Fernsehen:Die zehn größten Talkshow-Irrtümer

Reden, bis der Arzt kommt: Die ARD sendet immer mehr Talkshows und ist auch noch stolz darauf. Erstes Opfer des Overkills: der Zuschauer.

Hans-Jürgen Jakobs

Einen Platz für Dokumentationen gestrichen, dafür aber so richtig ins Geschäft mit den Quasselrunden eingestiegen: Die ARD ist im Talkshow-Fieber. In Vorbereitung des Sonntags-Starts von Günther Jauch ändert sie das Programmschema. Dabei sind die vielen Schwächen der deutschen Talk-Runden unverkennbar.

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Günther Jauch, Anne Will, Frank Plasberg: Die ARD ist im Talkshow-Fieber.

(Foto: sueddeutsche.de/L. Seipp)

1. Irrtum: Talkshow ist politische Kultur.

Das wäre ja schön, hat nur nichts mit der Realität zu tun. Vor kurzem luden die Grünen zu einem medienpolitischen Dinner nach Berlin. Es ging um Politik und Medien, und das heißt für die meisten Parteimitglieder: um Politik und Fernsehen. Die anwesenden Spitzenvertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens brachten sich unter anderem so ein, dass die Talkshows der politischen Kultur, ja der Aufklärung dienten.

Das sind große Worte für ein hübsches Nichts. Was wird in jenen abgefilmten Stuhlkreisen ausgetauscht außen Stanzen und Schablonen? Wann werden schon mal tiefere Argumentationsebenen erreicht? Wenn es kompliziert wird, meldet sich garantiert die Moderatorin oder der Moderator. Es könnte ja jemand umschalten.

Als es jetzt am Sonntag bei Anne Will um Wikileaks und damit um Cyber-Journalismus ging, machte der anwesende Tagesspiegel-Chefredakteur den Fehler, von gezielten Viren-Angriffen und Stuxnet reden zu wollen. Da machte Anne das Licht aus.

2. Irrtum: Es gibt genügend gute Moderatoren.

Irrtum 2: Es gibt genügend gute Moderatoren

Es gibt vor allem prominente Fernsehleute, die sich überschätzen. Am Anfang genügte der brillenschwenkende, hessisch babbelnde Ex-Spiegel-Chefredakteur, um Originalität zu signalisieren. Das war irgendwie authentisch - und die sympathische Ko-Moderatorin Sandra Maischberger ward vergessen. Inzwischen ist sie fest im Talkshowsender ARD verankert und leitet dort jene Sendung, die für viele noch den substanzreichsten Eindruck macht.

Seit dem unvergesslichen Wirken von Sabine Christiansen gilt die Kombination aus mittellangen Haaren, Blazerjacke und weiblichem Fragecharme als sicheres TV-Rezept. Nur Reinhold Beckmann, Markus Lanz und Frank Plasberg halten, garantiert krawattenfrei, dagegen. Doch gerade der inhaltliche Wertverlust von Plasbergs Hart aber fair zeigt die Gefahren des Genres. Man dient sich schnell an, um locker herüberzukommen.

Da sich der Überraschungsfaktor bei den allesamt langgedienten deutschen TV-Talkern der Nulllinie nähert, kam die ARD auf die Idee, jemand ganz Neuen zu nehmen: Günther Jauch. Und weil der Mann von RTL von Herbst 2011 an die Themen der Woche angibt, kam das ganze Karussell der Talker in Bewegung. Jauch wird vermutlich so oberflächlich wie die anderen sein, dies aber menschlich sehr nett machen.

Der typische Talkshow-Moderator ist profillos, ohne Meinung und macht keinen Ärger. Sie sind so ausgewogen wie die deutsche Gremienkultur. In den USA dagegen sind Leute wie Bill O'Reilly (rechts), David Letterman (liberal) und Jon Stewart (satirisch-links) scharf positioniert.

3. Irrtum: Es gibt genügend gute Gäste.

Irrtum 3: Es gibt genügend gute Gäste

Wenn man sich nach einigen Wochen erinnern soll, wo wer geredet hat, kommt man nicht mehr zurecht. War Hans-Olaf Henkel zum Beispiel bei der dunkelhaarigen Maybrit Illner oder bei der dunkelhaarigen Sandra Maischberger? Die Antwort: Er war überall, also auch da. Wer gerade en vogue ist, reist herum von Studio zu Studio, solange sich jemand für ihn interessiert. Der ideale Gast muss knackige Botschaften in vier Sätzen unterbringen, muss einen gepflegten, höchstens leicht angeschrägten Witz machen und darf die Stichworte des Gastgebers nicht missverstehen.

Ein bisschen Charakterkopf wäre auch gut. Da es nur wenige Geeignete gibt, sehen die Zuschauer immer dieselben Gesichter. Geht es um Gesundheit, ist Karl Lauterbach mit der Fliege da. Geht es um Kommunikation, also um alles, setzt sich Klaus Kocks in Positur. Soll Geist vermittelt werden, kommt Richard David Precht. Will die Redaktion nur eine Prise Provokation, fragt sie bei Oskar Lafontaine an.

Will sie gleich einen ganzen Gewürzladen davon, akquiriert sie Thilo Sarrazin. Braucht man einen Leitartikel-Erreger öffentlicher Ärgernisse, steht Hans-Ulrich Jörges parat. Den guten deutschen Unternehmer gibt Wolfgang Grupp. Zum Internet, aber auch zu allem sonst redet Jo Groebel (dessen Rang ihm von Sascha Lobo streitig gemacht werden könnte). Und natürlich kommt das aktuelle politische Berliner Spitzenpersonal gerne. Die Bild-Liste der nervigsten Gäste ließe sich beliebig erweitern.

