Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Wintermärchen

Eine Dokumentation bei 3sat begleitet zwei Syrer auf ihrer Reise durch ihre neue Heimat Deutschland. Der Film zeigt viel Interessantes - doch die Botschaft der Geschichte bleibt trotzdem ein wenig im Unklaren.

Von Viola Schenz

Tarek Nijmeh, 35, Grafikdesigner, rasierter Schädel, dichter Bart, Nerdbrille, liebt Bier und den FC Bayern. Fadi Bitar, 39, Architekt, Pferdeschwanz und Vollbart, liebt den Wald und das deutsche Grundgesetz. Nicht nur Aussehen und Vorlieben lassen sie deutscher als manchen Deutschen erscheinen, sondern auch ihr Verhalten: Der eine packt penibel akkurat die Reisetasche, der andere achtet auf die wichtigsten Utensilien: Fußspray, Schlafmaske, Bartbürste. Beide sind aus Syrien geflohen, beide leben seit Sommer 2015 in Deutschland, beide sind intelligent, gebildet und sprechen fließend Englisch. Zwei Bilderbuchflüchtlinge brechen zu einer zweiwöchigen Winterreise durch ihre neue Heimat auf.

Die Medien berichten seit Monaten über Flüchtlinge, ihre Fluchtmotive, ihre Fluchtrouten. Dieses Ansatzes mag mancher etwas müde geworden sein; ein neuer Weg ist jedenfalls, Flüchtlinge selbst zu Reportern zu machen, sie über sich und ihre Welt berichten zu lassen - so wie es Thomas Lauterbach und Johanna Behre in dieser zweiteiligen Dokumentation tun.

Es ist eine Reise mit sehr unterschiedlichen Erlebnissen und Stationen: von Berlin nach München, über Stuttgart, Köln, Dresden an die Ostsee, zurück nach Berlin. In der Allianz Arena macht Tarek glücklich Selfies und kauft sich im FCB-Fanshop ein Trikot, in Stuttgart entdecken beide ihre Liebe für die Oper und im Kölner Dom für die gotische Architektur. Auf der Zugfahrt durch den Thüringer Wald versuchen sie auf geradezu niedliche Weise, sich mit einem älteren Ehepaar, das kein Englisch spricht, auf Englisch über wilde Tiere in Deutschland zu unterhalten, in München amüsieren sie sich über einen Streugutbehälter. Sie besuchen andere Flüchtlinge in einem Heim und mischen sich in Dresden unter Pegida-Demonstranten. All das reflektieren sie klug, ziehen immer wieder luzide Parallelen zwischen Deutschland und Syrien. Und doch fragt man sich, was genau die Botschaft dieser Doku sein soll. Die beiden sind mit Deutschland zu vertraut, der Blick durch die Exotenbrille funktioniert nur selten. Vielleicht wären zwei weniger privilegierte, vor allem weniger abgeklärte Kandidaten passender für eine solche Reise gewesen.

Unser Deutschland - zwei Syrer auf Winterreise, 3sat, Mittwoch, 20.15 und 21.00 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 23.02.2016
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