Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Supersmarties

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Von Influencerinnen hochgejubelt: Ein ARD-Film erzählt von den vertuschten Risiken der Antibabypille. Mit einigen Nebenwirkungen.

Von Johanna Hinterholzer

Die neue Antibabypille Bellacara ist ein echtes Wundermittel. Nicht nur zur Verhütung, sie macht obendrein die Haut rein und den Busen voll. Mit dieser Werbebotschaft sollen die blonden Influencerinnen Maya und Mimi direkt ins Herz verunsicherter Teenagermädchen zielen und das Medikament verkaufen. Dass Bellacara allerdings auch ein echtes Gesundheitsrisiko ist, bleibt natürlich unerwähnt.

Der ARD-Spielfilm Was wir wussten - Risiko Pil le greift eine Debatte auf, die auch in Deutschland in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass Frauen skeptisch gegenüber der Antibabypille wurden, die lange Zeit bedenkenlos als Sieg der Emanzipation geschluckt worden ist wie ein Supersmartie. Bis plötzlich die Frage nach den Risiken und Nebenwirkungen aufgetaucht ist. Im Film wird diese Frage hinter verdunkelten Glaswänden verdrängt: Dort lassen einheitlich gekleidete Marketing-Spezialisten ein Medizinprodukt hochleben, das Menschenleben gefährdet. Mit Anglizismen und Marketing-Jargon können die meisten dort die Distanz sprachlich und gedanklich aufrechterhalten, da ist von "guten Gimmicks" die Rede, die "das Ganze aufbeefen" sollen. Das ist irgendwann selbst dem Mitarbeiter Carsten Gellhaus, überzeugend gespielt von Stephan Kampwirth, zuwider.

Ja, die ARD hat es tatsächlich geschafft, einen aufklärerischen Film über die Gefahren der Antibabypille zu machen - in dem ein Mann die Hauptrolle spielt. Das ist schräg, aber dennoch spannend. Als Carsten Gellhaus in der Tasche seiner 16-jährigen Tochter eine gesundheitsgefährdende Verhütungspille findet, will er nicht länger mitansehen, dass Bellacara ohne Aufklärung vermarktet werden soll. Nur: Damit stellt er sich gleichzeitig gegen seine Geliebte, die Projektleiterin Sabine Krüger (Nina Kronjäger), für die er gerade seine Frau verlassen hat.

Dieser Konflikt wird von der wunderbar nervösen Kameraführung (Tobias von dem Borne) untermalt. Überhaupt bebildert der Film von Isa Prahl die Zweiteilung der Welt von Carsten Gellhaus schön: Der Mann lebt gleichzeitig in der makellosen, sterilen Welt des Pharmakonzerns und der chaotischen, bunten Welt als Familienvater. Mit seinen vielsagenden Gesichtsausdrücken wirkt er zwischen seinen Kollegen, die selten eine Miene verziehen, allzu menschlich. Es sind seine Schwächen, seine Bequemlichkeit, seine Liebe zu Sabine, die ihn also daran hindern, sich letztlich gegen den Pharmakonzern zu stellen. Diese Ambivalenz haben das Autoren-Ehepaar Eva und Volker A. Zahn gekonnt herausgearbeitet. Da betrinken sich Carsten und Sabine nach einer Konferenz. Es gibt Schampus, Sabine singt Carsten auf einer Liege an einem echt verwahrlosten Hotelpool ein Lied vor. In dem kleinen Moment sind die beiden keine Rädchen in der Maschinerie des Pharmakonzerns, sondern einfach Menschen, die sich nach Gesellschaft sehnen. Die Wand hinter den beiden ist mit einer idyllischen Meeresbucht bemalt. Eine Fassade, die eine verwahrloste Realität erträglicher macht.

Was wir wussten - Risiko Pille , ARD, 20.15 Uhr.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise das ZDF als produzierenden und ausstrahlenden Sender genannt. Richtig ist jedoch, dass der NDR den Fernsehfilm für die ARD produziert hat und dieser auch im Ersten zu sehen ist.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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