Fernsehfilm:Die Frau von früher

Das Leben vor mir

Lange Liebe: Cornelius (Matthias Habich) und Frank (Stephan Kampwirth) sind seit 25 Jahren ein Paar.

(Foto: NDR/Marion von der Mehden)

Vergangenheit bewältigen? Ein ARD-Familiendrama über Glück, verpasste Lebenschancen und die Frage, ob man nicht trotzdem zusammengehört.

Von Carolin Werthmann

Wenn Julia den Mund aufmacht, fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, warum ihre Ehe damals zu Bruch ging. "Familie ist manchmal wie Tombola, die nur Scheiße verlost", sagt sie, als sie im Wohnzimmer ihres Ex-Mannes Cornelius steht und seinem perplexen Mann Frank von vergangenen Ehestrapazen und missglückter Kindeserziehung erzählt. Wenige Stunden zuvor herrschte für Frank noch romantische Pärchenidylle mit Cornelius, dieser hatte ihm zum 25. Beziehungsjubiläum Karten für ein Klavierkonzert geschenkt. Dann stand plötzlich Julia vor der Haustür, zum ersten Mal seit 30 Jahren, eingeflogen aus San Francisco, hinter ihr liegt eine gescheiterte Karriere als Journalistin. Aber, so sagt sie zumindest, es sei ja ohnehin bescheuert, "dass jeder inzwischen seine Meinung öffentlich rausposaunen darf." Erstmals seit langem wird Frank wieder bewusst: Cornelius hatte ein Leben vor ihm.

Tatsächlich lag der Grund für das EheAus vor 30 Jahren in Cornelius' neu entdeckter Homosexualität und seiner Zuneigung für den wesentlich jüngeren Frank. In ihrem Film Das Leben vor mir verzichten Regisseurin Anna Justice und Drehbuchautor Sathyan Ramesh aber darauf, die homosexuelle Beziehung der beiden zum Hauptthema zu erheben. Sie wird als selbstverständlich dargestellt, ein Bussi nach einer halben Stunde ist alles, was die Zuschauer an offensiver Zärtlichkeit zwischen den beiden Männern zu sehen bekommen. Vielmehr ist Julias plötzliche Wiederkehr in Cornelius' Leben ein Ereignis, das vergangen geglaubte Familienkonflikte in seine vermeintlich harmonische Gegenwart katapultiert, Konfrontationen erzwingt, die ihm und Julia ihre Versäumnisse als Eltern bewusst machen. Von den Schulden ihres gemeinsamen Sohnes weiß Cornelius ebenso wenig wie davon, dass die Ehe ihrer Tochter wie einst die eigene zu scheitern droht.

Auch Julia ist pleite und obendrein krank und allein. Das Haus in Hamburg, in dem sie selbst mit Cornelius und den Kindern gelebt hat, war ihre einzig mögliche Zuflucht. Von Mitleid gepackt gewährt Cornelius seiner Ex also Obhut, zu Franks Missfallen. Der fühlt sich als das fünfte Rad am Wagen, trotz der Gewissheit, dass er es ist, den Cornelius liebt.

Stephan Kampwirth macht Franks Gefühle ohne die Notwendigkeit erklärender Worte spürbar, und mit Matthias Habich als Cornelius und Eleonore Weisgerber als Julia entspinnt sich einerseits wunderbar bedächtig, andererseits herrlich impulsiv die gespaltene Beziehung zweier sich einst Liebender, die sichtbar macht, wie vergänglich das gemeinsame Glück und wie verhängnisvoll verpasste Lebenschancen sein können.

Das Leben vor mir, Das Erste, 20.15 Uhr.

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