Mathias Opdenhövel. Er bezeichnete den muskulösen, nur 1,63 Meter großen "Turnfloh" als "Harry Potter, gefangen im Körper von Conan, dem Barbar". Härter zur Brust nahm ihn sich Sonya Kraus. Die ließ sich von Hambüchen seine Hornhaut-Schwielen an den Handinnenflächen zeigen und stellte etwas zweideutige Parallelen zu den freimütigen Sex-Bekenntnissen aus der Autobiographie des jungen Reckturners her.

Ob Hambüchen, der mit seinen äußerst artistischen Luftschrauben vom Drei-Meter-Brett seine Konkurrenten lange alt aussehen ließ, deswegen letztlich verunsichert war? Seinen finalen Dreieinhalb-Salto, mit dem er auch in den Vorjahren nicht so recht glücklich wurde, verpatzte er leicht - und landete am Schluss in der Einzelwertung nur auf dem ungeliebten zweiten Platz.

Raab: abgemeldet

Den Sieg trug hier eine grazile Gewinnerin davon, die anders als die Berufssportler zunächst vielleicht etwas weniger wagte, aber letztlich mit fast perfekten Sprüngen punktete: Alexandra Rietz, TV-Ermittlerin in der pseudo-dokumentarischen Krimiserie K 11 - Kommissare im Einsatz, machte den Damen-Doppelsieg perfekt.

Nichts Pikantes blieb unkommentiert

Traditionell deutlich weniger zu melden als in den anderen TV-total-Testosteronablegern wie der Stock Car Crash Challenge oder der Wok-WM hatte der Erfinder des TV-Turmspringens, Stefan Raab. In der Solowertung landete er nach zwei eher plumpen Platschern auf dem vorletzten Platz - vor Topmodel-Juror Rolfe Scheider. Der aber machte im altmodischen Ganzkörper-Ringeldress eine deutlich bessere Figur.

Umso überraschender, dass es Raab an der Seite seines unglücklich wirkenden Adlatus Elton in der Synchronsprung-Wertung bis ins Finale der besten fünf Teams schaffte. Beim für den Einzug in die Schlussrunde entscheidenden zweiten Sprung zeigten sich die Punktrichter verdächtig gnädig mit ihrem Brötchengeber, der die Sendung durch seine Firma Raab TV produziert.

Da diesmal nichts Pikantes unkommentiert blieb, hatte Sonya Kraus die prompte Frage parat. "Wer von Euch beiden hat mit den Kampfrichtern gepoppt", wollte sie vom Plauzen-Team wissen. Raab zeigte auf Elton - der lächelte brav. Und griff dann ebenfalls die Unglücksmetapher des Abends auf, als er wissen wollte, wie geschmeidig er eingetaucht war: "Hab ich den auch reingestopft?", lautete seine unvermeidliche Frage.

Beim dritten Fünf-Meter-Sprung von Elton und Raab peitschten schließlich die Wasserfontänen hoch- und das sportliche Ergebnis war dann nur noch Nebensache. Wichtiger war die Erkenntnis: "Elton lebt".

Und wieder war er mit einem TV-Abend Baden gegangen, der nicht nur ihm noch länger Schmerzen bereiten dürfte.

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