Fernsehen:Auf dem neuesten Strand

Die Inselärztin - Neustart Auf Mauritius

Insel-Begabung: Dr. Filipa Wagner (Anja Knauer) ist für ihren Job überqualifiziert, beim Surfen allerdings ist ihr Barkeeper Mike (Tyron Ricketts) voraus.

(Foto: ARD Degeto/Tivoli Film/Alexander)

Kein Wochenende ohne Insel, Sonne, Meer: Warum gerade das deutsche Fernsehen ständig in exotischen Gefilden dreht.

Von Kathleen Hildebrand

Früher war alles einfacher, jedenfalls in der Südsee. Für eine schön eskapistische öffentlich-rechtliche Unterhaltungsserie brauchte man: eine tropische Insel und einen distinguierter Herrn im weißen Leinenanzug, der deutschen Touristen half, ihre Probleme zu lösen. In Insel der Träume aus den frühen Neunzigerjahren setzte der Privatgelehrte Gregor Satorius (Rolf Henniger) seine Gäste in jeder Folge vor einen kleinen Wasserfall. Sie mussten die Augen schließen. Dann verschwamm das Bild zu einem psychedelischen blauen Glitzern. Der Gast träumte Aufschlussreiches und als er wieder erwachte, da wusste der junge Priester endlich, dass er seinen Beruf doch nicht für die Liebe zu Barbara Wussow aufgeben will.

Es gibt wohl kaum eine andere Fernsehnation, die ihre Schauspieler so häufig auf Reisen schickt. Das hat sich seit Insel der Träume-Zeiten nicht geändert. Im Gegenteil: Sascha Hehn steuert mit gütigem Blick das Traumschiff, regelmäßig spielen deutsche Schauspieler in Cornwall die Liebesgeschichten von Rosamunde Pilcher oder in Schweden die von Inga Lindström. Die Insel Mauritius ist nun Schauplatz von gleich zwei ARD-Filmreihen: In Mission Mauritius baut sich eine altersarme Deutsche eine neue Existenz als Kindermädchen auf. Und an diesem Freitag startet die neue Degeto-Reihe Die Inselärztin.

Die deutsche Ärztin auf Mauritius hat eine dunkle Vergangenheit - und natürlich gleich zwei Verehrer

Die junge Chirurgin Filipa Wagner (Anja Knauer) tritt eine Stelle als Ärztin in einem Luxushotel an. Da sie fürs Verschreiben von Sonnencreme eigentlich heillos überqualifiziert ist, kann da etwas nicht stimmen. Und tatsächlich: Filipa Wagner schreckt nachts aus OP-Alpträumen auf und muss sich mit ihrem Mantra "Insel, Sonne, Strand" aus Panikattacken atmen. Es gibt also eine dunkle Vergangenheit und natürlich gibt es auch zwei Verehrer: einen verwitweten deutschen Kollegen und den einheimischen Strandbarkeeper.

Allen Klischees zum Trotz hat die Pilotfolge der Inselärztin eine angenehme Frische. Nicht nur, weil die Hauptfigur eine genialische Frau mit Antihelden-Zügen ist. Sondern auch, weil die Reihe ihre Augen trotz Luxushotel-Kulisse nicht ganz vor der harten Realität im Lande verschließen will. Der Sohn eines Küchenangestellten braucht dringend ein Dialysegerät, aber nicht einmal Filipas Ärzte-ohne-Grenzen-Verehrer kann ihm eines organisieren.

Das Exotismus-Fernsehen hat sich verändert seit den Neunzigerjahren. Es gibt heute eine sanfte politische Wachheit in dieser Sparte des Wohlfühlfernsehens - auch in den klassischen Formaten. Wenn das Traumschiff auf den Cookinseln ankommt, dann wartet da zwar weißer Strand. Aber eben auch eine Geschichte über Klimawandel-Flüchtlinge.

Auch Schwarzbrot in Thailand, der momentan noch in der ARD-Mediathek zu sehen ist, zeigt nicht nur das Rentnerleben zweier Ausgewanderter unter Palmen. Sondern auch den Missstand, dass die thailändischen Pflegerinnen, die sich dort um alte Deutsche kümmern, für diesen Job ihre eigenen Kinder in den Dörfern zurücklassen müssen. Der neue TV-Exotismus erlaubt es sich, nicht ausschließlich Postkartenidyllen zu zeigen. So weit das eben mit dem obligatorischen Happy End vereinbar ist. Aber warum schicken gerade deutsche Sender ihre Figuren so oft in die Ferne, damit sie dort aus Deutschland mitgebrachte Mittelstands-Probleme durchleiden?

