Fernsehen im Internet:Goldgräberstimmung

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Die deutschen Fernsehsender liefern sich ein Rennen um die Macht im Netz - nach den Privaten hoffen nun auch ARD und ZDF mit einer Video-on-Demand-Plattform auf das große Geld. Pro Sieben und Co sehen die neue Konkurrenz gar nicht gern. Denn zeitunabhängiges Fernsehen ist ein großer, wenn nicht sogar der Zukunftsmarkt.

Simon Feldmer

So richtig nachvollziehen kann Alexander Coridaß die Aufregung nicht. Der Geschäftsführer der ZDF Enterprises GmbH findet schließlich, dass er nur Gutes im Sinn habe für die Fernsehlandschaft. "Wollen die deutschen Vertriebsgesellschaften für Film- und Fernsehrechte in der digitalen Welt bestehen", sagt er, "müssen sie sich schon fragen, ob sie die Geschäfte dort selber machen wollen oder sie lieber ausschließlich dritten Konzernen wie Google oder Apple überlassen."

Die Streitereien bei den Desperate Housewives (Felicity Huffman, r. und Marcia Cross) zeigt Pro Sieben Sat 1 nicht nur beim Spartenkanal Sixx, sondern auch - gegen Gebühr - bei seinem Video-Portal Maxdome. (Foto: ABC Studios)

Google, Apple, Geschäfte der Zukunft? Für den Chef der 100-prozentigen ZDF-Tochter Enterprises - den auf Rechteeinkauf, Lizenzverwertung und Koproduktionen spezialisierten kommerziellen Arm der gebührenfinanzierten Anstalt aus Mainz - steht die Antwort fest: lieber selber machen. In der ARD sehen das viele ähnlich.

Seit vier Jahren arbeitet Coridaß deshalb an der Idee einer neuen Video-on-Demand-Plattform. Einen Schatz würde er gerne heben, zusammen mit der WDR Mediagroup aus dem ARD-Verbund und namhaften deutschen Produzenten. Einige ARD- und ZDF-Gremien müssen noch zustimmen. Und auch wenn Coridaß betont, dass man sich noch in einem "völlig ergebnisoffenen Prüfungsprozess" befinde: Das Vorhaben könnte schon in den nächsten Tagen beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Sollte die Bonner Behörde zustimmen, könnte die Plattform dann vielleicht schon Ende des ersten Halbjahres 2012 online gehen - vorausgesetzt Coridaß und Kollegen kommen mit Technik und Vertragswerk rechtzeitig voran.

Das Projekt unter dem verheißungsvollen Arbeitstitel "Germany's Gold" sorgte in den vergangenen Wochen für Diskussionen. Das liegt daran, dass die Plattform nicht nur viel Archiv-Ware, sondern auch neue Filme und Serien für jedermann anbieten will, in drei Modellen: im Abo, zum kostenpflichtigen Download oder zum freien Abruf, finanziert über Werbung. Coridaß sieht darin nicht mehr als "die Weiterentwicklung des bisherigen Geschäftsmodells" und verweist auf den Rundfunkstaatsvertrag, der den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Verwertung von Rechten und Lizenzen ausdrücklich nur über kommerzielle Tochtergesellschaften und zu Marktbedingungen erlaube. Soll heißen: Wenn früher die Schwarzwaldklinik auf Videokassetten oder das Traumschiff in der DVD-Box nach der TV-Ausstrahlung weitervermarktet wurden, soll das in Zukunft in der Online-Videothek geschehen.

Doch etwas mehr wird "Germany's Gold" schon anbieten: Neue Produktionen dürften auch mal vor der Erstausstrahlung im Fernsehen zu finden sein. Damit würde natürlich neue Konkurrenz für klassische TV-Anbieter entstehen, aber auch für Video-Bezahlangebote wie Maxdome aus dem Haus der Pro Sieben Sat 1 AG. Maxdome ist nach eigener Aussage bislang Marktführer unter den Video-on-Demand-Plattformen in Deutschland. Dort versucht man ebenfalls, mit kostenpflichtigen Previews von TV-Serien wie Desperate Housewives oder Grey's Anatomy zu punkten.

Die Aufregung um das Projekt "Germany's Gold" hat auch damit zu tun, dass ZDF-Intendant Markus Schächter das Vorhaben kürzlich mit der Perspektive verknüpfte, "großes Geld im Video-on-Demand-Bereich zu verdienen". Für einen Intendanten einer gebührenfinanzierten Anstalt ist das ein bemerkenswerter Satz. Eine schneidige Replik des Cheflobbyisten vom Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) ließ nicht lange auf sich warten.

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Man kann schon verstehen, dass die Strategen der kommerziellen TV-Anbieter diesen öffentlich-rechtlich angetriebenen Vorstoß mal wieder überhaupt nicht lustig finden. Erst Mitte März hat das Bundeskartellamt den TV-Konzernen RTL und Pro Sieben Sat 1 untersagt, gemeinsam eine werbefinanzierte Video-on-Demand-Plattform aufzubauen. Die zwei Medienkonzerne haben dagegen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geklagt. Eine Entscheidung erwarten sie nicht vor 2012.

