Claudia Tieschky: "Im Schmerz geboren", 2014, ist ein Wahnsinnsfilm. Die Wucht der griechischen Tragödie, kombiniert mit Ballerkraft wie bei Tarantino, manchmal grotesk überzogen, zum Lachen und dabei zum Weinen. Der Wiesbadener Ermittler Felix Murot, gespielt von Ulrich Tukur, begegnet seinem früheren Freund Richard Harloff (Ulrich Matthes), der jetzt sein Feind ist, und Murot ist der Schwache in diesem Kampf Mann gegen Mann. Ihm wird alles genommen, sogar seine Vergangenheit. Perfiderweise weiß Murot das nicht einmal - aber der Zuschauer weiß es. Berühmt geworden ist "Im Schmerz geboren" (Regie Florian Schwarz, Buch Michael Proehl) wegen seiner Zeitlupen-Schlussszene als der "Tatort" mit den angeblich meisten Leichen, aber das verkürzt die Sache gewaltig. Es ist der "Tatort" mit der gewagtesten Idee der vergangenen Jahre und große Kunst.
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Theresa Hein: Zählt die Beschreibung "Schlimmster Krimi" als Empfehlung? Alle "Tatort"-Schauspielerinnen und Schauspieler, die danach kamen, mussten sich messen an Anna Maria Sturm, die 2010 in "Nie wieder frei sein" das Opfer einer Vergewaltigung spielte, das vor Gericht aussagen und dann zusehen muss, wie der mutmaßliche Täter freigesprochen wird. Ihre Freunde und Familie zerreißt es im Laufe der 90 Minuten fast vor lauter Ungerechtigkeit, genau wie die Kommissare Batic und Leitmayr, gespielt von Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl. Man sieht diesen Film und weiß, dass es Opfer gibt, die durch diese Geschichte durchmüssen, dass es Menschen gibt, die anderen das Schlimmste wollen. So froh ist man um den Rechtsstaat nach dieser Folge, und genauso deutlich hat man gerade 90 Minuten lang dessen Fehlbarkeit aufgezeigt bekommen.
Katharina Riehl: Der "Tatort" am Sonntag gehört zu den Konstanten des Lebens, und wenn ich einen verpasse, hat das meistens einen Grund. Die Folge "Der irre Iwan" habe ich verpasst, weil die Wehen am 1. Januar 2015 so stark wurden, dass mein Mann fand, wir sollten vielleicht mal ins Krankenhaus fahren, trotz der Vorfreude auf die zweite Episode mit Nora Tschirner und Christian Ulmen. Die beiden wissen, wie man einen Gag-"Tatort" macht: ganz anders nämlich als die betulichen Gag-Veteranen aus Münster. Worum es geht? Die Sekretärin des Stadtkämmerers wird ermordet, und dann wird alles sehr gaga. Jedenfalls: Sonntagnacht, Fall gelöst, Kind da. Genau ein Jahr später holte ich den Film nach - und liebe ihn bis heute, nicht nur aus persönlichen Gründen.
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Holger Gertz: Der WDR-"Tatort" "Drei Schlingen", 1977, lag ewig im Giftschrank, die Folge war angeblich zu brutal und ging erst 2003 wieder auf Sendung. Was passiert? Ein Wachmann wird bei einem Überfall auf einen Geldtransport umgebracht, ein anderer Wachmann rächt ihn, indem er die Gangster aufhängt oder aufhängen will, einen nach dem anderen. Deswegen Drei Schlingen. Ein harter,deprimierender Film, klassisch Siebzigerjahre:Oberthema Rache und Gerechtigkeit. Der melancholische Hansjörg Felmy als Haferkamp im Duell mit dem lodernden Wachmann, der gespielt wird von Traugott Buhre, einem wahrhaftigen Theatergott. Giganten wie Buhre lernte man früher manchmal kennen im "Tatort", der in seinen besten Momenten immer auch einSchauspieler- und Schauspielerinnenfilm gewesen ist.
Cornelius Pollmer: Jugend forscht, manchmal sogar im Schutze der Nacht und mithilfe von Drogen. Die Darstellung solchen Lebens misslingt im "Tatort" häufig und deutlich, bei "Borowski und der Himmel über Kiel", 2015, ist sie in herausragender Weise gelungen. Der Film von Rolf Basedow (Buch) und Christian Schwochow (Regie) macht die furiose Kraft von Crystal Meth fernseherlebbar, in zeitweisen Höchstgefühlen wie in endgültigen Niederschlägen. Rückblenden dienen der Dramaturgie, statt dass sie Schwächen des Drehbuchs ausgleichen müssen. Und das alles bei guten Farben wie dem verwaschenen Grau des Nebelnordens und bei erzählenden Geräuschen wie nicht zuletzt dem einer Axt, die mit Schwung geführt wird und dann auf etwas trifft, das ziemlich sicher kein Holz ist.