Im Unfrieden
Achtung, aus Gründen einer gewissen Bewegtheit muss man sich bei diesem Einstieg in den Silvesterabend schon am Nachmittag, spätestens nach dem Finale aus "Dark Side Of The Moon", betrinken. Die Tour des Pink-Floyd-Gründers Roger Waters im Sommer 2018 (hier zu sehen ein Zusammenschnitt der vier Abende in Amsterdam, 3sat, 17.15 Uhr) bot eine brillant ausgeleuchtete Retrospektive aus einem halben Jahrhundert Musikgeschichte. Natürlich fehlt David Gilmour, aber die junge Begleitband ist fabelhaft, der Clou sind Jess Wolfe und Holly Laessig der New Yorker Indieband Lucius, die den ikonischen Liedern einen zeitgemäßen Ton verpassen durch leuchtenden, knapp akzentuierten Gesang. Was man sieht: einen Künstler, der anders als all die steinreichen Kollegen derselben Epoche seinen Frieden nicht findet, nicht mit dem Monster Pink Floyd, nicht mit der monströsen Welt, nicht mit dem Monster in sich. Dieser Unfriede verleiht dem hoch idealistischen Auftritt Aktualität, dieser Zorn hält den alten Mann jung, der ruht keinesfalls in sich, das ist immer wieder schwierig mit anzusehen, aber eben auch bewegend akut. Am Ende des Konzertes setzt BDS-Aktivist Waters, über dessen Aufrufe, Israel zu boykottieren, man sich mit ihm auseinandersetzen sollte, eine Solidaritätsnote ab an die palästinensischen Brüder und Schwestern. Womit, solange 3sat das nicht wegblendet, auch die beliebte These widerlegt wäre, dass BDS-Unterstützer ihre Meinung nicht sagen dürfen. Alexander Gorkow
Zugeschrottete Welt
Schon als der Film vor zwölf Jahren in die Kinos kam, war Wall-E (RTL II, 20.15 Uhr) ein Kommentar zur Gegenwart. Denn das gleichnamige minikleine, minisüße Roboterding mit Glupschaugen muss die Erde aufräumen. In einer Endzeit, in der nicht mehr viel übrig ist. Der vage politische Bezug war damals die dystopische Vision einer zugeschrotteten Welt nach der Klimakrise. Heute hat der Untertitel Der Letzte räumt die Erde auf noch ganz andere Verbindungen zur Realität, in der man sich an einem partylosen Silvesterabend ein bisschen so fühlen könnte, als wäre da nichts mehr. Kein Böllerfetzen, keine zu Bruch gegangenen Gläser, und die silbernen Klumpen vom Bleigießen schon lange nicht mehr - man wünschte sich dieses Jahr ja eher, es gäbe noch etwas zum Aufräumen. Aber keine Sorge, Wall-E ist eine erhebende Geschichte vom Alleinsein, ein so entzückender wie romantischer Pixar-Film. Denn selbst das letzte Wesen auf der Erde findet irgendwo da draußen noch etwas. Aurelie von Blazekovic
Vogelfutter und gestreckter Essig
Man kann sich die einzelnen Folgen von Mr. Bean natürlich auf Youtube zusammensuchen, egal ob man, sagen wir, in einem mexikanischen Hotelzimmer hockt oder auf der Bürotoilette, wenn gerade alles zu viel wird. Für den heutigen Abend hat Super RTL (ab 20.15 Uhr) das bereits übernommen, was für ein Service. In acht Episoden lässt sich die große Comedy-Kunst von Rowan Atkinson beobachten, der hier in der Serie ja alles allein mit dem Gesicht und dem Körper macht, unglaublich präzise, sekundengenau. Unter anderem läuft die Silvesterfolge, in der Mr. Bean seinen Gästen Vogelfutter, Zweige mit Marmite-Extrakt und gestreckten Essig als Weißwein serviert. Und die Weihnachtsfolge, mit dem Truthahn, Sie wissen schon. Elisa Britzelmeier
Coronakonforme Revolte
