Fernseh-Show:"Es gab da ganz viele Unwägbarkeiten"

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Die bunten Hemden sind legendär: Jürgen von der Lippe im Jahr 1999. (Foto: Bernd Schuller)

Vor 30 Jahren startete "Geld oder Liebe". Die Show gab vor, Singles verkuppeln zu wollen, war in Wahrheit aber eine Aneinanderreihung von Partyspielchen: Jürgen von der Lippe über Chaos und paradiesische Zustände.

Interview von Hans Hoff

An diesem Samstag jährt sich zum 30. Mal die Ausstrahlung der ersten Ausgabe von Geld oder Liebe, einer WDR-Show, die zwölf Jahre und 90 Ausgaben lang satte Quoten einfuhr und vorgab, Singles verkuppeln zu wollen, in Wahrheit aber nur eine Aneinanderreihung möglichst verrückter Partyspielchen war. Moderator der Show war Jürgen von der Lippe.

SZ: Herr von der Lippe, wie schauen Sie aus heutiger Sicht auf diesen Start am 28. September 1989 zurück?

Jürgen von der Lippe: Vor dem Start der Sendung habe ich einen Satz gehört, den heute kein Moderator mehr hört. Der Satz kam vom damaligen WDR-Unterhaltungschef Hannes Hoff. Wir hatten ja gerade mit Donnerlippchen alles gemacht, was drin war, und da habe ich angekündigt, dass ich mit Donnerlippchen aufhören will. Und da sagte Hannes Hoff: "Das ist aber schade. Dann lassen Sie sich mal was einfallen." Wenn ich an diesen Satz denke und die aktuelle Fernsehlandschaft betrachte, muss ich sagen: Dieser Zug ist auf ewig abgefahren.

Was haben Sie sich da einfallen lassen?

Ich hatte schon eine Grundidee, und da habe ich dann Wendelin Haverkamp als Autor mit ins Boot geholt. Gemeinsam haben wir eine Woche rumgedoktert, und dann stand das Konzept.

Das vorsah, dass Sie Kandidaten beiderlei Geschlechts lustige Spielchen machen lassen, und am Schluss musste dann das Publikum sagen, welche Frau am besten zu welchem Mann passt.

Wir haben eine Woche im Studio geprobt. Eine Woche! Die Zustände gibt es nicht mehr: Dass wirklich Geld da ist und Zeit.

Es ging ja darum, Kandidaten miteinander zu verkuppeln. War Geld oder Liebe ein televisionärer Vorläufer von Tinder?

Eher nicht. Es stellte sich ja auch oft genug raus, dass es die Kandidaten mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Die haben unsere Rechercheteams oft an der Nase herumgeführt, und dann stellte sich heraus, dass sie gar keine Singles waren. Ich fand das nicht so schlimm. Ich habe immer gesagt: Das ist mir scheißegal, solange die mit Spaß dabei sind. Es haben sich aber etliche verliebt, und einige hatten auch ein Knüschen, aber geheiratet hat keiner.

Geld oder Liebe hat 1994 einen Grimme-Preis ergattert. Wofür eigentlich genau?

Die wollten sich in Marl wohl zum ersten Mal für den Mainstream öffnen und ihren Elfenbeinturm mal verlassen, was ich ja für Eierköppe einen bemerkenswerten Schritt finde.

Es ging häufiger mal was schief, und Sie haben ständig überzogen. Wie wichtig war das Chaos?

Ganz wichtig. Im Unterschied zu meinen Bühnenauftritten, wo eigentlich nichts passieren kann, weiß man bei einer Fernsehshow nie, ob das zündet. Es gibt da ganz viele Unwägbarkeiten, die man sich am grünen Tisch nicht ausmalen kann. Bei Geld oder Liebe konnte die Chemie zwischen den Kandidaten nicht stimmen, oder man hatte sehr einseitig begabte Kandidaten. Immer wenn wir Kandidaten aus dem Extremsport hatten, stellten wir fest, dass die sich für nichts anderes als ihren Extremsport und sich selber interessierten.

Und das mit den Überziehungen?

Letztlich wussten alle, dass eine Livesendung hinten raus den besten Marktanteil holt. Je länger es geht, desto höher ist der Marktanteil. Ich hatte ja mit Uli Wickert ...

... der damals die anschließenden Tagesthemen moderierte ..

. ... einen Deal. Wenn ich mehr als 15 Minuten überzogen habe, bekam er eine Flasche Château Haut-Brion. Die hat er ein paarmal gekriegt. Da haben sich Pastorinnen und Pastoren gemeldet und gesagt, sie würden beim Wort zum Sonntag auch unter der Überziehung leiden. Die wollten auch Wein. Ich habe dann aber recherchiert und festgestellt, dass Das Wort zum Sonntag eine Aufzeichnung war. Da litt niemand. Deshalb gab es auch keinen Wein.

Bei Ihnen waren Mariah Carey, Bon Jovi, Take That, Céline Dion und Tina Turner zu Gast. Wie wichtig war die Musik?

Mir war sie wichtig. Ich habe aber auch mal auf einen großen Act verzichtet, wenn mir ein unbekannter Act besser gefiel. Ich fand das reizvoller, einem Unbekannten einen Start zu ermöglichen, als nur jemanden zu haben, der schon alles geschafft hat. Fakt war aber auch, dass uns jeder Musik-Act anderthalb Millionen Zuschauer kostete. Erst jetzt spielt Musik im Fernsehen wieder eine Rolle und stößt wieder auf Interesse, ausgelöst durch Voice Of Germany oder Sing meinen Song. Das freut mich sehr.

Wie erklären Sie einem 18-Jährigen den Erfolg von Geld oder Liebe?

Schwierig. Es gibt ja nichts Vergleichbares mehr, weil das meiste nicht live ist. Das mit dem live war ja unser Unique Selling Point. Dass am Schluss etliche Millionen abstimmten, wer der Sieger sein sollte. Ich habe bis zum Schluss der Sendung oft nicht verstanden, warum die Leute wie entscheiden.

Würden Sie Geld oder Liebe noch mal moderieren?

Nein, ich halte das für sinnlos, weil die Bedingungen nicht mehr stimmen. Die Sendung war damals ja auch deshalb so gut, weil wir diese unglaublichen Möglichkeiten hatten. Heute macht man zwei Sendungen am Tag oder so einen Reihenabwurf, also acht Sendungen in 14 Tagen. Da ist eine solche Qualität nicht herstellbar. Ich hatte damals sechs Spielautoren, von denen jeder eine komplette Sendung schrieb. Das war das Material, aus dem ich für eine Show aussuchen konnte. Was da für eine Manpower dahinter war. Es gab Zeit und Muße, und die braucht man auch. Heute macht das alles keinen Spaß mehr, zumindest nicht einem wie mir, der die goldenen Zeiten erlebt hat. Ein junger Mensch würde vielleicht sagen, "Ja", und würde dann das Beste draus machen, aber ich kann das nicht mehr.

Eckart von Hirschhausen war einer Ihrer Kandidaten. Der macht nun die Samstagabendunterhaltung, Sie sind mit Lippes Leselust bei You tube gelandet. Gerecht?

Ich bin nicht bei Youtube gelandet. Ich bin auf den deutschen Bühnen unterwegs. Ich habe ja nie den Fehler gemacht, wegen der Fernseharbeit mein Live-Publikum zu vernachlässigen, was dazu führt, dass ich heute mit 71 Jahren ausschließlich ausverkaufte Tourneen habe. Das Material stellen wir dann auf den Kanal, und das läuft für einen alten Herren gar nicht so schlecht. Ich bin glücklich.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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