Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Eine Klasse für sich

Deutsche Serien erleben einen rasanten Aufschwung, die Maßstäbe dafür setzen Vorbilder aus den USA. Der Bedarf an gut ausgebildeten Kreativen für das bessere Fernsehen ist groß. Er verändert gerade die Filmhochschulen.

Von Benedikt Frank

Kürzlich verkündete RTL eine kleine Programmrevolution. Am Dienstagabend gibt es dort jetzt deutsche Serien. In Sankt Maik wird sich ab morgen ein Betrüger als Pfarrer ausgeben, Beck is back! soll ab nächster Woche von einem Pflichtverteidiger handeln. Verantwortlich dafür ist Philipp Steffens, Fiction-Chef bei RTL. Er ist Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dort gibt es bereits seit 2000, dem Jahr, als Die Sopranos in Deutschland starteten, die "Studienvertiefung Serien Producing". Steffens gehört sozusagen zu der ersten Generation von Fernsehleuten, die das neue Serienfernsehen schon in der Ausbildung hatten. Und es werden mehr.

Wer Film studiert, träumt ja nicht unbedingt von der Arbeit für das Vorabendprogramm

Lernen kann man Serie heute an Filmhochschulen in Berlin, Babelsberg, Köln, München und eben Ludwigsburg. "Mit dem Hype seit The Wire hat sich das Sehverhalten der Studierenden zunehmend Richtung Serie entwickelt", berichtet der Ludwigsburger Studienkoordinator für Serien-Producing, Michael Rösel. Allerdings sei das dann auch sehr an Amerika orientiert gewesen. "Da ist es immer etwas schwierig, die Leute auf den deutschen Markt zu lenken." Denn für den bildet die Filmakademie vornehmlich aus.

Wer ein Studium an einer Filmhochschule beginnt, träumt ja nicht unbedingt davon, dem feierabenderschöpften Arbeitsvolk seichte Unterhaltung zu liefern. Doch Hauptsendezeit für Serien ist immer noch das Vorabendprogramm. Die Serien dort spielen in Polizei- oder Klinikstationen oder besetzen Tiere in der Hauptrolle.

Die Alltagsroutine hat allerdings einen Vorteil. Rösel versucht, das seinen Schülern so zu vermitteln: "Die Leute, die bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten arbeiten, haben ein tägliches Auskommen, die können eine Familie davon ernähren." Und dann gibt es noch eine große Hoffnung: Die Ansprüche des Publikums steigen.

Es entstehen heute öfter deutsche Serien neuer Qualität - wie die Produktion Dark mit ihrem Zeitreiseplot, pompös Ausgestattetes wie Babylon Berlin oder ein Emmy-Gewinner wie Familie Braun. Auch die Filmindustrie will mehr davon. Also bemühen sich Hochschulen um Serien-Schwerpunkte. An der Filmuniversität Babelsberg gibt es seit 2015 eine "Winterclass Serial Writing and Producing", zwei dreitägige Seminare für Branchenleute und Studenten. In das erste, für die Theorie, zwängt man 16 Gastdozenten, das zweite für die Praxis leitete zuletzt Morgan Gendel, der als Produzent etwa an Law & Order und als Autor bei Raumschiff Enterprise beteiligt war.

Mit dem Netzwerk, das bei solchen Veranstaltungen entsteht, werben Filmhochschulen ebenso selbstverständlich wie mit ihrem ursprünglichen Versprechen, dass man bei ihnen das Handwerk und die Kunst erlernen könne. Die Serienausbildung eignet sich zur Netzwerkerei, ist aber auch von ihr abhängig. Zu groß ist der Aufwand einer Serie, als dass viel unabhängig produziert würde. Industrienah sind daher alle Serienausbildungen, wenngleich nicht alle mit großen Senderlogos werben. Bei denen, die es tun, sieht man beispielsweise die Marken Ufa, Sky, RTL oder ZDF.

Etwa eine Stunde dauert die Fahrt von Babelsberg zur Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Auch hier will man zu den Ersten in Sachen Serienausbildung gehört haben. "Serial Eyes" möchte seit 2013 das erste europäische Training für Postgraduierte im Serienbereich sein. Derweil wirbt Ludwigsburg online damit, "bis heute als einzige Filmhochschule Deutschlands eine spezielle Ausbildung im Bereich Serie" ins Leben gerufen zu haben, "welche nicht nur Serien konzipiert, sondern auch produziert". Joachim Friedmann von der Internationalen Filmhochschule Köln (IFS) muss da lachen. Natürlich sei sein Master für Serial Storytelling, den es seit 2013 gibt, der einzige reguläre Serienstudiengang in Deutschland. Da wirkt es fast zurückhaltend, dass sich die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München nicht den einzigen bayerischen Serienbachelor ausgedacht hat, sondern es dabei belässt, sich seit einem Jahr einen Lehrstuhl für Serielles Erzählen zu leisten.

So viel Hochschul-PR bedarf der Einordnung. Filmhochschulen sind immer auch Fernsehhochschulen - und Fernsehen bedeutete schon immer auch Serie, nicht nur in Ludwigsburg. Dort werden regelmäßig Pilotfolgen und Serientrailer als Abschlussarbeit produziert. Bei anderen Serienstudiengängen bleibt es meist bei der Erarbeitung von Serienkonzepten. Die HFF München erklärt, Serien entstünden neben dem Studium, Teilnahmen an Serien-Wettbewerben würden von der Lehre betreut. Serienpiloten als Diplomarbeiten sind dort noch selten. "Serial Eyes" betont das Europäische, weil das Postgraduiertenprogramm für Drehbuchautoren unter anderem von der EU unterstützt wird. Die IFS in Köln hat die einzige Serienausbildung in Deutschland mit dem Abschluss Master. Ihr Leiter Joachim Friedmann ist ein Quereinsteiger, der ursprünglich vom Comic kommt, und so selbst der beste Beweis, dass sich Drehbuchautoren nicht unbedingt mit einem Master of Arts im Serial Storytelling vorstellen müssen.

"Dass vier von sechs Pitches optioniert wurden, war für uns alle eine große Überraschung", erinnert sich Münchens neuer Serien-Professor Tac Romey an eine Veranstaltung, bei der Studenten ihre Konzepte vor Profis präsentierten. Der Babelsberger Leiter der Winterclass, Timo Gößler, erzählt, dass solche Präsentationen anders als früher gut mit Branchenpublikum gefüllt seien. Bei ihnen seien zuletzt drei Entwürfe in Entwicklungsverträge gegangen. Der Kölner Joachim Friedmann und Ben Harris vom Berliner Programm sagen, ihre Studierenden kämen in Writers' Rooms unter. Der Ludwigsburger Michael Rösel drückt die Lage so aus: "Es geht der Branche nicht so sehr um die Software, die Stoffe, die hier entwickelt und dann angekauft werden, sondern um die Hardware, die ausgebildeten Studenten."

Noch sind viele Köpfe hinter den großen Serien allerdings Leute mit Kinofilm-Biografie, die ohne die neue Serienausbildung durchs Studium gekommen sind. Bei auch finanziell riskanten Projekten setzt eben niemand auf Anfänger. Es wird also noch dauern, bis sich die neue Lehre auch in den Produkten zeigt. Worauf die Serienlehrer hoffen: dass die Qualität der Serien in Deutschland insgesamt steigt und am Ende sogar die Seifenopern besser werden.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2018
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