Anonymisierung im Fernsehen:Mach nicht so ein Gesicht

Lesezeit: 3 Min.

Schattenwand, Kapuzen, Aktenordner, Gummimasken und mehr: Wer nicht erkannt werden soll, wird im Fernsehen kreativ versteckt. (Foto: shutterstock, dpa, ZDF, ARD, Pro 7, spotfilm networx, Collage: SZ)

Whistleblower, Undercover-Reporter, Zwielichtige: Im Fernsehen wollen manche Menschen nur anonym auftreten. Welche Wege gibt es? Ein kleiner Überblick.

Von SZ-Autorinnen und SZ-Autoren

Mit der Möglichkeit, Menschen im Fernsehen zu zeigen, kam die Notwendigkeit, Menschen im Fernsehen unkenntlich zu machen - die investigative Reporterin, die nicht bekannter sein sollte als ihre Recherche; oder all die Kleinkriminellen, die nur zu gewissen Bedingungen ihre Geschichten erzählen. Es gibt längst etablierte Wege der Verfremdung im fiktionalen und nonfiktionalen Fernsehen. Aber das ZDF überraschte in dieser Woche mit dem Einsatz sonderbarer Gummimasken.

Das Kunstprojekt

Am unheimlichsten ist immer das, was am echtesten aussehen soll. Ein "Insider" beim Bananenfühlen. (Foto: Marvin Mohr/ZDF)

Die Theaterregisseurin Susanne Kennedy ist seit Jahren sehr erfolgreich mit einer immer gleichen Idee: Sie steckt Schauspieler in biedere Outfits und versteckt sie unter Perücken und maßgeschneiderte Gummimasken. Betreten-depressive Gesichter sind das, regungslos, antriebslos, wirklich ohne jedwede Freude. Auch die Stimmen kommen vom Band, das Echte hat keine Chance. Bei Kennedy ist das Methode, den Mensch als im Menschen gefangen zu zeigen. Ähnlich künstlerisch ambitioniert gibt sich jetzt das ZDF. In der Doku Lidl: Die Insider. Verkaufstricks beim Discounter-Riesen enthüllen, nun ja, Insider, wie Lidl arbeitet. Die vier ehemaligen Mitarbeiter sind zur Anonymisierung aufwendig in seelenlose Zombies mit Perücken und starren Gummigesichtern verwandelt worden und schleichen nun durch die Gänge eines Supermarkts, ziellos Einkaufswagen schiebend, Bananen berührend. Gruselpuppen auf Valium kurz vor dem Angriff. "Ich weiß, wie Lidl tickt", raunt einer, natürlich via Voiceover, und eigentlich sagt er da doch: "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast". Christiane Lutz

Die Schattenwand

Hinter der Schattenwand lauern oft erschütternde Geständnisse. (Foto: youtube.com/Pro7/youtube.com/Pro7)

Die Schattenwand wurde oft im Fernsehen benutzt, aber so gedemütigt wie in der von Alida Kurras moderierten No-Reality-Show Das Geständnis - heute sage ich alles! wurde sie nie wieder. Gewisse Gäste der Sendung mussten zunächst selbst dann hinter der Wand sitzen, wenn sie selbst dies gar nicht für nötig hielten - nur um dann später und ebenfalls verpflichtend sich zu offenbaren, was wiederum sämtliches vorheriges Schattendasein obsolet machte. Besonders "empfehlenswert" ist in diesem Kontext die Folge Verhüllte Liebe, in der Khaled hinter der Schattenwand sitzt, während seine Frau, die laut Pro Sieben "eigentlich lebensfrohe" Yvonne, davor auftritt in einem seinerseits teilanonymisierenden Tschador. Dann streiten Yvonne und Khaled. Und es kommt raus: K. hat eine Geliebte, die überraschend schwanger ist, während Y. ihre Schwangerschaft nur vorgetäuscht ... - herrje. Noch mehr Methode hatte der Wahnsinn vielleicht nur, als Hape Kerkeling sich als Fake-Frauenschläger Horst Brehm verkleidete, um Peter Imhofs Talk zum Thema "Ich bin der größte Kotzbrocken" aufzumischen. Auch er trat übrigens hinter der Schattenwand hervor - jedoch hauptsächlich, um vor aller Augen in der Studiokulisse in ein Bücherregal zu pinkeln. Cornelius Pollmer

