Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Lachsfischen in Süd-Trøndelag

Der US-Streamingdienst Netflix kauft die Rechte am vielleicht irrsten Fernsehhit der Welt: Im norwegischen Slow-TV passiert stundenlang nichts - und das Publikum ist trotzdem begeistert.

Von Silke Bigalke

Gehört hat inzwischen wohl jeder davon, von dieser Erfolgsshow aus Norwegen, die Netflix nun seinem englischsprachigen Publikum zeigt. Gemeint ist ausnahmsweise kein skandinavischer Triller wie der norwegische Geopolitik-Krimi Occupied, der in den USA bereits mit Homeland verglichen wurde und bei Netflix läuft. Kein beklemmender Scandinavian Noir, sondern das ganze Gegenteil: Es geht um Slow-TV, bei dem die profansten Dinge abgefilmt und in Echtzeit ausgestrahlt werden.

In Norwegen war das ein Riesenerfolg: 18 Stunden Lachsfischen beispielsweise, live aus der Provinz Süd-Trøndelag, 1,6 Millionen der rund fünf Millionen Norweger schalteten ein. Oder die "Nationale Feuerholznacht": Zwölf Stunden lang konnte man dabei zusehen, wie Holz gehackt, getrocknet, gestapelt wurde, und wie es die ganze Nacht brannte; eine Million Zuschauer. Genauso viele sahen die "Nationale Strick-Nacht", zwölf Stunden Nonstop-Stricken für einen Weltrekord, der dann doch nicht erreicht wurde. Die Norweger waren einfach zu langsam.

Weil das so schön absurd ist, stürzten sich US-Comedians wie Stephen Colbert und Jimmy Kimmel auf die Show. Kimmel zeigte den Ausschnitt, bei dem eine Strickerin vor der Kamera einnickte. "Warum habe ich das Gefühl, dass ich in sechs Monaten hier stehe und euch erzähle, wie es Valerie Bertinelli bei "Stricken mit den Stars" ergeht", witzelte er. Eine Vorahnung? Kann Slow-TV außerhalb von Norwegen überhaupt funktionieren? Die britische BBC hat es 2015 mit BBC Four Goes Slow versucht, zeigte unter anderem eine dreistündigen Tour durch Londons National Galerie und eine zweistündige Kanal-Bootsfahrt. Die Einschaltquoten reichten nicht annähernd an die norwegischen heran.

Was machen die Norweger also richtig? New York Times, Guardian, Washington Post - alle haben sich mit dem Phänomen beschäftigt. Ein Autor des New Yorker philosophierte, dass Slow-TV, "anstatt das Innenleben seiner Zuschauer zu ertränken", wohl Kulisse für deren "eigene Reflexionen" sein wolle. Und Norwegen hat unbestrittene wunderschöne Kulissen. Für die erste Slow-TV-Sendung hängten die Macher einfach eine Kamera vorne an den Zug von Oslo nach Bergen, eine der schönsten Strecken Europas. Sieben Stunden 16 Minuten lang nur Gleise, menschenleere Bahnsteige, ganz viel Natur. Dann die Hurtigruten, die Postschiff-Strecke von Bergen nach Kirkenes: Das Schiff schipperte fünfeinhalb Tage an der Küste Norwegens entlang. Die New York Times zeigte in einer Reisereportage online, wie sie sich das Storyboard dieser Sendung vorstellte: In jeder Einstellung nichts als Wasser und Horizont, und ab und zu eine Wolke.

In Norwegen ist man vor allem amüsiert über den Welterfolg dieser verrückten Idee, die 2009 mit Bergensbanen - minutt for minutt im Bergener Regionalstudio des staatlichen Senders NRK geboren wurde. Er hoffe nur, dass die Leute die Sendung nicht für einen neuen Bildschirmschoner halten, scherzte Thomas Hellum, der geistige Vater von Slow-TV, über die Netflix-Übernahme.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2016
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