Fernsehen:Zug um Zug

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Vor 25 Jahren hat Hagen von Ortloff eine der erfolgreichsten Sendungen des SWR erfunden. In "Eisenbahn-Romantik" fahren Züge durch beeindruckende Landschaften. Jetzt hört er auf.

Von Max Hägler

So ziemlich alle berühmten Eisenbahnstrecken der Welt hat Hagen von Ortloff schon gefilmt. Eigentlich fehlt ihm nur noch eine, die derzeit wohl sagenumwobenste im Lande - die im Keller des bayerischen Ministerpräsidenten. Soweit er das einmal kurz in einer anderen Fernsehsendung sehen konnte, sei die ganz wunderbar, sagt von Ortloff, der Kenner. Nur das Angela-Merkel-Manschgerl stimme im Maßstab nicht. Und "die Emotionen fehlen" ihm. Ein vielverzweigtes, computergesteuertes System aus Gleisen und Weichen hat Horst Seehofer konstruiert, doch es gibt kein Grün, keine Bäume, nur die Technik und das Gerippe der Gebirge aus Sperrholz und ein paar Bahnhofshäuschen. "Aber", sagt Hagen von Ortloff, "wenn Seehofer dranbleibt, sich ein bisschen Mühe gibt, dann wird das richtig gut. Und dann kann es gut sein, dass bald meine Nachfolger klingeln, um eine Geschichte darüber zu drehen." Fast 900 Folgen der TV-Reihe Eisenbahn-Romantik hat Hagen von Ortloff in 25 Jahren mit seinem Team für den SWR und dessen Vorgängeranstalten gedreht. Jetzt aber ist Schluss, jetzt geht der öffentlich-rechtliche Bahnfahrer in Rente. Am Wochenende feiert ihn sein Heimatsender mit Sondersendungen und Jubiläumsfahrten mit der Sauschwänzlebahn im Südschwarzwald. Seit 1991 rauschen dank von Ortloff in den Dritten Programmen der ARD oft mehrmals am Tag Züge durchs Bild, in allen Spurbreiten, echte und solche im Horst-Seehofer-Format. In den besten Zeiten war Moderator Ortloff bestimmt 100 Mal pro Woche zu sehen.

Vermutlich ist Eisenbahn-Romantik die beliebteste Sendung des SWR. Dabei war das alles gar nicht geplant von den Programmdirektoren, sondern eher dem Zufall geschuldet, der mit der Eisenbahnbegeisterung dieses Mannes zu tun hatte. Hagen von Ortloff stellt jetzt eine kleine Modelleisenbahn-Lok, eine TM 800, auf seinen Esstisch, in dieser Reihenhaushälfte in einem Vorort von Stuttgart. Es war seine erste, als Kind hat er sie bekommen. Eine Nachbildung dieser zischenden, zuckelnden, pochenden Dampfmaschinen. Und diese "Lebewesen", so nennt er sie, haben ihn nicht mehr losgelassen. Vom ersten Honorar als Fernsehjournalist kaufte er sich zwei Märklin-Loks, drehte danach immer wieder mal Filme über Eisenbahnen. An Weihnachten 1990 fragte ihn der Sender, ob sich eine der Dokus denn als Lückenfüller eigne. Klar, meinte Ortloff, das lasse sich ja beliebig auf die gewünschte Länge schneiden: Über Eisenbahnen lässt sich kurz oder lang berichten. Immer öfter war er nun gefragt, und der Platzhalter entwickelte sich: "Mitunter schauten mehr Menschen die Züge an, als die Sendungen davor und danach." Ein gutes Jahr nach der ersten Anfrage entschieden die SWR-Verantwortlichen deswegen: Lasst uns doch eine regelmäßige Sendung machen mit dem Ortloff und seinen Zügen. Der Name: Eisenbahn-Romantik.

Es ist eine sehr geordnete, heile Welt, die darin zu sehen ist. Züge fahren im Takt, ihre Lokführer und Schaffner sind rund um die Welt üblicherweise von einem sehr korrekten Wesen. Und links und rechts sind oft beeindruckende Landschaften zu sehen. "Wir wollen den Zuschauern eine Freude machen", sagt Ortloff, "wir sind gewissermaßen der Gegenpol zur unruhigen Katastrophenberichterstattung."

Das passt zu ihm. Im Kinderprogramm hat er angefangen mit Kindernachrichten, Zielgruppe Sieben- bis Vierzehnjährige, doch eingeschaltet haben vor allem die Erwachsenen, die dann schrieben: Wir schauen nur Ihre Nachrichten, weil wir sie verstehen. Einfach kommunizieren, das hat er daraus gelernt: Subjekt, Prädikat, Objekt. Und dazu viele schöne Eisenbahnbilder. Mit die schönsten gebe es vom Bernina-Express von St. Moritz nach Tirano mit Gleisen, die sich durch die Landschaft winden, als seien sie schon immer da gewesen.

Er sei ein "Harmoniemensch", sagt von Ortloff. Im Regal steht ein kleines Deutschland-Fußballfähnlein, im Vorgarten ein lustiger Schlumpf. Lehrer wollte er eigentlich werden, er wäre wohl kein schlechter gewesen. Denn es sind ja irgendwie auch ein wenig Lehrstunden, diese vielen hundert Folgen. Immer haben seine Autoren und er links wie rechts der Strecke geschaut. Aussteigen, sprechen, einsteigen - und weiter. Da gibt es in Folge 767 schöne Bilder aus dem Wattenmeer. Aber es wird auch die existenzielle Bedeutung der 6-PS-Lorenbahn für die 20 Bewohner der Hallig Oland im Wattenmeer erklärt. Bei der 7000 Kilometer langen Reise eines Schlafwagens von Franken an den Baikalsee wird beim Halt in Jekaterinburg der ewigen Frage nach der Grenze zwischen Europa und Asien nachgegangen.

Es sind diese langen Fahrten, bei denen sich der Zuschauer immer ein wenig wundert, wie nun Aufnahmen vom fahrenden Zug zustande kommen. Hält die Eisenbahn etwa, damit Kameraleute ein- und aussteigen können? Nein, sagt von Ortloff: Heutzutage helfen Fans. Die drehen von außen, dank hoch entwickelter Technik reicht mittlerweile auch die Qualität ihrer Amateurkameras fürs TV. "Zumal so ziemlich jeder einen Zug in einer Kurve abfilmen kann." Seine Lieblingsposition übrigens beim Filmen: Von unten, wenn die Lok auf die Kamera zufährt und damit Kraft und Größe zur Geltung kommen.

Und auch ein wenig Politik kommt vor, mitunter, oder man kann sagen: Gesellschaftliches. Immer wieder natürlich: das Thema direkt vor der Haustür, die Vergrabung des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Vor zehn Jahren, lange bevor kritische Bürger zu Wutbürgern geworden waren, nahm sich die Eisenbahn-Romantik des Themas an, berichtete über die eigenartige Situation, dass die Politik die Bahn zu dem Projekt nötigte, obwohl der bisherige Bahnhof eigentlich vernünftig funktioniert. 6,5 Milliarden Euro kostet das wohl, eher mehr. Für von Ortloff "ein Milliardengrab, das mich traurig macht". Wie die anderen ganz eingefleischten Gegner hofft er immer noch auf einen Abbruch der Arbeiten. Egal ob dieser unwahrscheinliche Fall eintreten wird oder die Jungfernfahrt doch irgendwann ansteht: Die Eisenbahn-Romantik wird berichten. Hagen von Ortloff aber wird nur noch zusehen.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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