Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Geheimwaffe Romeo

Die DDR wird überraschend zum Exportwunder des deutschen Fernsehens: Nach "Deutschland '83" geht jetzt Tom Schilling im ZDF als Agent in den Westen. Der dreiteilige Film ist bereits an Netflix verkauft.

Von Cornelius Pollmer

Die Band Tele hat sich trotz ihres Namens selten mit dem deutschen Fernsehen befasst, als sie es aber doch einmal tat, entstand eine Zeile für die Ewigkeit: "Wir drehen Filme, nur um sicherzugehen, dass die Vergangenheit so war, wie die Geschichten erzählen." Man kann von dieser Zeile sehr schnell zum Thema Siegerjustiz kommen und dahin, dass diese Justiz auch im Fernsehen und in gesamtdeutscher Gründlichkeit der DDR über Jahre den Prozess gemacht hat. Ästhetisch war das Land für den deutschen Film lange eine Art Fifty Shades of Grey, inhaltlich gab es das Immerähnliche - alle waren traurig und verraten wurde jeder, der nicht bei drei Republikflucht begangen hatte.

In den späteren Jahren ihres Nachlebens bekam die DDR optisch und inhaltlich mehr Farben, was aber, nota bene, nicht hauptsächlich an einer spontanen Gerechtigkeitslaune der produzierenden Gewerke lag. Man darf sich das eher so vorstellen, dass in irgendwelchen Budget-Runden im Zentral- oder Randberlinerischen mal wieder ein exekutierender Produzent "große Stoffe" und "große Themen" forderte, und weil es davon nicht viele geben kann, überkippt man die vorhandenen mit Kontrastmitteln und sucht unter dem Mikroskop nach immer neuen Facetten.

So erklärt sich schließlich der schöne, kleine Fund, den aufmerksame Zeitungsleser dieser Tage in Bezug auf den ZDF-Dreiteiler Der gleiche Himmel machen konnten. In einer Besprechung desselben tauchte der Genrebegriff der "Sexspionage" wieder auf, und wessen grundsätzliches Interesse nun geweckt ist, dem sei Nigel Wests Historical Dictionary of Sexspionage empfohlen. Im konkret vorliegenden Fall des angeblich gleichen Himmels über Ost- und Westberlin allerdings geht es dann doch um mehr.

Fast jede Fernseharbeit über die DDR geht noch vor Drehbeginn in den Holzschnitt

Drei wesentliche Episoden ziehen sich durch das Jahr 1974, sie sind auf nur teilweise durchsichtige Weise miteinander verbunden und irgendwie auch mit dem Weltgeschehen. Dessen Hitparade führten damals an: das Ende von Nixon, der Rücktritt Brandts, das 1:0 von Jürgen Sparwasser gegen die Beckenbauer-Republik Deutschland. Realer Wahnsinn und Paranoia des Kalten Krieges im flummibunten Gewand der Siebziger ergeben den Sachzusammenhang, in dem die Leben von Axel Lang (Hannes Wegener), Klara Weber (fantastisch: Stephanie Amarell) und Lars Weber (Tom Schilling) spielen. Lang spielt recht offensiv ein mehrfaches Handicap-Match. Ein schwuler Lehrer mit Widerspruchslust im DDR-Osten? Das kann nicht gutgehen, und so steht Lang irgendwann in einem grenznahen Tunnel und versucht, im weiteren Sinne nach Margarete Stokowski, "untenrum frei" zu werden. Von Klara Weber erhoffen sich Vater Staat und Mutter Gita (hervorragend frostig: Anja Kling) olympisches Gold im Schwimmen - dass bunten Pillen dem Kind männlichstes Haar am Körper wuchern lassen, interessiert zu lange fast niemanden.

Flauschiger kann der Übergang zu Tom Schilling kaum gelingen, der als real 35-jähriger Mensch einen fiktiv 25-Jährigen spielt, wozu ihm in ähnlichen Ausmaßen zu gratulieren und in die Wange zu knuffen ist. Schilling jedenfalls macht das ziemlich gut und der Film braucht ihn auch deswegen, weil es sonst eben wieder nur um Republikflucht und Staatsdoping gegangen wäre. So aber besteht die erste Leistung des Agenten Lars Weber darin, eine Flirtschule der Stasi zu durchlaufen, ohne dabei zum Vollidioten zu werden. Ziel ist die "postkoitale Beeinflussung zwecks Informationsgewinnung", aber wo vor der Tafel die fleischgewordene Überzeugung steht, Frauen ließen sich nach einfachsten Regeln verschaukeln, liest Lars Weber an der bald kichernden Probandin das Schicksal aus den Handlinien. Die Stasi erkennt dieses Rüstzeug und schickt Weber als "Romeo-Agenten" nach Westberlin, wo er das zu erobernde Zielobjekt bei einer "zufälligen" Begegnung im Café glitzernden Auges anlügt: "Lauren, so etwas passiert nicht oft im Leben." Danach, um hier nicht ohne Not zu spoilern: passieren Dinge.

Es lassen sich nun einige Dinge aufzählen, die in Summe und bei hinreichender Missgunst Der gleiche Himmel am Ende doch wieder zu einer doofen Revue über die so grausame wie letztlich unfähige Unrechtsstaats-DDR machen. Kritisieren ließen sich die massivhölzernen Drehbuchsätze, in die selbst Tom Schilling zuweilen und verstörend plötzlich kippt. Und wo wir schon bei Holz sind: Fast jede Fernseharbeit über die DDR geht noch vor Drehbeginn in den Holzschnitt, und sei er auch noch so fein gearbeitet. Kritisieren ließe sich, dass das Weltpolitische in Gestalt von Brandt und Nixon viel zu groß erscheint, um es mit dem konkret Privaten, in notwendiger Abgewandtheit von Weltläuften, am Ende doch immer wieder um die teuflische Frage geht, wer mit wem schläft. Kritisieren ließe sich schließlich, dass ein "großer Dreiteiler" (ZDF) dem Einmaleins der deutschen Fernsehmathematik folgend in Summe ziemlich genau viereinhalb Stunden dauert, an deren Ende man als Zuschauer verblüfft feststellt, dass die wesentlichen Figuren ihr Suchen und Finden gerade erst begonnen zu haben scheinen.

Andererseits suggeriert das Unfertige eine Fortsetzung und die Aussicht darauf ist wesentlich an dieser 12-Millionen-Euro-Produktion: Sie ist ganz nach Netflixschem Ideal verlängerbar bis in die Unendlichkeit, wenn die Zuklickzahlen stimmen.

Mit Weissensee und Deutschland 83 gab es in den letzten Jahren reichlich DDR-Ware, Der gleiche Himmel wurde in mehr als 100 Länder verkauft. In den USA wird das tatsächliche Netflix den natürlich von Nico Hofmann produzierten Dreireiher zur Aufführung bringen. Es darf also in aller Welt je nach Belieben gelacht oder geweint werden über die fiese Pointe der Geschichte, dass Deutschland 2017 die DDR als großkapitalistisch-herrlich vermarktbares Fernsehprodukt aufleben lässt. Schade nur, dass bei so viel zu erläuternden Marktzusammenhängen der Platz fürs Wesentliche schrumpft. Als da hier zuvorderst wenigstens zu nennen sind: die tolle Regie Oliver Hirschbiegels und einen sensationell im Otto-Sander-haften aufgehenden Ben Becker, der selbst das dauerhafte Vermatschen von Fast Food zu etwas macht, das man Kunst nennen muss.

Der gleiche Himmel, ZDF, 27., 29. und 30. März, jeweils 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2017
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