Fernsehkrimi:Kratzen am Schüsselgrund

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Kommissarin Brasch (C. Michelsen) und ihr Sohn Andi (V. Redetzki). (Foto: MDR/Christine Schroeder)

Der "Polizeiruf 110" wird 45 Jahre alt. Die Jubiläumsepisode mit Claudia Michelsen ist düster.

Von Holger Gertz

Gerade wird mit bemerkenswertem Gebimmel der 45. Geburtstag des Polizeirufs 110 begangen. Sondersendungen und Wiederholungen im MDR, und das ostdeutsche Gegenstück zum Tatort, das sich ins vereinigte Land retten und dort entwickeln durfte, hat sich jeden Glückwunsch sehr verdient. Die Jubiläumsfolge "Endstation" aus Magdeburg will allerdings gar nicht angestrengt etwas Besonderes sein. Und das ist ja das Besondere an vielen Folgen des Polizeirufs - im Vergleich zum Tatort, wo sie sich viel vornehmen, aber öfter Murks zustande bringen, weil unter dem Anspruch die Geschichte verschüttet wird.

Die Geschichte ist aber das Wichtigste, und man darf noch einmal den brillanten Polizeiruf vom Jahresanfang aus München loben, "Und vergib uns unsere Schuld", um festzustellen: wenn die richtigen Schauspieler eine bewegende Geschichte zu erzählen haben, kommt manchmal etwas raus, an das man sich lange erinnert.

Diese Folge vom MDR von Matthias Tiefenbacher (Buch: Stefan Rogall) ist nicht für die Ewigkeit, aber es ist die beste Episode mit Claudia Michelsen als Hauptkommissarin Brasch. Ein Junge liegt tot auf der Straße, ermittelt wird in der Pflegefamilie, wo weitere Pflegekinder versammelt sind. Und mit ihnen viel Wut und Hass und heimliche Solidarität gegen unheimliche Bedrohungen.

Ein sehr trauriger Film, gelockert durch pointiertes Fremdeln

Es gibt auch noch die leibliche Mutter des Jungen, ein Wrack, das den Pflegeeltern alle Schuld aufbürdet. Beklemmung wird nicht dadurch erzeugt, dass jemand beklemmend daherredet, sondern durch die Situationen beim Essen, das Kratzen des Löffels am Grund der Schüssel. Geräusche bei Tisch, in die Stille reingeworfen, machen jede Stille noch bitterer.

Die verstörten Kinder sind toll gespielt, Nino Böhlau sieht aus wie ein Leichtgewichtsboxer nach einem verlorenen Kampf. Sie spielen über den einen oder anderen Hänger weg, es ist ein sehr trauriger Film, der gelockert wird durch das pointierte Fremdeln zwischen Brasch und ihrem neuen Kollegen Dirk Köhler (Matthias Matschke). Natürlich ist auch dieser Mann eine Granate, aber wenn man sich fürs zweite Krimihalbjahr etwas wünschen dürfte: Möge die Zeit der neu eingeführten Kommissare bitte dann auch mal vorbei sein.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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