Die Welt soll die guten, die hilfsbereiten Deutschen sehen

"Mich wundert das gar nicht", sagt Susanna Salonen und lacht ein bisschen ins Telefon. Sie ist Kamerafrau, Regisseurin, Drehbuchautorin und hat am Drehbuch zu Schwarzbrot in Thailand mitgeschrieben. Für ihren Film Patong Girl über die Liebe zwischen einem jungen Deutschen und einer transsexuellen Thai hat sie 2016 den Grimme-Preis bekommen. Sie sagt: "Ich stehe hier gerade in einer Seitenstraße vom Ku'damm. Siebzigerjahre-Bebauung, es ist kalt und grau. Natürlich will man seine Probleme lieber in der Sonne unter Palmen lösen als zu Hause in Deutschland."

Aber vielleicht, sagt sie, geht es noch um mehr als um die schöne Kulisse. Und auch um mehr als die Tatsache, dass die Deutschen nunmal so gerne reisen. Vielleicht, sagt Salonen, sind diese Filme auch Ausdruck einer gewissen typisch deutschen Suche. Nach der Gewissheit, dass die Welt in ihnen nicht mehr nur die Weltkriegsschuldigen sieht. Sondern die guten, die hilfsbereiten Deutschen. Oder zumindest die harmlosen Touristen.

Der weiße Retter hat ausgedient. Heute können die Einheimischen gut auf sich selbst aufpassen

Ein Blick zurück stützt diese These: Klinik unter Palmen mit Klausjürgen Wussow spielte von 1996 an über acht Staffeln in kleinen, luftigen Tropen-Krankenhäusern, vor dem OP der Strand. Ein Muster fällt auf, das auch die Inselärztin bedient: Weiße Ärzte retten dunkelhäutigen Patienten das Leben. Einheimische kommen maximal als Krankenschwestern oder Azubi-Ärzte vor. Die Deutschen waren sozusagen Kolonisatoren im allerbesten Sinne. Sie halfen, bildeten aus, zivilisierten.

Der Weiße als Retter ist ein typisches Element der paradiesischen Vorstellungen, die sich westliche Kulturen schon im 18. Jahrhundert von der Fremde machten. Franziska Bergmann, Juniorprofessorin für Literaturwissenschaft an der Universität Trier, forscht zur Zeit des Kolonialismus. "Exotische Regionen wie die Südsee gelten in Westeuropa seit Rousseau als Gegenmodell zu einer dekadenten, im Untergang begriffenen westlichen Kultur", sagt sie. "Die Bewohner der kolonisierten Welt wurden als Kinder wahrgenommen, die Europäer begegneten ihnen mit einem Erziehungsgestus." Dass sich da etwas getan hat am Fernsehstrand, sieht man aber ebenfalls an der Inselärztin. Die Einheimische Emi (Dennenesch Zoudé) ist eine kluge Restaurantmanagerin. Und der Strandbarkeeper nimmt im Geheimen einen ganz anderen Platz in der Hotel-Rangordnung ein.

Es ist klar, dass solche Fernsehfilme den postkolonialen Diskurs nicht so weit aufrollen, dass es unangenehm werden könnte. "Aber was heißt unangenehm?" fragt Andrea Klingenschmitt. Sie leitet seit 1991 die Redaktion für die deutsche Fernwehfiktion schlechthin: "Das Traumschiff ist kein Realitätsschiff", sagt sie. Trotzdem versucht auch das Traumschiff hie und da den Vorhang leicht anzuheben: "Wir haben schon nach den ersten zwölf Folgen angefangen auszutesten, was in dieser Hinsicht möglich ist." Doch das hat seine Grenzen. "Wir verbringen nur 20 Prozent der Drehzeit an Land", sagt Klingenschmitt, "da bleibt nicht viel Zeit für politische Details."

Überhaupt stellt sich seit einiger Zeit die Frage neu, was glaubwürdig ist, wenn von der paradiesischen Fremde erzählt wird. Fernreisen sind erschwinglich geworden, selbst die Südsee ist nicht mehr so unendlich weit weg. "Die Zeit des Hardcore-Eskapismus von vor 20, 30 Jahren ist vorbei", sagt Susanna Salonen, "der funktioniert nicht mehr. Die Zuschauer wollen eine neue Form von Authentizität".

Das Klischee vom weißen Retter jedenfalls ist sehr selten geworden und wenn es wieder einmal auftaucht, wie bei der Inselärztin, dann hat es sich gewandelt. Filipa Wagner muss schließlich selbst gerettet werden von Insel, Sonne und Strand. Aber der Gedanke, dass dieser Dreiklang des Exotismus geschundenen westlichen Seelen zur Erlösung verhilft, der wird wohl bleiben. Zumindest am Freitagabend.

Die Inselärztin, Das Erste, 20.15 Uhr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: