Süddeutsche Zeitung

Fernsehen mit "Second Screen":Ein Bildschirm ist nicht genug

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Klassisches Fernsehen wird immer häufiger mit sozialen Netzwerken verknüpft. Aber die meisten Zuschauer nutzen den "Second Screen" lieber zum Shoppen, anstatt sich mit dem Fernsehprogramm zu beschäftigen. Wenn sie es doch tun, geht es schnell um Nebensächlichkeiten.

Von Anne Hemmes

Nach Informationen des Branchenverbands Bitkom lassen sich viele Fernsehzuschauer von den neuen Medien ablenken. Bereits im Sommer vergangenen Jahres ergab eine Untersuchung, dass 77 Prozent der Internetnutzer während des Fernsehens im Internet surfen.

Auch die aktuelle Onlinestudie von ARD und ZDF hat sich zum zweiten Mal mit dem "Second Screen", also dem Surfen im Internet während des Fernsehens, beschäftigt. Danach greift immerhin knapp die Hälfte der Internetnutzer beim Fernsehen zu Handy, Smartphone oder Tablet, meistens jedoch ohne einen Bezug zur Sendung.

Viele Zuschauer sind vom Fernsehprogramm offensichtlich so gelangweilt, dass sie lieber zum Smartphone oder Tablet greifen, um E-Mails zu schreiben oder einzukaufen. Die Aufmerksamkeit verlagert sich ins Netz, für den Fernsehbildschirm geht sie verloren. Dass die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender, die größtenteils immer noch ein Programm für Zuschauer jenseits der 50 machen, jüngere Internetnutzer nicht zum Einschalten verführt, ist kaum verwunderlich. Dabei wären die 14- bis 29-Jährigen eine Zielgruppe, die durch das Internet in das TV-Programm gezogen werden könnte. Laut der Onlinestudie von ARD und ZDF nutzt die Hälfte dieser Altersgruppe den "Second Screen" auch, um sich über das auszutauschen, was sie gerade im Fernsehen sehen.

Einen ersten Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, diese Zielgruppe zu erreichen, gab es bereits im vergangenen Jahr. In der "Rundshow" beim BR konnten die Zuschauer über eine App, über Facebook, Twitter und Google+ die Sendung mitgestalten. Fernsehen sei immer Gegenstand menschlichen Austausches gewesen, sagt Moderator Richard Gutjahr, der die Idee zur Sendung hatte. Was früher das Gespräch im Büro war, finde heute im Internet statt. Der digitale Diskurs ist ein Ersatz für das Gespräch mit dem Couchnachbarn. Das Treffen vor dem Fernseher mit Freunden oder Familie wird ins Netz verschoben. Beim Zuschauer sorgt das für ein Gemeinschaftsgefühl, sagt Gutjahr. Man sucht Geborgenheit durch die Gemeinschaft. Vor allem Unterhaltungsformate und Sportereignisse eignen sich für den Second Screen, sagt Gutjahr. Bei Nachrichten seien es eher große Events wie zuletzt das Kanzler-Duell.

Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas hat das Twittern während des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück und beim TV-Dreikampf der Spitzenkandidaten von FDP, Grünen und Linken wissenschaftlich untersucht. Faas wollte herausfinden, ob der Austausch bei Twitter für gleiche Reaktionen beim Zuschauer sorgt wie das gemeinsame Fernsehschauen auf dem Sofa.

1000 Personen, die Twitter regelmäßig nutzen, hat er befragt. Zwar liegen noch nicht alle Ergebnisse vor, die Motivation scheint aber eindeutig. "Die meisten "Second Screen"-Nutzer wollen keine echte Hilfe bei ihrer Wahlentscheidung, sondern sich nur unterhalten lassen", sagt Faas. Dass jemand seine Meinung auf diese Weise ändert, kommt eher selten vor. "Dafür braucht es ein starkes Motiv", sagt Faas.

Der Medienwissenschaftler Carsten Reinemann ist ähnlicher Meinung. Die Leute, die twittern, seien vor allem daran interessiert, untereinander Meinungen zu vergleichen. "Wenn man unsicher ist, sucht man Informationen in seinem Umfeld. Das passiert beim TV-Duell jetzt auf neuen Wegen."

Der "Second Screen": Unterhaltungsinstrument und Partnerersatz? Geht es nach Guido Bülow, Distributionsmanager beim SWR, ist der "zweite Bildschirm" genau das. SWR-Redakteure nutzen die Tweets zum "Tatort" als moderne Zuschauerpost. "Wir schauen uns die Tweets an und achten auf die Stimmung. Hinterher melden wir der Redaktion, was gut und was schlecht ankam."

Trotzdem gibt er sich vorsichtig. "Das Stimmungsbild bei Twitter ist ein eingeschränktes, weil meist die gleichen Nutzer mitmachen", sagt Bülow. Natürlich komme da viel Subjektives, aber es gebe auch gute Verbesserungsvorschläge, die konkret an die Redaktion herangetragen werden. Inwiefern dieses Feedback in die Produktion des "Tatort" einfließt, kann Bülow nicht sagen. Schließlich sei der nächste Fall zu dem Zeitpunkt schon abgedreht.

Mit dem "Tatort"-Twitteraccount, Teletwitter und Social TV will der SWR vor allem "nah dran sein" an den Zuschauern, die die Sendung digital verfolgen. Im Idealfall sollen diese dadurch weiter an das Format gebunden werden. Mehr Interaktivität und Erzählinhalte, die sich im Netz fortsetzen, versuchten die Macher des "Tatort+" (SWR) oder bei Arte mit "About Kate". Bei Arte konnten die Zuschauer das Leben der Protagonistin abseits des Fernsehbildschirms auf Facebook und mit einer App weiterverfolgen. Mit solchen Formaten wird das Angebot gemacht, sich inhaltlich auf dem "Second Screen" mit dem Programm auseinanderzusetzen. Der Erfolg lässt allerdings noch auf sich warten.

Konzentration auf Nebensächlichkeiten

Naturgemäß verringert sich aber beim "Second Screen"-Schauen die Aufmerksamkeit beim Zuschauer für beide Medien. Gleichzeitig und im selben Maß mitzubekommen, was auf Twitter und im Fernsehen passiert, ist für das menschliche Gehirn nicht möglich.

Die neue Gemeinschaft birgt für die Fernsehmacher das Risiko, dass die Aufmerksamkeit für ihr Programm nachlässt. "Wenn der Zuschauer abgelenkt ist, achtet er eher auf Nebensächlichkeiten und Visuelles. Je höher die Aufmerksamkeit ist, umso mehr achtet er dagegen auf Argumente und Inhaltliches." Auch in der Onlinestudie von ARD und ZDF wird der geringe Anteil der Second-Screen-Nutzer, die sich dabei wirklich mit dem Fernsehinhalt beschäftigen, mit der begrenzten Aufnahmekapazität begründet.

Dass die Konzentration auf Inhalte durch den "Second Screen" nachlassen kann, hat auch das TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück gezeigt. Auf Twitter wurde etwas Nebensächliches, die Kette der Kanzlerin, zum Thema. Aber nicht nur auf die Zuschauer, die ihn nutzen, hat der "Second Screen" Einfluss, sondern auch auf die Berichterstatter. Beim TV-Duell wurden 173.000 Tweets abgesetzt, das ist in Relation zu 17,55 Millionen Fernsehzuschauern keine besonders hohe Zahl. Trotzdem wurde das Twitter-Getöse von vielen Medien aufgegriffen. "In den TV-Duellen geht es um Politik. In der Nachberichterstattung geht es mehr um andere Dinge", kritisiert Reinemann.

Diskussionen auf dem "Second Screen" schwappen zurück in die klassische Berichterstattung. Die Gefahr dabei ist, dass Dinge thematisiert werden, die nicht relevant sind, sagt Reinemann. "Man darf nicht vergessen, dass die Tweets nichts anderes sind, als ein Zuschauer, der zu Hause auf dem Sofa seine Meinung äußert. Letztendlich ist es aber Aufgabe der Journalisten, zu entscheiden, ob sie das aufgreifen."

Die Fernsehmacher müssen noch daran arbeiten, wie sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer für ihre Sendung erhalten und möglichst mit beiden Screens enger an sich binden. Die Werbeindustrie hat dieses Feld längst auch für sich erkannt. Warum nicht bei Twitter und im TV werben, und zwar möglichst gleichzeitig?

Der Kurznachrichtendienst probiert zur Zeit genau das aus. Beteiligt sich ein Nutzer an der Diskussion über eine Fernsehsendung, indem er seine Tweets mit dem entsprechenden Hashtag versieht, so kann Twitter in dessen Nachrichtenstrom gezielt Werbung einblenden. Dies kann in Form eines sogenannten "promoted tweet", also eines bezahlten Tweets, geschehen oder sogar in Form eines eingebetteten Youtube-Videos. Und dieser Tweet erscheint im Idealfall kurz nachdem im Fernsehen in der Werbeunterbrechung der entsprechende Spot für den Nutzer zu sehen war.

Um diese Form der Werbung zu optimieren, hat Twitter bereits im Februar die Firma BlueFin Labs gekauft, die Software zur Analyse von TV-Sendungen entwickelt. Mit ihr lassen sich entsprechend markierte Werbespots im Fernsehen automatisch identifizieren. Für den Werbekunden also minimaler Aufwand - und die Chance, die Aufmerksamkeit der Nutzer mit zeitlich aufeinander abgestimmten Kampagnen in mehreren Medien zurückzugewinnen.

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