ARD-Film "Tod einer Kadettin":Von leerem Pathos strotzend

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Panik auf der Takelage: Maria Dragus (mit Malik Blumenthal) spielt eindrucksvoll die Nöte der Kadettin Lilly. (Foto: NDR/UFA GmbH)

Ein ARD-Film soll ausdrücklich nicht das Drama auf der "Gorch Fock" schildern. Er bleibt aber so dicht am Geschehen, dass man ihn pietätlos finden kann.

TV-Kritik von Joachim Käppner

Der Ausbilder an Bord des Marine-Segelschiffs spricht über das Überleben im kalten Wasser, wenn es "Mann über Bord" hieß. Dieser Mann, oder diese Frau, muss ums Überleben kämpfen, denn es wird dauern, bis Hilfe kommt - "bis das Schiff zum Punkt des Überbordgehens zurückgesegelt ist". Selbst mit Motorhilfe kann es eine halbe Stunde sein. Bei Nacht und Seegang sind die Aussichten auf Rettung noch geringer. Die Ausbildungsszene, die Ahnung eines vom Alltag unendlich weit entfernten Grauens, gehört zu den stärkeren Momenten des Fernsehdramas Tod einer Kadettin.

Bei Nacht und Seegang stürzte 2008 die 18-jährige Jenny Böken vom Segelschulschiff Gorch Fock ins Meer, die Besatzung suchte vergeblich nach ihr. Erst zwölf Tage später wurde Jennys Leiche bei Helgoland entdeckt. Die Kadettin war der vierte Todesfall an Bord innerhalb von zehn Jahren, das 1958 gebaute Schiff wurde für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen, die Ausbildung reformiert. Jennys Eltern Marlis und Uwe Böken zweifeln bis heute an der Erklärung der Deutschen Marine, es habe sich um einen Unfall gehandelt, und an der Obduktion, die als wahrscheinlichste Todesursache Ertrinken angab. Sie klagten bis zum Verfassungsgericht, vergeblich. Auf einer eigenen Homepage haben sie die möglichen Ungereimtheiten der Ermittlungen aufgeführt; sie halten es für denkbar, dass ihr Kind gemobbt wurde, dass jemand ihrer Tochter betäubende Substanzen einflößte. Was bleibt, sind so viele Fragen und tiefe Trauer.

Reine Spekulation, die man durchaus pietätlos finden kann

Tod einer Kadettin schildert, wie die Macher ausdrücklich betonen, nicht den tatsächlichen Fall der Jenny Böken und nicht die Gorch Fock, bleibt aber so dicht am wirklichen Geschehen, dass schwer zu trennen ist, was nun Fiktion sein soll und was Wirklichkeit. Die Kadettin heißt Lilly Borchert und das Schiff trägt einen anderen Namen. Und doch erzählt das Drama keine eigene Geschichte, sondern Jennys Geschichte mit Mitteln ganz erheblicher künstlerischer Freiheit - die Frage ist nur, wozu eigentlich?

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Zwischen den Befürchtungen von Jenny Bökens Eltern und der Version der Deutschen Marine liegen Welten, unüberbrückbar. Das aber bringt die Stilform eines quasi dokumentarischen Spielfilms an ihre Grenzen. Wenn man letztlich nicht weiß, wie und warum die Kadettin starb, ist er reine Spekulation, die man durchaus pietätlos finden kann.

Der Fall Jenny Böken ist eine furchtbare Tragödie, die ein übles Licht auf die Zustände an Bord des Segelschulschiffs geworfen hat, wo man die Nöte und Ängste der Kadetten offenbar nicht ernst genug nahm. Alle Marineoffizieranwärter mussten den Lehrgang auf dem Schiff absolvieren. Jenny Böken kam nicht gut zurecht mit dem rauen Ton, den Erwartungen, dem Druck. Es ging ihr ungewöhnlich oft körperlich schlecht, sie litt an häufiger Müdigkeit. Zwei Jahre nach Jennys Tod stürzte die 25-jährige Sarah S. aus der Takelage desselben Schiffs fast 30 Meter tief und starb. Die Todesfälle haben über Jahre die Gerichte beschäftigt, den Wehrbeauftragten, das Verteidigungsministerium. Beschwerden über die Zustände an Bord gab es manche. Kadetten berichteten von sexueller Belästigung, Alkoholeskapaden und massivem Gruppenzwang, zum Beispiel hoch in die Wanten zu klettern, bis auf mehr als 40 Meter Höhe über dem Deck, obwohl man sich offiziell befreien lassen darf.

Ein Gesamtbild, das für die Bundeswehr beschämend war

Das alles hat sich im Detail schlecht belegen lassen und sich doch zu einem Gesamtbild gefügt, das für die Bundeswehr beschämend war. Nur ist es nicht so einfach gewesen, wie dieser Film es sich macht, in dem die Vorgesetzten ignorant und überheblich, die männlichen Kadetten widerwärtige Sexmobber und die Frauen tückische Rivalinnen in einer Art Schlangengrube sind. Was an Bord der Gorch Fock geschah und an Fürsorge unterlassen wurde, ist schlimm genug. Die hier gezeigte Aneinanderreihung von Seemannsklischees wird niemandem gerecht, und nicht einmal das eindrucksvolle Spiel von Maria Dragus als Kadettin kann diesen von leerem Pathos strotzenden Film retten. An den Darstellern liegt das nicht, sie geben sich alle Mühe. So großartig frühere Werke des Autorenpaars Hannah und Raymond Ley ( Letzte Ausfahrt Gera) sind, diesmal greifen sie zu kurz.

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Natürlich gibt es auch den Journalisten, der selbstlos und mithilfe eines gelegentlichen Schlucks aus dem Flachmann die Affäre aufklären will. Am Ende spielt er, wie es aussieht, mit dem Geist der Kadettin die möglichen Todesursachen durch, Fragen raunend: Und spätestens da wünscht man sich, der Klabautermann würde diesen Film holen. Lohnender ist allemal die anschließende Dokumentation zum echten Fall Jenny Böken, auf jeden Fall hilft sie, dieses eher missglückte Fantasiedrama einzuordnen.

Tod einer Kadettin , ARD, 20.15 Uhr. Der Fall Gorch Fock - Die Geschichte der Jenny Böken , Dokumentation, 21.45 Uhr.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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