Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Nuklear-Porno, tick, tack

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Die Arte-Dokumentation "The Bomb" will alles richtig machen. Warum das für die Zuschauer der Sendung schade ist - auch wenn sie atemlos bei der Sache sein werden.

Von Bernd Graff

Wenn man im Sommer 2018 eine Dokumentation zur Geschichte der Nuklear-Rüstung ins Programm hebt, dann will man ... was eigentlich? An das krumme historische Datum erinnern, dass die Bombe "Little Boy" am 6. August 1945 aus dem amerikanischen B-29-Bomber Enola Gay über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen wurde? Will man der fast 200 000 Toten gedenken, deren Leben diese Bombe und die drei Tage später über Nagasaki gezündete "Fat Man" auslöschte? Oder will man ein Stück Naturwissenschafts- und Technikgeschichte erzählen, das ausgeht von den Entdeckungen der Deutschen Otto Hahn und seines Assistenten Friedrich Wilhelm Straßmann und im amerikanischen "Manhattan Project" mündet? Oder will man von den Folgen berichten: vom Kalten Krieg, dem "Gleichgewicht des Schreckens" und seiner weltweiten Drohkulissen bis heute? Was also will man beim Sender Arte an diesem August-Abend zur besten Sendezeit?

Man muss diese Fragen stellen, weil es einmal zwei deutsche Staaten gab, die im Schatten der Bombe zu unmittelbaren Zeugen des mächtigsten Paradoxons der Menschheitsgeschichte wurden. 1956 wurde es in der Satire-Zeitschrift Simplicissimus in einer Karikatur formuliert. "Es wird dauernd vom Frieden gesprochen", spricht da die personifizierte Atombombe bei der großen Weltaufteilung: "Meine Herren, der Friede bin ich."

Arte will das alles erzählen und will damit viel zuviel. Die Dokumentation von Rushmore Denooyer nimmt O-Töne, wenn sie kurz, aber dramatisch sind. Vor allem nimmt sie digital restaurierte Schreckensbilder, nuclear porn mit tick-tackendem Suspense-Soundtrack fürs Heute. So ist man atemlos bei der Sache, erstickt in Stofffülle und hat trotz 97 Minuten Filmlänge für nichts richtig Zeit. Und: Man verlässt fast nie die Perspektive der Amerikaner auf diese, ihre Bombe.

So ist die Geschichte des Manhattan Project hier zuerst die Geschichte eines gewaltigen Stücks Arbeit. Verrichtet unter Hochdruck, strengstens geheim, eine teure, logistische Meisterleistung. Denn man fürchtete im Pentagon, die Nazis säßen ebenfalls an einem solchen Projekt, wären vielleicht schon erfolgreich und hätten die Bombe. Hatten sie nicht.

Anscheinend hat sich die Dokumentation aber von Fieber und Hetze der Nuklear-Pioniere anstecken lassen, doch anders als diese hat Denooyer seinen Fokus verloren. Ein wenig Stolz und Wissenschaft hier, ein bisschen Nazifurcht dann dort, notwendige Opferstimmen fehlen nicht, aber auch die Bikini-Mode, haha, findet Erwähnung. Hier will ein Dokumentarfilm alles richtig machen. An den klar strukturierten Dokumentarfilm The Atomic Café von Jayne Loader, Kevin und Pierce Rafferty aus dem Jahr 1982 kommt dieser nicht heran. Und vor allem: Der Einsatz der Atomwaffe war nicht so alternativlos, wie es hier aus rein amerikanischer Perspektive und völlig unkritisch insinuiert wird.

The Bomb, Arte, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2018
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