4. Irrtum: Es gibt genügend Themen.

Gäbe es, gibt es aber nicht. Hartz IV oder Reich und Arm, Gesundheit unbezahlbar, Pflege unbezahlbar, Muslime schlecht integriert, Reformen in Deutschland. Viel mehr ist nicht. Über die immer gleichen Themen diskutieren die immer gleichen Gäste. Ein Zirkus mit kleiner Manege - und kurzem Programm.

5. Irrtum: Talkshows dienen der Wahrheitsfindung.

Ganz Kluge behaupteten vor Jahren, das deutsche Talkshow-Wesen sei die Verwirklichung offener Diskussionskultur, so wie 1968 gefordert. Darüber könnte man glatt eine Talkshow machen. Tatsächlich haben die meisten, die im Stuhlkreis sitzen, etwas zu verkaufen. Sonst säßen sie da nicht. Meistens sind es Bücher, die angepriesen werden.

Die Erregungs-Gesellschaft freut sich an Themen wie "Deutschland schafft sich ab" und an ein paar Thesen, die nicht politically correct sind, denn dann kommt Schwung in die Bude. Und der Autor über Nacht auf die Bestsellerlisten. Die meisten Bücher werden inzwischen so konzipiert, dass sie in Talkshows und damit im Spiegel-Ranking landen können. Talkshows sind prakiziertes Buchmarketing.

6. Irrtum: Jeder kommt zu Wort.

Nirgendwo ist der Kampf um Aufmerksamkeit so brutal wie in einer Talkshow. Man darf sich einerseits nicht vordrängeln, andererseits auch nicht zu schüchtern sein. Eine Ausnahme bildet inzwischen Heiner Geißler, der das deutsche Schlichterwesen revolutioniert hat. Er kann immer sagen, was er will und das auch ganz lange.

Am Mittwoch bei Plasbergs Hart aber fair wurde er schon als deutscher Obama gewürdigt. Geißler redet lange, breitet die Hände aus und beschwört den Frieden. Neben ihm ärgerte sich nur die Grünen-Politiker Renate Künast, dass sie nicht ganz so lange reden durfte. Aber sie hat noch Zeit, so zu werden wie Heiner Geißler, wenn sie erst einmal Berliner Regierende Bürgermeisterin war.

7. Irrtum: Talkshows sind Quotengaranten.

Irrtum 7: Talkshows sind Quotengaranten

Sie sind billig, sie sind leicht konzipierbar, sie sichern mediale Verwertung - doch je mehr Talkshows es gibt, desto stärker verfällt das, wovon die Fernsehmacher abhängig sind wie der Diabetiker von der Insulinspritze: die Quote. Mit fünf Talkshows an fünf Tagen metzeln sich künftig die ARD-Talker selbst danieder. Der fröhliche Kampf um die immer gleichen Gäste wird ernsthafter werden. Den Dauer-Geladenen können Wohlmeinende nur raten: öfter mal wegbleiben.

8. Irrtum: Talkshows laufen ewig.

Irrtum 8: Talkshows laufen ewig

Quotenverfall kann eine reinigende Kraft haben. Von den ARD-Formaten wird es in drei Jahren manches nicht mehr geben. Erinnert sich einer noch an Gabi Bauer, die große Hoffnung im Ersten? Sie moderiert das Nachtmagazin. Und an Joachim Gauck, den groß-würdigen Präsidentschaftskandidaten, dem Deutschland zujubelte? Mit der eigenen Talkshow in der ARD war es rasch vorbei. Zu viel Bildung schadet auf diesem Stuhl.

9. Irrtum: Hier zeigen sich Politiker, wie sie sind.

Talkshows zeigen Politiker, wie sie sich selbst sehen. Sie sind Verstärker der eigenen Inszenierung. Der Grad der Wichtigkeit zeigt sich darin, inwieweit es gelingt, bestimmte Vertreter anderer Parteien zu verhindern. Deshalb treiben sich die Spin doctors von Spitzenpolitikern gerne in Talkshowredaktionen herum.

Ganz wichtige Politiker, aber auch wirkliche Wirtschaftsführer wie Josef Ackermann bekommen ein One-to-One, ein Einzelgespräch. Wer im Talkshow-Wesen alleine sitzt, hat es geschafft. Manchmal schaffen es die Parteistrategen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch, auf Themen Einfluss zu nehmen. Talkshows sind bei Politikern sehr beliebt, besonders, wenn sie dort oft vorkommen.

10. Irrtum: Talkshows sind beliebig vermehrbar.

Die Redaktion der armen Anne Will muss derzeit offenbar versuchen, ein neues Konzept zu finden, wenn sie demnächst nicht mehr sonntags sendet. Da das Konzept aber daraus besteht, dass einer fragt und mehrere antworten, ja manchmal durcheinanderreden, gestaltet sich die Sache schwierig. Weiß noch jemand, wie es bei Rudolf Rohlinger und Claus Hinrich Casdorff war?

Also, so wie es jetzt läuft: Das Konzept der Talksshows ist endlich. Es wird gerade kaputtgesendet. Kleiner Hinweis: Vielleicht versucht es mal jemand mit guten Dokumentationen oder aufklärerischen politischen Magazinen.

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