Würde eine solche Revolte in Bayern losbrechen: Es fände sich wohl ein Ministerialbeamter, der dem Ministerpräsidenten Söder glaubhaft versichern könnte, dass trotz des Aufruhrs alles mit rechten Dingen zugehe. Denn die Senioren, die in Monty Pythons Der Sinn des Lebens (Kabel 1, 22.10 Uhr) ein paar junge Finanzgecken vermöbeln, verwandeln kurzerhand ihr Bürohaus in ein Segelschiff, müssen also nicht unter Leute - alles ganz coronakonform. Dass sie mit Papierakten schießen, dürfte einem Bürokraten auch gefallen. Und die finale Prügelei: im Kern nur das Aufeinandertreffen zweier Hausstände. Der ganze Film ist eine gigantische Groteske, manchmal subtil, oft monströs. Er ist frivol, stellenweise eklig, meistens krachkomisch. Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann auch er nicht beantworten. Aber wie man es am besten angeht, dafür gibt es Vorschläge im Dutzend. Alle haben mit Humor, Ironie, Haltung und Stil zu tun. Stefan Fischer
Alles wie gehabt
Sherry zur Suppe, Weißwein zum Fisch, Champagner zum Huhn und Portwein zum Obst - so viel Gewohnheit darf auch im Corona-Jahr bleiben. Butler James serviert in Dinner for One seiner Miss Sophie alles wie gehabt, und zwar um 15.50 Uhr im Ersten, um 15.45 Uhr und 17.10 Uhr im NDR, um 17.35 Uhr im WDR, um 18.45 im BR, um 19 Uhr im MDR und RBB, um 19.10 im HR, um 19.25 Uhr im SWR, um 19.40 Uhr und 23.35 Uhr nochmal im NDR, und wer dann immer noch nicht genug hat, kann um 0.05 Uhr auf den BR schalten. Wem das zu viel same procedure as every year ist, der sei hiermit auf die zwei kölschen (16.55 bzw. 17.10 Uhr, WDR), die hessische (16.45 und 18.45 Uhr, HR) und die Schweizer Version (16.45 Uhr, SWR) hingewiesen. Elisa Britzelmeier
Exzess und große Liebe
Auf der Bühne ein großartiger Songwriter, der mit seiner Bassbariton-Stimme das Country-Genre geprägt hat wie kaum ein anderer. Hinter der Bühne ein fragiler Mensch, der mit dem Drama seiner Kindheit und einer Drogensucht ringt. Walk the Line (Servus TV, 20.30 Uhr) ist die Biografie der Kultfigur Johnny Cash in seinen wilden Jahren: Jahre von Exzessen, von Depressionen, von ausverkauften Konzerthallen, aber auch - und das ist zentral in der Geschichte - von der großen Liebe zur Sängerin June Carter. Dieser mittlerweile 15 Jahre alte Film überzeugt mit viel Musik, dem Flair der Fünfziger und Sechziger und der brillanten Performance eines jungen Joaquin Phoenix und einer noch jüngeren Reese Witherspoon, die dafür den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhielt. Ohrwurm garantiert. Francesca Polistina
Weibliche Herrschaft vor Merkel
Aristokraten-Abend bei Arte! Es beginnt um 20.15 Uhr mit Teil drei und vier der opulenten Historienserie Maria Theresia. Robert Dornhelm inszenierte die Schicksalsjahre der Kaiserin, die von 1740 bis 1780 regierte, als entkitschtes Epos weiblicher Herrschaft vor Merkel. Eine Revolution später kämpfen um 23.25 Uhr im Jahr 1789 die königstreuen Chouans in der Bretagne gegen die Soldaten der Regierung. Auch ein Kostümfilm, aber wilder, leidenschaftlicher, mit mehr Nacht und Nebel und viel mehr Kajal um die Augen: Chouans! wurde Ende der Achtziger gedreht, die Königstreuen tragen Vokuhilas, und manchmal meint man, dass Boy George durchs Bild läuft. In der großartigen Besetzung mit Sophie Marceau, Lambert Wilson und Philippe Noiret ist Chouans! allerdings hervorragend gealtert. Claudia Tieschky
Kosmisches Kontemplieren