Die Verkleidung

Meister der Verkleidungskunst: Günter Wallraff. (Foto: Spotfilm Networx GmbH/youtube.com/Spotfilm Networx Gmb)

Eine angeklebte Nase, ein Fake-Schnauzer, dazu eine Perücke und eine versteckte Kamera im Knopfloch - zack, fertig - anonymer, investigativer Reporter. Die Idee: Verkleiden, um zu demaskieren. In Deutschland trug Günter Wallraff diese Art der Anonymisierung sowohl zu feierlichsten Höhen als auch zu Grabe. Als er in den 70er-Jahren als "Hans Esser" verkleidet die damaligen, nennen wir es: Redaktionspraktiken der Bild recherchierte, war das revolutionär. Seither ist viel passiert, für einige Undercover-Recherchen schlüpfte Wallraff in andere Rollen, zum Beispiel in die eines Discounter beliefernden Fertigbrötchen-Bäckers. Leider auch in die eines somalischen Geflüchteten, black facing inklusive. Vielleicht gibt es inzwischen auch zeitgemäßere Verkleider als den 79-jährigen Deutschen, der auch ohne böses Zutun nicht mehr ganz mit den diskursmoralischen Vorstellungen der Mittzwanziger mitkommen dürfte. Dass aber immer noch enorme Recherchekraft im verkleidet-anonymisierten Reporter steckt, beweisen längst andere, etwa der britische Komiker Sacha Baron Cohen mit seiner Kunstfigur Borat. Zuletzt trat er (nicht) in Erscheinung als Lockdown-Mitbewohner von QAnon-Anhängern. Very niiice. Johannes Korsche

Der Hoodie

Der Hoodie verrät: Der Typ weiß etwas, vielleicht sogar etwas Finsteres. (Foto: ARD/ARD)

Hacker, Whistleblower und andere Leute, die Geheimnisse kennen oder wenigstens geheimnisvoll tun und oft irgendwas mit dem Internet zu tun haben, werden im Fernsehen vorzugsweise in Hoodies versteckt. Die baumwollene Kapuze wird dafür tief ins Gesicht gezogen, so tief, bis kein Gesicht mehr zu sehen ist, nur noch: Schwärze. Der Hoodie ist ein moderner Deckmantel, wer ihn anzieht, kann auspacken - manchmal mit gruselig verzerrter Roboterstimme, immer in einem sterilen, weil zusätzlich anonymen Raum. Das Licht darin bestenfalls schattenhaft, blaustichig. Die Einrichtung höchstens eine Ledercouch oder ein karger Bürostuhl. Wer in deutschen Fernsehdokus Kapuze trägt, hat Finsteres zu sagen. "Der Sport ist total scheinheilig," lässt ein hoodieverhüllter Athlet in der ARD-Doku Geheimsache Doping - Eiskalter Betrug eine andere Stimme in seinem nicht genannten Namen sagen. Auf dem Bildschirm wird es eisekalt, und man ist froh um jeden kuschelwarmen Hoodie daheim im Schrank. Aurelie von Blazekovic

Der Aktenordner

Selbstzensur mit Aktenordner passt in der Regel gut zu justiziellen Anlässen. (Foto: Marius Becker/picture alliance / dpa)

Man nehme an, jemand hätte andere so kreativ um ihr Geld gebracht, dass sogar das Fernsehen über den zugehörigen Strafprozess berichten will. Was dem Anklagten gegen die vielen Kameras dann helfen kann, ist - noch vor dem Anwalt! - eine schnöde Aktenmappe. Wie an Captain Americas Schild schmettern Scham und Schande wenigstens vorläufig am hochgehaltenen Aktenorder ab. Vor Gericht ist ein richtiger Ordner stillvoll und "dem Anlass angemessen", aber nicht immer hat man einen zur Hand, da heißt es improvisieren und besser gleich gut improvisieren. Eine ausgebeulte Einkaufstüte geht zur Not, ein über die Nase gezogenes Shirt tut es auch. Die Kombination Infektionsschutzmaske mit Sonnenbrille könnte sich in Zukunft endgültig als die legere Methode der Wahl etablieren. Im Zweifel hilft aber auch der Griff nach dem Toupet des Verteidigers. Der bietet manchmal sogar sein ausgebreitetes Jackett an. Doch nicht jeder derart umsichtige Anwalt erweist sich später dann als Batman. Tim Feldmann

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