Unterdessen sitzen viele Fernsehproduzenten wie Bavaria, Brainpool, Ziegler Film oder EOS/Beta Film am Tisch mit Vertretern der gewerblichen Tochterfirmen der öffentlich-rechtlichen Sender, um darüber zu verhandeln, wie sie ihre Filme und Serien bald selbst online vermarkten können, statt das Feld Raubkopierern und Internetgiganten zu überlassen. Und wer ist - bislang zumindest - nicht dabei? RTL, Pro Sieben, Sat 1 und Co.

ZDF-Enterprises-Chef Coridaß sagt zwar, dass alle eingeladen seien mitzumachen. Direkt eingeladen hat er die Kollegen der privaten Sendergruppen allerdings nicht. Das ist umso unbefriedigender für die Konkurrenz, da sich eigentlich alle Fernsehmacher in einem Punkt einig sind: zeitunabhängiges Fernsehen ist ein großer, wenn nicht sogar der Zukunftsmarkt.

Spätestens seitdem es das Netz zum Treiber der Medienevolution gebracht hat, ist vom Zusammenwachsen von Internet und Fernsehen die Rede. Auf dem Laptop ist das schon weit fortgeschritten. Bewegte Bilder werden immer beliebter. So beliebt, dass die TV-Sender nun alles daran setzen, für ihre Werbekunden die Zahl der Abrufe wie die jeweilige Verweildauer einheitlich zu benennen.

Bislang wurde das in den Quotenmessungen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) nicht berücksichtigt. "Wir wollen im ersten Halbjahr 2012 damit beginnen, erste Zahlen auszuweisen", sagt Matthias Wagner, Sprecher der technischen Kommission der AGF, der Süddeutschen Zeitung. Vor allem die privaten Sender haben an dem Datenmaterial großes Interesse. Eine Internetquote dürfte die Vermarktung ihrer Online-Angebote erleichtern. In einem ersten Schritt will die AGF die Nutzung der Mediatheken und Abrufplattformen messen, in einem zweiten soll ausgewiesen werden, wie viele Zuschauer bei der Onlinewerbung vor dem Schirm bleiben. Das gilt technisch als schwierig, da im Netz viele dynamische Werbeformen blinken, deren Nutzung schwer greifbar ist. "Das ist messtechnisch eine Herausforderung", sagt Wagner.

Dass derzeit mal wieder viele Projekte und Piloten die Zukunft des Fernsehens einzukreisen versuchen, hat vor allem einen Grund: die Wachstumszahlen im Abruf-Fernsehen. Beim ZDF spricht man von einem "echten Sprung" im Jahr 2010. Im Schnitt käme die ZDF-Mediathek mittlerweile monatlich auf 23 Millionen Sichtungen. Tendenz steigend. "Die Zahl der Menschen, die ihren Tagesablauf nicht mehr nach dem linearen Programm stricken, wird weiter zunehmen", sagt auch Heidi Schmidt, Onlinekoordinatorin der ARD. Mediatheken sind der ARD-Managerin zufolge schon heute "die Angebotsteile, die sich am dynamischsten entwickeln". Allein von 2009 auf 2010 stiegen die Zugriffe auf die Mediatheken der ARD und des Ersten laut Schmidt um fast 60 Prozent.

Auf den von Pro Sieben Sat 1 vermarkteten Internetseiten haben sich die Videoabrufe in dieser Zeit angeblich sogar vervierfacht. Aktuell liege man bei über 110 Millionen Abrufen im Monat. Im kommenden Jahr will die Pro-Sieben-Gruppe - ähnlich wie das bei RTL bereits praktiziert wird - ergänzend zum freien Abruf kostenpflichtige Inhalte auf den Senderseiten integrieren. Auch RTL berichtet von einer Steigerung um 60 Prozent seit 2009.

Für die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen geht es bislang vor allem darum, ihr Standing in der digitalen Welt abzusichern. Private Anbieter begreifen die rasanten Wachstumszahlen als Chance und Risiko zugleich. Zwar gibt man auch beim Marktführer RTL das Ziel aus, mittelfristig das gesamte Programm zum Abruf bereit zu stellen. Aktuell sind es bereits mehr als 80 Prozent. Zu mehr als einer "flankierenden Einnahmequelle", wie es im Haus heißt, haben sich die Einnahmen im Bewegtbildsektor aber noch nicht entwickelt. Dabei sind bis zum Tochtersender Super RTL eigene Plattformen in Betrieb, auf denen Sendungen online angesehen werden können.

Jan Paulus, Direktor Neue Medien bei Super RTL, sieht darin die Chance, "in einem wachsenden Onlinemarkt die eigenen Inhalte in einem bestimmten Zeitfenster selbst zu vermarkten". Arnd Benninghoff, Geschäftsführer von Pro Sieben Sat 1 Digital, vermeldet, dass die Umsätze der Gruppe mit Online-Bewegtbildwerbung bereits auf Augenhöhe mit den Erlösen aus klassischen Bannern und Displays liegen. Großes Geld im Video-on-Demand-Markt, das kann man so sagen, verdienen die Privaten noch nicht. Im Verhältnis zu den Milliarden im klassischen Fernsehwerbemarkt sind es bislang unerhebliche Summen.

Und dennoch: Es entsteht ein Markt, auch für die Kommerzsender. Durch die neuen Onlinequoten wird er im kommenden Jahr weiter an Bedeutung gewinnen. Der Streit darüber, wer das Gold dann auch ausbuddeln darf, hat gerade erst begonnen.

© SZ vom 28.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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