Ferne. Weite. Fremde Welt. Mit ein bisschen Abstand sieht so ein Pandemie-Ausnahmejahr gleich nicht mehr so schlimm aus. Und der Abstand reicht bei der Space Night II in Concert (ARD Alpha, 20.15 Uhr) bis ins Weltall. In den Bildern, die von Nasa, Eso, Esa und DLR aufgenommen wurden, kann man sich herrlich verlieren, wenn Sternenhimmel leuchten und bunte Planeten vorbeiziehen. Die Sendung ist eine Konzertaufzeichnung zum 25-jährigen Jubiläum der "Space Night" aus dem vergangenen Jahr, als das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Patrick Hahn die kosmischen Großbildprojektionen mit Musik von John Adams, Edvard Grieg oder Carl Orff untermalte. Für Weltraum-Expertenwissen sorgen ein Astronaut sowie eine Astrophysikerin. Wen die Interviews beim kontemplativen Jahresausklang eher stören, der kann währenddessen das Raclettepfännchen neu beladen. Carolin Gasteiger
Bombensongs mit etwas Handlung
Allen, die am liebsten tanzend ins neue Jahr rutschen, bereitet ARD One eine mitreißende Trilogie aus Filmen zum Abzappeln. Direkt aus den Achtzigern kommt erst Flashdance (20.15 Uhr), bei dem man nicht nur der Szene mit dem Wassereimer und dem Stuhl entgegenfiebern darf. Zu gleich zwei erstklassigen Hits lässt es sich vor dem Fernseher mithüpfen, idealerweise in einem Aerobic-Body: "What a Feeling" von Irene Cara und "Maniac" von Michael Sembello. Weiter geht es mit Staying Alive (21.40 Uhr), der zwar keine schauspielerischen Glanzleistungen vom tanzsüchtigen John Travolta bereithält, dafür aber Bombensongs von den Bee Gees. Wer dann "Ha, ha, ha, ha, Stayin' Alive" ins Wohnzimmer gehechelt hat, den erwarten zwei weitere Stunden Tanzfilmirrsinn. Grease 2 (23.15 Uhr) verzichtet auf den Hauptdarsteller des ersten Teils. Zugegeben, es hätte diese Fortsetzung des Rock'n'Roll-High-School-Musicals nie geben müssen, der Film mit Michelle Pfeiffer kann auch musikalisch nicht mit Grease-Hits wie "Summer Nights" mithalten. Besser, man legt hier die Tanzbeine hoch, schaltet nach Mitternacht wieder ein, nur um die Achtziger dann rückwärts zu verlassen. Ab 1.05 Uhr zeigt One Ab in die 70er - Von Abba bis Frank Zander - Musik ohne störende Handlung. Aurelie von Blazekovic
Schwelgen statt Silvesterstadl
Früher war manches besser. Das gilt auch, wenn man nicht viel von diesem "Früher" kennt - und damit Rudi Carrell, Dieter Thomas Heck und Hans Rosenthal nur durch Sendungen wie Unsere Väter - die größten Showmaster Deutschlands (noch bis Neujahr in der ARD-Mediathek). Die Kinder und Enkel erinnern sich an die Legenden der goldenen Fernseh-Ära der Bundesrepublik. An die sämigen Samstagabende, die zuverlässig wie Maggi-Würze die deutschen Wohnzimmer und die Showbühnen verbanden. An den versöhnlichen Humor, an Reinhold Messners Entsetzen auf dem Matterhorn bei Verstehen Sie Spaß?, an echte Elefanten in echten Porzellanläden, an Peter Frankenfelds präzise Sketche. An die echten Entertainer - und damit daran, was heute fehlt. Die Silvester Show mit Jörg Pilawa in der ARD verspricht so viel Glamour wie ein selbstgestrickter Pullunder und Johannes B. Kerner vor dem Brandenburger Tor im ZDF so viel entspannte Improvisation wie das Berliner Bürgerbüro. Natürlich, früher war nicht alles besser. Aber Nostalgie soll in Krisenzeiten helfen, das haben psychologische Studien rausgefunden. Statt also mit den Shows der Hauptprogramme ins neue Jahr zu dösen, darf man ruhig in den alten schwelgen. Denn manchmal ist manches alles. Marlene Knobloch